Das Ketzerweib. Werner Ryser

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Das Ketzerweib - Werner Ryser

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der erste Schnee das Land zudeckte, war der Auenhof erfüllt vom Lärm der Dreschflegel, die, wie es Anna schien, den Takt zum grossen Lied von der Erde und ihren guten Gaben trommelten. Nichts sollte verloren gehen. Das reichlich bemessene Saatgut für das nächste Jahr wurde gelagert, das Stroh wurde im Stall dem Vieh unterlegt, das für das tägliche Brot bestimmte Korn wurde in grosse Säcke abgefüllt, mit denen man zur Mühle an der Ilfis fuhr, die Gottlieb Diepoldswiler gehörte, dem Bauern des benachbarten Lindenhofs.

      Tage später mischte Anna, zusammen mit den Mägden, in grossen Schüsseln das Mehl mit Hefe, Salz und Wasser und knetete es zu einem Teig, aus dem das erste Brot vom Korn dieses Jahres gebacken wurde.

      Noch immer hielt Anna Jacob in ihrem düsteren Verlies das harte Laiblein an die Nase gepresst. Sie brach ein Stück ab und kostete davon. Es war ein Roggenbrot aus lieblos gemahlenem Korn, das schlecht schmeckte. Der Müller hatte es nicht für nötig befunden, Krüsch und Mehl zu trennen. Anna hätte ein solch billiges Mehl zurückgewiesen. Aber vielleicht wollte es Beth Wüthrich nicht anders. Sie erhielt für die Verköstigung der Gefangenen einen festen Betrag. Alles, was übrig blieb, gehörte ihr.

      Anna setzte sich auf ihr Lager. Ihr wurde bewusst: Sie würde in der nächsten Zeit hungern müssen. Auch nach den sieben Tagen, an denen sie auf eine Diät von Wasser und Brot gesetzt war. Was immer man ihr an Nahrung vorenthielt, bedeutete für die Wüthrichs zusätzliche Einnahmen.

      Sie selber hätte sich geschämt, am Essen für die Knechte und Mägde zu sparen. Natürlich kannte man Zeiten, in denen die Ernte schlecht ausfiel. Aber dann gab es für alle weniger. Margrit Jacob hatte ihr stets eingeschärft, es schicke sich nicht, dass der Bauer und die Bäuerin bei Tisch besser gestellt seien als die Bediensteten.

      Die gute Margrit. Sie war Annas Lehrmeisterin. Jeden Morgen, noch vor dem Frühstück, besprach sie mit der jungen Schwägerin, was zu tun sei in der Hofstatt, im Pflanzplätz und im Hühnerstall. Später, in der Küche, teilte Anna den beiden Mägden die Arbeit zu. «Jungfer Margrit wünscht», sagte sie oder: «Jungfer Margrit will.» Wenn etwas unklar war, hiess es: «Wartet einen Augenblick, ich will schnell Jungfer Margrit fragen.» War etwas unordentlich erledigt, zog sie die Brauen hoch: «Das wird Jungfer Margrit nicht gern hören, wenn ich es ihr erzähle.»

      Anna fühlte sich den beiden gegenüber unsicher. Christine und Therese waren ein paar Jahre älter und, genau gleich wie sie, Töchter von Kleinbauern. Was sie unterschied: Sie hatten nicht das Glück gehabt, in einen grossen Hof zu heiraten und waren damit zu einem Leben als Dienstboten bestimmt. Sie nahmen die Anweisungen der jungen Meisterin entgegen, führten sie auch aus, brachten aber, ohne dass es dazu irgendwelcher Worte bedurft hätte, zum Ausdruck, dass sie sie nur wegen ihrer Stellung akzeptierten.

      Als sich Anna darüber einmal bei Margrit beklagte, lachte sie die Ältere aus. «Wie sollen sie dich anerkennen, wenn du dich immer auf mich berufst.» Und tatsächlich, als Anna gelernt hatte, «Ich will» zu sagen und «Ich wünsche», als sie einmal Christine mit den Worten «Damit bin ich nicht zufrieden» tadelte und ihr zeigte, wie sie die Arbeit erledigt haben wollte, spürte sie zum ersten Mal, dass sie respektiert wurde.

      Am Abend, wenn das Tagwerk getan und das Essen abgeräumt war, sass sie mit den Mägden in der Stube am Spinnrad oder am Webstuhl. Manchmal strickten die drei Frauen Strümpfe oder besserten die Kleider des Bauern und der Knechte aus. Wenn sie Christine und Therese dann in ihre Kammer schickte, ging sie mit Ueli hinauf zu Margrit. Für sie war es die beste Zeit des Tages.

      Ueli, dem auffiel, dass seine junge Frau aus der Bibel nur einzelne Geschichten kannte und deren Sinn kaum begriff, bat seine Schwester, ihnen jeden Abend einen Abschnitt aus dem Markusevangelium vorzulesen. Anschliessend diskutierten sie über das Gehörte. An eine der Lesungen erinnerte sich Anna besonders gut. Es handelte sich um die Taufe Jesu durch Johannes Baptista. «Der Herr muss damals dreissig Jahre alt gewesen sein», sagte Ueli, als Margrit geendet hatte, und schaute sie, wie ihr schien, durchdringend an. Auch die Schwägerin, welche die Heilige Schrift auf den Beistelltisch gelegt hatte, musterte sie neugierig aus ihren grünen Augen. Anna glaubte zu spüren, dass die Geschwister von ihr eine Reaktion erwarteten.

