Das Ketzerweib. Werner Ryser

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Das Ketzerweib - Werner Ryser

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Mägde, Knechte, Tagelöhner. Auch für Bettler und Landstreicher stand immer ein Teller Suppe bereit, denn was man den Armen gab, das gab man dem lieben Gott.

      Zu Johanni trieb man das Vieh auf die Lüderenalp, von wo aus man einen überwältigenden Blick auf die mit ewigem Schnee und Eis bedeckten Alpen hatte, die von der Grösse des Schöpfers kündeten. Und während der Senn und seine Leute, denen die Bauern ihre Herden anvertrauten, in den Sommermonaten die Milch verarbeiteten und zu Michaelis mit grossen Laiben Hartkäse zurückkehrten, brachte man auf dem Auenhof die Heu-, später die Getreide- und schliesslich die Obsternte ein. Was man nicht selber brauchte, wurde auf dem Markt in Langnau oder in Bern verkauft.

      Auch im Winter, wenn das Vieh wieder im Stall stand und der Speicher bis unters Dach gefüllt war, gab es genug zu tun. Zusammen mit den Knechten drosch Ueli das Getreide oder schlug Holz im Wald. Anna und die Mägde sassen am Spinnrad, sie flochten aus Weidenruten Körbe und banden Besen, während Margrit in ihrer Kammer stickte und auf den kleinen Hannes aufpasste, der eben erst laufen gelernt hatte.

      Meistersleute und Gesinde auf dem Auenhof waren eine grosse Gemeinschaft. Man sass zusammen am Tisch und feierte miteinander die Feste im Ablauf des Jahres. Hansjakob, der Grossknecht, gehörte als Verwandter ohnehin zur Familie. Er würde den Auenhof kaum verlassen. Anders der Melker, der Karrer und die beiden Mägde. Mit ihnen schloss man jeweils auf Neujahr für weitere zwölf Monate einen Vertrag ab. Manchmal wollten sie ihn nicht mehr erneuern. Sie zogen einen Hof weiter, wurden Pächter oder heirateten wie Therese. Ihre Stelle übernahm Annas jüngere Schwester Lisa. Sie wollte nicht dem jüngsten Bruder als Magd dienen, der nach dem Tod des Vaters den Waldhof in Ramsei bewirtschaftete. Lisa, die ein sonniges Gemüt hatte, brachte Leben und Fröhlichkeit mit. Sie war allseits beliebt. Ueli lud sie ein, an den abendlichen Lesungen teilzunehmen. Nachdem sie ein- oder zweimal dabei gewesen war, kam sie aber nicht mehr. Das sei nichts für sie, befand sie. Es genüge, wenn sie sonntags in die Predigt gehe.

      Ihr Mann und seine Schwester, fand Anna, waren gebildete Menschen. Sie besassen ein halbes Dutzend Bücher, die in Margrits Kammer aufbewahrt wurden. Eines davon hiess «Pflantz-Gart». Geschrieben hatte es Daniel Rhagor, der vor einem halben Jahrhundert Landvogt in Gottstatt am Bielersee gewesen war. Während ihn die Ausführungen des Autors zum Rebbau kaum interessierten, blätterte Ueli immer wieder in den Kapiteln über Gemüse und Obst. Hinter dem Haus zog man für den Eigenbedarf Kohl, Rüben, Hülsenfrüchte, Lauch, Zwiebeln und mehr. Seit ihrer Heirat kümmerte sich Anna um diesen Garten. Manchmal las Ueli ihr vor, wie man im Jahreslauf für die Pflanzen sorgen sollte.

      «Weshalb lässt du sie nicht selber lesen?», fragte Margrit, ohne den gesenkten Blick vom Stickrahmen zu heben.

      «Ja, weshalb eigentlich nicht?» Die Geschwister schauten Anna fragend an.

      Sie hob abwehrend die Hände. «Ich kann nicht gut lesen.»

      Natürlich hatte Anna in Sumiswald die Schule besucht. Wie alle Kinder in der Berner Landschaft war sie vom Dorflehrer, der nebenbei eine Schusterwerkstatt betrieb, in den Wintermonaten unterrichtet worden. Mit Hilfe der Rute hatte der schlecht besoldete Mann seinen Zöglingen die Buchstaben und Zahlen eingebläut, später dann den Heidelberger Katechismus. Anna hatte oft gefehlt. Gründe dafür gab es mehr als genug: Als Älteste musste sie der Mutter im Haushalt helfen und hatte die kleineren Geschwister zu beaufsichtigen. Manchmal, wenn der Schnee zu hoch lag oder im Vorfrühling die Grüene über die Ufer trat, war für sie der Weg vom Waldhof am Ramseiberg nach Sumiswald nicht zu schaffen. Ab und zu hatte sie schlicht geschwänzt. So war es gekommen, dass sie Gedrucktes nur mühsam, Handschriftliches gar nicht lesen konnte.

      «Wer nicht lesen kann», sagte Margrit und schaute sie an, «kann die Wahrheit nicht selber erkennen. Er muss sich auf das verlassen, was andere sagen, und er weiss nie, ob das auch wahr ist oder nicht.»

