Das Ketzerweib. Werner Ryser

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Das Ketzerweib - Werner Ryser

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die zuhause im Räucherofen hingen. Ihre erste Schwangerschaft und die Hungerattacken, die zu stillen sie Ueli stets liebevoll gedrängt hatte, fielen ihr ein.

      Schon kurz nach der Hochzeit blieb die Monatsblutung aus. Von ihrer Mutter wusste Anna, was das zu bedeuten hatte. An Pfingsten war sie sich sicher: Sie trug ein Kind im Bauch. Ueli, als sie sich ihm anvertraute, schloss sie in seine Arme. Er war bewegt. «Ein Kind», sagte er und seine Stimme zitterte ein wenig, «wir bekommen ein Kind!»

      Auch Margrit strahlte. «Es wird weitergehen», meinte sie. «Eine neue Generation wird heranwachsen und einmal den Hof übernehmen. Hoffentlich bin ich bei der Geburt noch da.»

      Dieses erste Jahr nach ihrer Heirat war für Anna eine glückliche Zeit. Ihr war, als würde sie im gleichen Mass in ihre Rolle als Bäuerin hineinwachsen, wie das Kindlein in ihrem Leib grösser wurde. Sie musste sich gegen die Fürsorglichkeit von Ueli wehren, der es nicht gerne sah, dass sie neben der Arbeit im Haus auch auf dem Feld mithalf. «Eine Schwangerschaft ist keine Krankheit», lachte sie ihn aus, «meine Mutter hat jeweils bis zum letzten Tag geschuftet und ich und meine Geschwister haben dabei keinen Schaden genommen.»

      An einem Augustabend, nachdem man tagsüber das Korn geschnitten und zu Garben gebunden hatte, sassen sie bei Margrit, die aus der Schrift vorlas. Anna schien ganz in Gedanken versunken. Sie lächelte.

      «Was hast du?», fragte Ueli, der sie beobachtete.

      Sie nahm seine Hand und legte sie auf die Wölbung ihres Bauches. Margrit liess die Bibel sinken. Ueli runzelte die Stirn. Dann ging ein Lachen über sein Gesicht. «Es bewegt sich», sagte er.

      Auch die Schwägerin wollte das Kindlein spüren. «Siehe, da ich die Stimme deines Grusses hörte, hüpfte mit Freuden das Kind in meinem Leibe», zitierte sie aus dem Gedächtnis. «Lukasevangelium, Erstes Kapitel», fügte sie hinzu und nickte bedeutungsvoll.

      «Welches Kind?», wollte Anna wissen.

      «Johannes, der später den Herrn im Jordan taufte», erklärte Ueli, «auch unser Kind wird einmal Johannes heissen.»

      «Und wenn es ein Mädchen ist?»

      «Es wird ein Sohn sein.»

      Es war ein Sohn. Am zweiten Weihnachtstag setzten die Wehen ein. Gegen Abend liess Ueli die Hebamme von Langnau, Gret Fridlin, holen. Sie war eine Witfrau, eine erfahrene Geburtshelferin, deren eigene Kinder längst erwachsen waren. Während die Abstände zwischen den Wehen kürzer wurden, sass sie neben Annas Bett. Sie trank einen Becher Hypocras, den ihr Ueli, der aus dem Schlafzimmer verbannt worden war, hatte bringen lassen, und erzählte von ihrer Vorgängerin, von der sie vor zwei Jahrzehnten in ihr Handwerk eingeführt worden war, und von der Frauengemeinde, vor der sie ihre Prüfung hatte ablegen müssen. Mit rätselhaftem Lächeln berichtete sie vom Schwur, sich aller Zauberei und abergläubischer Praktiken zu enthalten, den man ihr damals abverlangt hatte. Im Übrigen sei es ihr und ihresgleichen von der Obrigkeit untersagt, eine Frau zum Pressen zu drängen, um die Geburt zu beschleunigen. Ebenso dürfe sie weder Zangen, Eisen, Haken oder dergleichen verwenden, um das Kind herauszuziehen. Diese Vorschriften seien durchaus in Ordnung. Alles, was sie tun könne, sei durch geschickte Handgriffe oder das Umlagern der Kindbetterin zu versuchen, die Geburt günstig zu beeinflussen. Das andere überlasse man am besten der Natur.

      Gret Fridlin in ihrer schwarzen Amtstracht und den roten Strümpfen war Anna etwas unheimlich.

      Ob sie das Kind auch bis spätestens vierzehn Tage nach der Geburt taufen lassen werde, erkundigte sich die Frau zwischen zwei Wehen und sah sie prüfend an.

