Ciros Versteck. Roberto Andò

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Ciros Versteck - Roberto Andò Transfer Bibliothek

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abzutrocknen. Gabriele Santoro lächelte dankbar, und um sie nicht zu enttäuschen, verdrückte er sich auf die Toilette.

      Der Raum war klein und ungewöhnlich sauber. In dem winzigen runden Spiegel wirkte sein Gesicht so fehl am Platz wie ein vom Grund der Tiefsee geborgenes Wrack.

      Er riss ein Stück Küchenpapier ab und betupfte seinen durchnässten Ärmel. Durch die Kabinenwand zur Damentoilette war eine heisere Frauenstimme zu hören, die jemandem von einem kürzlichen Vorfall berichtete.

      „Die Ärmste liegt mit ’nem gebrochenen Oberschenkel und Schädelbruch im Cardarelli, ihr Zustand is’ kritisch. Der steht mit einem Fuß im Grab, der Ciro. Carmine muss ihn finden. Den Rosario, den Sohn von Amitrano, haben sie sich schon geschnappt.“

      Dann, als hätte ihr Gegenüber sie zum Leise-Sein ermahnt, verfiel die Frau in einen Flüsterton, der zu einem unverständlichen Wispern verklang.

      Begierig auf weitere Gesprächsfetzen, drückte der Maestro sein Ohr an die Kabinenwand, doch gleich darauf war die Klospülung zu hören, dann eine quietschende Türklinke und schließlich die sich entfernenden Schritte zweier Personen. Er wartete ein paar Sekunden, verließ dann ebenfalls das Bad und sah gerade noch, wie die beiden Frauen, von denen er eine als Ciros Mutter erkannte, durch die Eingangstür verschwanden. Er kehrte an den Tresen zurück und bestellte einen Espresso.

      Als er die Bar verlassen hatte, begab sich Gabriele Santoro mit hypnotischer Langsamkeit zum Supermarkt, den er mit triefenden Kleidern betrat, womit er die entgeisterten Blicke sämtlicher Anwesender auf sich zog, vor allem der neugierigen Kassiererin, die es sich einfach nicht nehmen ließ, sich ständig in seinen Ernährungsplan einzumischen.

      Tropfend steuerte er auf das Gebäckregal zu und wählte zwei unterschiedliche Kekssorten aus, Schokoladenplätzchen und Hagelzuckerkringel, dann setzte er seinen Einkauf fort, griff sich ein Glas Bio-Orangenmarmelade, eine Tüte Milch, Schmelzkäseecken, vier Steaks, eine kleine Packung Ricotta, Tomaten, zwei Mozzarellas, Obst, eine Tüte Chips, vier Dosen Cola und Brot.

      „Haben Sie Gäste?“, fragte die Kassiererin gewohnt vorwitzig.

      „Nein, ich kaufe nur ein paar Vorräte, in den nächsten Tagen muss ich meinen Unterricht vorbereiten und werde wohl kaum dazu kommen, aus dem Haus zu gehen“, erwiderte der Maestro gelassen.

      „Ah“, sagte die Frau nur und zog die Lebensmittel über den Scanner. Bei den Käseecken hielt sie inne.

      „Die sollten Sie besser dalassen, die sind ungesund, ich hab mal eine Doku darüber gesehen, was die da alles reintun, sogar alte Schuhabsätze tun die da rein …“

      Der Maestro setzte ein verhaltenes Lächeln auf und gab ihr mit einer knappen Geste zu verstehen, sie einzulesen.

      Als er wenig später seinen Hauseingang betrat, kam ihm Gaudenzi entgegen, ein netter Mann, der ebenfalls im Haus wohnte und im Postamt arbeitete. Gabriele grüßte ihn im Vorbeigehen, eilte mit baumelnden Einkaufstüten auf die geöffnete Fahrstuhltür zu und sah, dass bereits jemand im Aufzug stand: Carmine Acerno, Ciros Vater.

      So nah war er ihm noch nie gekommen, bislang waren sie einander nur flüchtig auf der Straße begegnet. Der Mann war um die fünfzig und hatte ein rundes, glattes Gesicht, das in unergründlicher Stumpfheit versunken schien.

      Wie üblich grüßten sie einander mit einem unmerklichen Nicken. Der Maestro schloss die Tür, drückte den Knopf seines Stockwerks – das vierte –, drehte sich hastig um, um dem Mann nicht den Rücken zuzuwenden, und hatte ihn so dicht vor der Nase, dass er seinen säuerlichen Dunst wahrnehmen konnte. Der Mann stierte ihn an, als wollte er seine Seele durchleuchten. Er sah aus, als hätte er ebenfalls die ganze Nacht kein Auge zugetan.

