Das Ketzerweib. Werner Ryser

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Das Ketzerweib - Werner Ryser

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sich Pfarrer Feer der jungen Frau zu und wiederholte die Trauformel.

      Sie zögerte eine Sekunde. «Ja, mit Gottes Hilfe», sagte dann auch sie.

      Als das frisch vermählte Paar an der Spitze der Hochzeitsgäste von der Kirche die Dorfstrasse hinunter zur Ilfisbrücke schritt, machte Ueli seine junge Frau auf ein grosses Bauernhaus aufmerksam, das inmitten eines Baumgartens am südlichen Rand der Schwemmebene lag. «Der Auenhof», sagte er, «dein neues Zuhause.»

      Ein mächtiges, strohgedecktes Walmdach wölbte sich über Wohnteil, Stall, Speicher und Tenn. Anna staunte. Hier also sollte sie Bäuerin werden. «Wie viel Stück Vieh hast du?», wollte sie wissen.

      «Dreissig Kühe, vier Pferde, ein Dutzend Schweine», zählte er auf, «natürlich Hühner und ein paar Gänse. Dazu genügend Weideland, um das Vieh durch den Winter zu füttern, und Äcker, auf denen wir Weizen, Roggen, Dinkel und Hafer pflanzen. Ausserdem einen Pflanzplätz, einen Obstgarten und ein Stück Wald.» Er schwieg. «Wir haben alle Hände voll zu tun», fügte er dann hinzu.

      Es war mehr, viel mehr als ihre Eltern besassen. «Wer sind wir?», fragte sie vorsichtig.

      «Hansjakob Tanner, der Grossknecht, er ist mein Vetter, ein Melker und ein Karrer, Tagelöhner, je nach Arbeitsanfall. Im Haus helfen Christine Bärtschi und Therese Müller, die beiden Mägde.»

      Anna ging schweigend neben ihrem Mann her. Sie realisierte, dass Ueli Jacob viel reicher war als ihre Eltern. Sie selber hatte seit ihrer Kindheit mitgeholfen, im Haus und auf dem Feld, sie und ihre sechs Geschwister. Daheim gab es keine Knechte und Mägde. Sie wusste, was es hiess, zuzupacken. Aber es war stets die Mutter gewesen, die gesagt hatte, was zu tun sei. Jetzt würde sie selber einem grossen Haushalt vorstehen, einem viel grösseren als dem elterlichen. Sie würde vorausdenken müssen, planen, anderen die Arbeit zuweisen. Ob sie das konnte, fragte sie sich verzagt.

      «Du brauchst keine Angst zu haben.» Hatte der Mann, dessen Frau sie nun war, ihre Gedanken erraten? Er nahm ihren Arm und drückte ihn beruhigend. «Du wirst an deiner Aufgabe wachsen. Ausserdem wird dich meine Schwester anlernen.»

      Seine Schwester. Anna kramte in ihrem Gedächtnis. Irgendeinmal hatte sie von Uelis älterer Schwester gehört, die ihm den Haushalt führte. «Wo ist sie, deine Schwester?» Sie wandte sich um und musterte die Hochzeitsgäste.

      «Sie kann an der Feier nicht teilnehmen. Sie ist krank», der Mann machte ein verschlossenes Gesicht, Anna wagte es nicht, weitere Fragen zu stellen.

      Da es der frühen Jahreszeit zum Trotz aussergewöhnlich warm war, hatte man grosse Tische unter die breiten Kronen der beiden Linden vor dem Haus gestellt. Alles, was der Auenhof zu bieten hatte, stand für die Bewirtung der Gäste bereit: Fleischbrühe, Geräuchertes, Gesalzenes, Gesottenes und Gebratenes vom Schwein, von der Kuh und vom Kalb. Selbst Hähnchen, die im Emmental als «Herrenspeise» galten, hatten die Mägde aufgetischt. Verschiedene Platten mit Gemüse waren da, auch dampfender Hirse- und Haferbrei. Und natürlich Mengen von Chüechli, die in Butter schwimmend gebacken worden waren. Ferner grosse, duftende Brotringe aus Weissmehl. In Glaskaraffen blinkte roter Burgunderwein. Ueli Jacob schien entschlossen, ein Festmahl auszurichten, von dem man im ganzen Tal noch lange sprechen würde. «Nehmt Platz», rief er und machte eine einladende Geste, «und lasst es euch schmecken. Mich wollt ihr kurz entschuldigen.»

      Er nahm Anna am Arm und führte sie ins Haus. «Ich will dich zuerst mit meiner Schwester Margrit bekannt machen.» Sie stiegen eine Treppe hoch. Ueli klopfte an eine Tür und schob seine junge Frau in die Kammer. «Ich warte unten auf dich», sagte er und liess sie allein.