      «Aber ich vertraue euch doch!»

      «Vielleicht kommt einmal die Zeit, wo du allein hier auf dem Hof bist», die Schwägerin ging nicht auf Annas Einwand ein, «dann wirst du froh sein, wenn du in der Schrift deinen Trost findest. Wir beginnen gleich heute damit, dein Wissen aufzufrischen.» Sie griff nach der Froschauer-Bibel und schlug das 5. Kapitel des Matthäusevangeliums auf. «Lies!»

      Anna wollte widersprechen, aber Ueli nickte ihr aufmunternd zu. Und so entzifferte sie stotternd die ersten Sätze der Bergpredigt: «Da er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg und setzte sich; und seine Jünger traten zu ihm …» Schweisstropfen standen auf ihrer Stirn, während ihr Zeigefinger den Buchstaben folgte. Sie kämpfte mit einzelnen Wörtern, verhedderte sich. Schliesslich verstummte sie. «Ich kann das nicht», schluchzte sie.

      «Natürlich kannst du es», die Schwägerin streichelte ihre Hand. «Von heute an wirst du jeden Abend einen Abschnitt aus der Schrift lesen. Du wirst sehen, bald wird dir der Text nicht nur fliessend über die Lippen gehen, du wirst ihn auch ebenso gut auslegen können wie der Prädikant.»

      Ueli sog hörbar Luft ein. «Margrit!», sagte er mahnend.

      «Vielleicht noch besser als der Prädikant, der nur den Gnädigen Herren nach dem Mund redet», sagte seine Schwester und starrte ihn herausfordernd an.

      «Ich will nicht, dass du ihr Flausen in den Kopf setzt.» Anna erschrak. Ihr Mann hatte, was ungewöhnlich für ihn war, die Stimme erhoben und schien zornig zu sein.

      Die Jahre zwischen 1677 bis 1687, die Anna mit Ueli Jacob auf dem Auenhof verbringen durfte, waren eine gute Zeit. Man hatte weder über zu lange Winter noch zu trockene Sommer zu klagen. Mensch und Vieh blieben vor grossen Seuchen ebenso verschont wie vor Hunger und vor Krieg. Auch vor Wassernot und Feuersbrünsten, den Geiseln des Emmentals, blieb man bewahrt. Nicht dass es keine Schicksalsschläge gegeben hätte. In diesem Jahrzehnt hielt der Tod dreimal bei ihnen Einkehr. Aber das gehörte zum Leben. Alles in allem war es, als gönne der Himmel dem Paar vor der grossen Heimsuchung, die ihr gemeinsames Leben zerstören sollte, eine Atempause.

      Uelis Schwester war die Erste, die der Tod mit sich nahm. So traurig es auch war, dass sie von ihnen ging, Anna hatte ihr Sterben erwartet. Margrit hatte es ja bereits am Tag ihrer Hochzeit angekündigt. Sie durfte noch erleben, dass die junge Schwägerin anfangs November 1678 ein zweites Kind, Ursula, zur Welt brachte. Man stellte tagsüber die Wiege mit dem kleinen Menschlein neben ihren Sessel. Und während der einjährige Hannes schwankend und mit unsicheren Schrittchen die Kammer seiner Tante erkundete, hielt sie das Geschöpfchen, in dessen staunende Augen sie ganz vernarrt war, in ihren Armen.

      Nach dem frühen Tod ihrer Eltern hatte sich Margrit ausschliesslich dem fünfzehn Jahre jüngeren Ueli zugewandt, hatte ihn grossgezogen und tatsächlich sah er in ihr mehr die Mutter als die Schwester. Sie war ledig geblieben. Wegen ihm? Für ihn? Ob sie je einen Liebsten gehabt hatte, wusste niemand. Sie selber sprach nie darüber. Worüber sie aber oft redete, das war ihre Sehnsucht nach Kindern. Hannes und Ursula erfüllten sie mit grosser Freude. Sie liebte die zwei vorbehaltslos und uneingeschränkt.

      Eines Tages, als Anna die Kleinen zu Margrit bringen wollte, lag die Schwägerin, entgegen ihrer Gewohnheit, noch im Bett. Ihr Atem ging flach und sie konnte nur mühsam sprechen: «Es geht zu Ende», keuchte sie, «hol Ueli.»

      Er setzte sich an ihren Bettrand und hielt ihre Hand. Anna war mit den Kindern unter der Tür stehen geblieben. Sie spürte: Jetzt, in der Stunde des Abschieds, mussten die Geschwister allein sein. «Ich könnte besser sterben», hörte sie Margrit flüstern, «wenn ich wüsste, dass du dich taufen liessest.»

      Anna sah, wie Uelis Körper steif wurde.

      «Die Seligkeit», keuchte Margrit und richtete sich halb auf, «die ewige Seligkeit.» Ihr gütiges Gesicht drückte eine grosse Qual aus. Sie umklammerte seine Hand. «Versprich es

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