      Um das spürbare Unbehagen zu überspielen und als wollte er die quälende Langsamkeit des Fahrstuhls messen, fing Gabriele Santoro an, mit der Hand metronomisch den Takt zu schlagen. Als er Carmines Blick nicht mehr standhalten konnte, sah er in den Spiegel und traf auf sein verschwitztes, müdes, verschrecktes Gesicht.

      Mit einem Ruck hielt die Kabine auf dem Stockwerk, die Türen öffneten sich, und endlich konnte der Maestro mit rasendem Herzen aussteigen, doch als eingefleischter Perfektionist und fieberhaft darum bemüht, sich seine Verstörung nicht anmerken zu lassen, bedachte er seinen Mitfahrer mit einem letzten, förmlichen Nicken, ehe sich die Türen wieder schlossen.

      Kaum war er in seiner Wohnung, stellte er die Tüten auf dem Boden ab und machte sich auf die Suche nach dem Jungen. Im Arbeitszimmer war er nicht. Vermutlich war er in der Küche. Doch nachdem er die gesamte Wohnung einschließlich des Hängebodens hektisch abgesucht hatte, musste er sich der unerfreulichen Tatsache stellen: Ciro war fort.

      Ungläubig starrte er aus dem Fenster. Auf dem kleinen Platz stritten zwei Typen miteinander, Carmines übrige Kinder spielten Fußball, der Tabakladenbesitzer, das Hinkebein, stand vor der Ladentür und rauchte eine seiner täglichen fünf Zigaretten. Sonst war niemand zu sehen.

      Niedergeschlagen und erleichtert zugleich ließ Gabriele Santoro sich in den Sessel seines Arbeitszimmers fallen, wo er bis elf Uhr sitzen blieb und seinen Gedanken nachhing. Er überlegte, ob der Junge wohl zu seinen Eltern zurückgekehrt und liebevoll von ihnen aufgenommen worden war. Nicht sonderlich überzeugt von dieser Vermutung und um die Nervosität loszuwerden, legte er in voller Lautstärke eine seiner Lieblingsplatten auf, die Sonate für Violine und Klavier in A-Dur von César Franck, gespielt von David Oistrach und Swjatoslaw Richter. Doch mitten im Allegretto gellte plötzlich der durchdringende Ton der Türklingel durch die Wohnung: einmal, zweimal, dreimal.

      Er lief zum Spion, doch dort war niemand. Er wollte gerade kehrtmachen, als es wie wild an die Tür hämmerte. Hastig riss er die Tür auf und blickte in die eingefallenen Augen des Jungen, die ihn herausfordernd anstarrten. Er zerrte ihn in die Wohnung, spähte auf den Treppenabsatz hinaus, um sicherzugehen, dass niemand sie beobachtet hatte, und schloss die Tür.

      „Bist du irre? Wo warst du?“, blaffte er mit mühsam unterdrückter Wut.

      „Ich hab dich nicht gefunden und hab gedacht, du bist bei mein’ Papa.“

      „Und wo hast du dich versteckt?“

      „In der leeren Pförtnerwohnung, da bin ich immer mit Rosario.“

      „Wer ist Rosario?“

      „Mein Freund, Rosario Amitrano.“

      Damit erschöpfte sich das Gespräch und wich einer stummen Feindseligkeit, die den ganzen Vormittag anhielt.

      Gegen zwei Uhr kam der Junge zu ihm und verkündete, er habe Hunger, woraufhin der Maestro wortlos in der Küche verschwand, um ein Steak zu braten und Tomaten zu schneiden, und kurz darauf saßen sie noch immer wortlos bei Tisch und wechselten nur gelegentlich lange, fragende Blicke.

      Als sie mit dem Essen fertig waren, fragte er Ciro abermals, wovor er davonlaufe. Und abermals blieb ihm der Junge eine Antwort schuldig.

      „Also, deinen Freund, Amitranos Sohn, den haben sie schon geschnappt. Wenn du willst, dass ich dir helfe, solltest du mir besser sagen, was ihr ausgefressen habt.“

      Bei dieser Nachricht erstarrte die Miene des Jungen zu einer steinernen Maske.

      „Woher weißt du das?“, fragte er.

      „Ich weiß es“, gab der Maestro lakonisch zurück. Ciro sprang auf, flitzte davon und warf sich aufs Bett.

      Als

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