      «Komm näher», sagte eine Stimme, die, obwohl leise, seltsam eindringlich klang. Am offenen Fenster, aus dem man über die Auenlandschaft in ihrer Frühlingspracht sah, sass eine Frau in einem grossen, geschnitzten Stuhl. Sie mochte um die fünfzig Jahre alt sein und wirkte zart und zerbrechlich. Ihre weisse, von blauen Äderchen durchzogene Haut schien fast durchsichtig. Sie trug einen langen schwarzen Rock und über den schmalen Schultern eine gehäkelte, schwarze Stola, die vor ihrer Brust mit einer goldenen Brosche zusammengehalten wurde. Das graue, zu einem Knoten gebundene Haar war bedeckt von einer ebenfalls schwarzen Haube. Auf einem Beistelltisch neben ihrem Sessel lag die Heilige Schrift. Sie war aufgeschlagen.

      «Nimm einen Stuhl, setz dich mir gegenüber und lass dich anschauen», sagte sie. Das klang freundlich, fast liebevoll.

      Anna gehorchte. Erst jetzt fiel ihr auf, welch schöne Augen Margrit Jacob hatte, gross, grün, unergründlich.

      Die Frau betrachtete sie schweigend. Um ihre blutleeren Lippen spielte ein Lächeln. «Du bist also meine Schwägerin», sagte sie endlich und streckte ihre Hand aus. Leicht wie ein Schmetterling berührte sie die Wangen der Jüngeren. «Und fast noch ein Kind.» Sie schwieg. «Hat dir Ueli gesagt, dass ich bald sterben werde?»

      Anna schüttelte verwirrt den Kopf.

      «Mein Herz will nicht mehr», sagte Margrit Jacob ruhig, «es schlägt nur noch langsam und es rast, wenn ich mich ein wenig anstrenge. Das Atmen fällt mir schwer. Ich kann kaum mehr diese Kammer verlassen. Das Treppensteigen ermüdet mich. Ein Leben lang habe ich für Ueli gesorgt. Er war mein kleiner Bruder. Er ist es immer noch», fügte sie lächelnd hinzu. «Jetzt bin ich nutzlos geworden. Ich kann in der Küche nicht mehr nach dem Rechten sehen. Ich bin froh, dass eine junge Frau gekommen ist, die meine Pflichten übernimmt.»

      «Ich weiss nicht, ob ich das kann, ich bin nur die Tochter eines einfachen Kleinbauern.» Anna spürte, dass sie keine Angst haben musste, der Schwägerin ihr Herz zu öffnen. Sie erzählte ihr vom Waldhof in Ramsei, von den engen Verhältnissen, in denen sie aufgewachsen war, von den Sorgen ums tägliche Brot. «Ich bin doch viel zu jung und unerfahren. Wie soll ich dem Ueli eine gute Frau sein und den Mägden eine gerechte Meisterin?» Sie hatte die schmalen Hände Margrit Jacobs in die ihren genommen und hielt sich an ihnen fest wie eine Ertrinkende. Ihre Augen wurden feucht und mit einem Mal flossen Tränen über ihre Wangen. Sie barg ihr Gesicht in den Händen.

      Margrit nahm ihr behutsam den Narzissenkranz vom Kopf und fuhr ihr durchs Haar. Immer wieder. Endlich sagte sie: «Das wird sich alles geben. Zunächst regierst du das Haus durch mich. Du wirst mein Auge sein, mein Ohr, mein Mund und meine Hände. Und mit der Zeit wirst du die Verantwortung allein tragen können.»

      Anna rührte sich nicht. Aus der Hand der Schwägerin, die jetzt auf ihrem Kopf ruhte, strömte eine Kraft, die sie tröstete und mit Zuversicht erfüllte. Sie wünschte, sie könnte auf Zeit und Ewigkeit hier bleiben, bei dieser Frau, in deren Gegenwart sie sich geborgen fühlte.

      Durchs offene Fenster drang das Lachen der Gäste. «Sie feiern deine Hochzeit, Kind», sagte Margrit lächelnd, «meinst du nicht, du solltest langsam hinuntergehen und dich zeigen?» Sie küsste Anna auf die Stirn. «So Gott will, werden wir noch viele schöne Stunden zusammen erleben.»

      Die Leute an den langen Tafeln, die bereits den ersten Hunger gestillt hatten, begrüssten Anna mit fröhlichen Zurufen. Sie setzte sich neben Ueli, zögernd, als stünde ihr der Ehrenplatz nicht zu. Der Grossbauer sass still und ernst da. Er hatte noch kaum etwas von den Speisen berührt, die man ihm aufgetragen hatte. Auch aus dem Zinnbecher, der bis zum Rand mit Wein gefüllt war, schien er nichts getrunken zu haben. Ab und zu nippte er an einem Glas Wasser.

      Anna aber ass und trank wie alle Gäste, die sich den Bauch vollschlugen, als müssten sie für die nächste Hungersnot, die bestimmt kommen würde, einen Vorrat anlegen. Inzwischen ruhte Uelis Blick, wenn er sich unbeobachtet fühlte, auf seiner jungen Frau, schweifte dann über die ausgelassene Gesellschaft und kehrte wieder zu Anna zurück.

      Als am späteren Nachmittag

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