Ciros Versteck. Roberto Andò

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Ciros Versteck - Roberto Andò Transfer Bibliothek

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wollen und war gestürzt. Rosario war mit quietschenden Reifen durchgestartet, und als Ciro sich bang nach der Alten umgedreht hatte, hatte er festgestellt, dass jemand hinter ihnen her war: ein glatzköpfiger Typ am Steuer eines fetten, schwarzen BMW. Als er seinem eisigen Blick begegnete, wusste Ciro, dass er in Schwierigkeiten steckte, doch konnte er nicht ahnen, dass die Beklaute Alfonso De Vivos Mutter war, eine alte Hexe, die die kriminellen Machenschaften von halb Neapel verwaltete, und erst recht nicht, dass der Sturz sie ins Koma und auf die Intensivstation des Cardarelli-Krankenhauses befördern sollte.

      Als Ciro am nächsten Morgen erwachte, hatte er den Glatzkopf mit Carmine reden sehen und sagen hören, Alfonso De Vivo warte darauf, dass er ihm seinen Sohn bringe.

      „Ihm den Bengel bringen, und wieso?“, hatte der Vater gefragt.

      „Donna Marianna liegt im Koma. Übler Schnitzer, den dein Knirps sich da geleistet hat, das geht so nicht durch, kapierst du doch, oder?“

      Carmine hatte ergeben den Kopf gesenkt.

      „Na gut, sag Alfonso, ich bring ihn bis heut’ Abend, der Junge will um Vergebung bitten.“

      Als Gabriele Santoro sich Ciros Schilderung angehört hatte, waren seine Augen tränenfeucht. Verstohlen fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht, und der Junge blickte ihn mit einem Ausdruck an, den er bis dahin noch nicht bei ihm gesehen hatte.

      Ciro versuchte seiner Miene abzulesen, auf welcher Seite er stand. Gelassen ließ sich der Maestro von ihm mustern, bis die Zweifel seines kleinen Gastes zerstreut waren, dann zog er sich die Jacke aus, streichelte ihm über die Wange und verzog sich ins Arbeitszimmer, um ein wenig Ruhe zu finden. Er setzte sich und versuchte, die entsetzlichen Bilder loszuwerden, die seine Gedanken bevölkerten. Keine Viertelstunde später klingelte es an der Tür. Beunruhigt steckte er den Kopf ins Wohnzimmer und sah, wie der Junge die Klappe zum Hängeboden öffnete und hinaufkletterte.

      „Das ist eine Schülerin von mir, ich muss ihr Unterricht geben“, erklärte er und half dem Jungen, die Klappe zu schließen.

      Ciro spähte durch den Spalt und sah ein langes, dürres, etwa achtzehnjähriges Mädchen in die Diele treten. Es wechselte ein paar Worte mit Gabriele Santoro, dann verschwanden sie im Arbeitszimmer. Wenig später war der helle Klang einer mehrfach angeschlagenen Note zu hören, und im nächsten Moment hatte ihn das monotone Leiern der Fingerübungen in den Schlaf gewiegt.

      Nach einer Stunde tauchten der Maestro und seine Schülerin wieder auf. Ciro wurde von ihren Stimmen geweckt und drückte sein Auge an den Spalt.

      Das Mädchen hielt Gabriele einen Umschlag hin und sagte: „Das ist für die Stunden diesen Monat.“ Sie gaben einander die Hand und das Mädchen verschwand.

      Sekunden später öffnete sich die Luke und das ernste Gesicht seines Beschützers tauchte auf. Ausdruckslos blickten sie einander an, dann half der Maestro ihm hinunter. Kaum hatte Ciro wieder Boden unter den Füßen, fragte er nach dem Alter des Mädchens. „Die sieht aus wie ’n Besenstiel“, meinte er rotzig.

      Der Maestro funkelte ihn eisig an und verschwand wieder im Arbeitszimmer, wo er, getreu einer unbewussten Angewohnheit, sogleich ans Fenster trat.

      Im Hof wurde gerade ein seltsames Konklave abgehalten: Carmine Acerno redete mit zwei Männern in Maßanzügen. Ihre Haltung erinnerte an eine Beichte: Mit ehrerbietig gesenkten Köpfen traten sie abwechselnd vor, um seinem Geraune zu lauschen. Gebannt von der zärtlichen Grausamkeit dieser rituellen Geste, gewahrte Gabriele die stumpfe, animalische Ruhe, mit der sich Ciros Vater abwechselnd zu den beiden Typen beugte, ihnen über die Wange strich oder sie in stummer Bestürzung anstierte.