      «Dreissig Jahre alt», wiederholte ihr Mann, «er war also längst erwachsen.»

      Das Wort «Erwachsenentaufe» fiel ihr ein. War Jesus bereits als Kind getauft worden? Sie wusste es nicht. Falls ja, weshalb hatte er sich ein zweites Mal taufen lassen? Aus Angst, sich damit blosszustellen, wagte sie es nicht, zu fragen. Vielleicht war ihr bei der Lesung etwas entgangen. Ihr Blick fiel auf die Bibel auf dem Tisch. Das mit Holzschnitten reich verzierte Titelblatt hatte sie stets fasziniert. Die Bilder erzählten die Geschichte von der Erschaffung der Welt bis hin zum Sündenfall. Auf einem weissen Feld in der Mitte war zu lesen: Die ganze Bibel der ursprüngliche Ebräischen und Griechischen wahrheyt nach auffs aller treüwlichest verteutschet. Und unten auf dem weissen Feld stand: Getruckt zu Zürich bey Christoffel Froschouer im Jahr als man zalt M.D.XXXI.

      «Das ist die schönste Bibel, die ich je gesehen habe», sagte sie schliesslich, um das Schweigen zu brechen. «Zuhause in Ramsei haben wir eine andere. Der Prädikant von Sumiswald hat sie uns empfohlen.»

      Margrit lächelte. «Das ist die Staatsbibel, die man auch im Unterricht verwendet. Sie wurde von Johannes Piscator, einem Professor an der Hohen Schule von Herborn, ins Deutsche übertragen. Seine Enkelin war mit einem Berner Ratsherrn verwandt. Die Gnädigen Herren lassen sie zum ausserordentlich günstigen Preis von zweiundzwanzig Batzen verkaufen. Wir ziehen allerdings die Froschauer-Bibel vor. Ulrich Zwingli selber hat sie, zusammen mit seinem Freund Leo Jud, übersetzt. Die Worte des Herrn sind hier genauer wiedergegeben.»

      «Und nur darauf kommt es an, wenn wir die Frohe Botschaft richtig verstehen wollen», fügte Ueli hinzu. Wieder schauten die Geschwister Anna erwartungsvoll an. Dann lächelten sie sich zu. Es schien, als seien sie stillschweigend zum Schluss gekommen, es sei noch nicht an der Zeit, die Frau und Schwägerin in ein Geheimnis einzuweihen, von dem nur sie wussten. «Es ist Schlafenszeit», meinte Ueli schliesslich.

      An diesem Abend lag Anna lange wach im Bett. Sie spürte, dass ihr Mann und seine Schwester ihr etwas Wichtiges vorenthielten, aber sie erriet nicht, um was es sich handelte.

      Ein paar Tage später wollte Anna von Margrit wissen, wer dieser Froschauer gewesen sei, der ihre schöne Bibel gedruckt habe.

      «Stoffel Froschauer?» Die Schwägerin lächelte. «Er war der erste Buchdrucker in Zürich und gehörte zum Freundeskreis Zwinglis. Berühmt geworden ist er nicht nur wegen der prachtvollen Ausgabe der Heiligen Schrift, die in seiner Offizin hergestellt worden ist, sondern auch, weil er und seine Gesellen am ersten Sonntag der Fastenzeit vor hundertsiebzig Jahren mit einem Wurstessen ganz bewusst das Fastengebot brachen.»

      «War das denn so schlimm?» Anna, die wie ihre Eltern und Grosseltern in der reformierten Tradition erzogen worden war, hatte sich nie Gedanken über das vorösterliche Fasten gemacht.

      «Ob das schlimm war?» Margrit schüttelte den Kopf über so viel Unkenntnis. «Das will ich meinen! Für diese Männer war es ein Akt der evangelischen Freiheit. Und ein Jahr später hob der Grosse Rat von Zürich, der Zwinglis Bibelauslegung übernommen hatte, alle Fasten-Gesetze auf. Die Würste von Froschauer gehören zur Geschichte unseres reformierten Glaubens.»

      Jetzt im dunklen und engen Mörderchäschtli auf Schloss Trachselwald, mit einem einzigen Laiblein Roggenbrot und einem Krug Wasser, fiel Anna Jacob dieses Gespräch mit ihrer längst verstorbenen Schwägerin wieder ein. In den Jahren, die seither vergangen waren, hatte sie gelernt, die Bedeutung des Wurstessens zu verstehen, so wie sie gelernt hatte, dass der wahre Glaube nicht bei der Staatskirche, sondern allein bei den kleinen Täufergemeinden zu finden war, die im täglichen Leben das Wort Gottes erfüllten. Beschämt musste sie

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