      Anna wusste, dass die Hebammen gehalten waren, das geistliche Gericht zu unterstützen. Die sechs vom Landvogt ernannten Chorrichter hatten für einen sittlichen Lebenswandel in ihren Kirchgemeinden zu sorgen. Mit Geldbussen oder ein paar Tagen Haft bestraften sie Vergehen wie uneheliche Schwangerschaft, Ehestreit, Trunksucht, mangelnden Kirchenbesuch, Spiel, Tanz und Kleiderpracht. Besonders aber bestanden sie darauf, dass die neugeborenen Kindlein rechtzeitig getauft wurden.

      «Natürlich werde man das Kleine taufen», sagte Anna, die bleich und erschöpft auf dem Bett lag.

      Sie habe auch nichts anderes erwartet, brummte die Hebamme und wischte der jungen Frau mit einem feuchten Tuch den Schweiss von der Stirn. Sie sei überzeugt, dass die Jacobs nicht zu den Altevangelischen gehörten, die die Kindstaufe verweigerten und sich heimlich versammelten, um das Wort Gottes eigenmächtig auszulegen.

      Draussen graute bereits der Morgen des 27. Dezembers, als Gret Fridlin Anna ein schreiendes Menschlein mit hochrotem Kopf in den Arm legte. «Es ist ein Bub», sagte sie und ging dann zur Tür. «Ein Bub!», rief sie.

      Ueli, der die ganze Nacht gewartet hatte, kam mit grossen Schritten in die Kammer. Anna hielt ihm das Kind entgegen. Ganz vorsichtig nahm er es in seine grossen, abgearbeiteten Hände. Er senkte den Kopf. Tränen liefen über seine Wangen. «Ein Bub», flüsterte er, «ein Bub.»

      «Wie soll er denn heissen?», erkundigte sich die Hebamme.

      «Johannes», sagte der Bauer und schniefte.

      «Das ist recht so», nickte sie, «heute ist der Namenstag des Evangelisten Johannes.»

      Anna öffnete den Mund, um zu sagen, dass das Kind nach dem Täufer genannt werde, als sie sah, dass Ueli fast unmerklich den Kopf schüttelte und die Lippen zusammenpresste.

      4

      Anna Jacob wusste nicht mehr, wie lange sie schon in ihrem elenden Loch im Bergfried von Schloss Trachselwald lag. Sie hatte jedes Gefühl für die Zeit, die sich im Kreis zu drehen schien, verloren. Lediglich das Dämmerlicht, das durch das kleine vergitterte Fensterlein in ihre furchtbare Einsamkeit drang, und die Dunkelheit zeigten ihr den Wechsel von Tag und Nacht an.

      Sie wurde nicht verhört, weder vom Landvogt noch von seinem Stellvertreter. Vielleicht sollte sie an diesem Unort verrotten. Das einzige Zeichen, dass man sie nicht vergessen hatte, war die Hand der Wärterin, die ihr am Morgen einen Krug mit Wasser und einen kleinen Laib Brot durch eine schmale Öffnung in der Türe des Verlieses schob. Später trat Beth Wüthrich in die Zelle, um den Kübel, in den Anna ihre Notdurft verrichtete, zu leeren. Aber sie sprach nicht mit ihr. Auch wenn die Gefangene sie anflehte, ihr wenigstens zu sagen, wie es ihren Kindern ging, die sie auf dem Auenhof zurückgelassen hatte, blieb sie stumm.

      Die Auflehnung, die sie zu Beginn ihrer Kerkerhaft schreiend gegen die Türe aus Eichenholz hatte schlagen lassen, war einer dumpfen Verzweiflung gewichen. Anna weinte jetzt oft. Sie litt unter dem Gestank und dem Ungeziefer. Der Hunger machte sie schwach. Manchmal versank sie in einen leichten Dämmerschlaf, aus dem sie wieder hochschreckte, wenn eine Ratte, die den Weg in ihr Verlies gefunden hatte, an ihrem von der Eisenschelle blutig gescheuerten Knöchel schnupperte. Der einzige Trost, der ihr blieb, war die Rückschau auf die zehn Jahre zwischen ihrer Hochzeit mit Ueli und der Geburt ihres Jüngsten, des inzwischen sechsjährigen Daniel.

      In ihrer Erinnerung wurde diese Zeit zu einem einzigen Lobgesang auf das Leben, auf das Bauernjahr mit seiner Aussaat, Reife und Ernte, auf den Wechsel von Regen und Sonnenschein, auf den Sommerwind, der einem zärtlich das Haar zerzauste, auf das kühle Wasser aus dem Brunnen, das man nach einem heissen Augusttag auf dem Feld über Nacken und Rücken rinnen liess, auf die nebligen Morgen im September, durch die siegreich die Sonne brach, auf den Westwind, der im November schwere Regenwolken vor sich hertrieb, auf den ersten Frost und auf den Schnee, unter dem die Wintersaat geduldig auf das Frühjahr wartete.

      In

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