      Auf einmal schrillte das Telefon, und der Maestro beschloss, es klingeln zu lassen. Nach dem fünften, hartnäckigen Läuten überlegte er es sich anders und griff zum Hörer.

      „Gabriele, mein Lieber, störe ich? Ich bin’s.“ Es war die Stimme seines einzigen Freundes im Viertel, Antonio Balsamo, Chefarzt der Radiologie am Ascalesi-Krankenhaus und Konzertfanatiker.

      „Ganz und gar nicht.“

      „Gut. Ich wollte fragen, ob du nach dem Abendessen Lust auf eine kleine Partie Poker bei mir hast, die übliche Runde.“

      Der Maestro hatte nicht die geringste Lust zu pokern, doch angesichts seiner gegenwärtigen Lage war es vermutlich angebracht, die Einladung anzunehmen. Er konnte sich nicht ewig verkriechen, das wäre verdächtig erschienen, und womöglich war das sogar eine gute Gelegenheit, um herauszufinden, was über Ciros Verschwinden in Umlauf war.

      „Danke, Antonio, ich komme sehr gern“, haspelte er und legte auf.

      Es war sechs Uhr nachmittags, eine dichte, schwarze Wolkenbank hing bleiern am Himmel und schien sich in Zeitlupe zu bewegen. Er musste etwas unternehmen, durfte keine weitere Zeit planlos verstreichen lassen.

      Als er zu dem Jungen zurückkehrte, fand er ihn schlafend auf dem Sofa, das Buch von Kipling in der Hand. Er deckte ihn zu, setzte sich neben ihn und wartete, bis er aufwachte. Gegen acht Uhr schlug Ciro die Augen auf, blickte ihn verwundert an und fragte in dem ihm urvertrauten Dialekt:

      „Was machst denn du hier?“

      Gabriele beschloss, es ihm gleichzutun.

      „Hab gewartet, dass du wach wirst.“

      „Wieso? Hab ich gepennt?“

      „Ja.“

      Leicht verschämt sprang der Junge auf.

      „Hast im Schlaf ganz schön rumgezappelt. Schlecht geträumt?“

      Ciro funkelte ihn finster an.

      „Ich hab gar nix geträumt, du bist derjenige, der die Flatter kriegt und ’nen Scheißdreck macht“, stieß der Junge wütend hervor und spuckte auf den Boden.

      Ungerührt stand Gabriele Santoro auf, zog sein Taschentuch hervor und wischte die Spucke weg. Als er wieder zu sprechen anhob, verzichtete er auf die komplizenhafte Einvernehmlichkeit des Jargons.

      „Wenn es dir bei mir nicht passt, dann such dir jemand anderen, der bereit ist, sein Leben aufs Spiel zu setzen, um dich zu verstecken, da draußen gibt es eine Menge Leute, die dich mit offenen Armen empfangen würden. Geh schon, na los, worauf wartest du?“

      Ciro stierte ihn so grimmig an, als stünde er kurz vor dem Platzen.

      „Glaubste etwa, ich hab Schiss, hier rauszugehen? Ich weiß, wie man einen abmurkst. Vor zwei Wochen hab ich zwei Scheißkerle verrecken sehn.“

      Schweigend ließ der Maestro seinen dumpfen Zorn über sich ergehen.

      „Du brauchst gar nicht so zu schreien, es ist sonnenklar, dass das nicht stimmt“, flüsterte er.

      „Ach ja? Hätt’ste mal sehn sollen, wie der Mesa verreckt ist, die zwei Arschlöcher, die sie im Lager verbrannt haben, und Musella. Da war’n ich und mein Vater, der hat das gemacht, ich hab nur zugeguckt. In ’ner Garage in Borgo Sant’Antonio hat er die kaltgemacht, in die Birne geschossen hat er denen. Hier, mitten auf die Stirn. Paff-paff. Erst den einen und dann den anderen. Als der Erste hin war, hat der andere sich eingeschissen. Echt, Mann, und dann sag noch mal, ich verzapf Scheiß.“

      „Halt den Mund“, stöhnte Gabriele, dann sagte er nichts mehr.

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