Das Ketzerweib. Werner Ryser

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Das Ketzerweib - Werner Ryser

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wie einer, dem gegen seinen Willen ein Versprechen abgerungen worden war.

      Margrit sank ins Kissen zurück. Sie lächelte. Ihre Züge entspannten sich. Dann tat sie einen tiefen Atemzug.

      «Es ist vorbei», sagte Ueli. Es klang fast verwundert.

      Während der Abdankungsfeier, zu der Menschen aus allen umliegenden Dörfern in die Langnauer Kirche gekommen waren, dachte Anna über die letzten Worte der verstorbenen Schwägerin nach. Weshalb sollte sich Ueli taufen lassen? Hatte man ihn denn nicht als Kind bereits getauft? Sie wusste, dass sie ihn nicht danach fragen durfte. Immer wenn die Rede auf kirchliche Rituale kam, verschloss er sich. Sie hatte sich daran gewöhnt, aber sie schwor sich, dass sie das Rätsel lösen würde.

      Anna vermisste Margrit, die seit ihrer Heirat mit Ueli immer mehr zu ihrer Vertrauten geworden war. Manchmal, wenn sie sich ärgerte, weil Christine oder Lisa die Arbeit nachlässig verrichteten, dachte sie: «Das muss ich mit Margrit besprechen.» Dann fiel ihr ein, dass das nicht mehr möglich war. Ueli hatte sich seit dem Tod der Schwester in sich selbst zurückgezogen. Er mochte am Abend nicht mehr mit Anna zusammen in der Schrift lesen. Stattdessen entdeckte sie, dass er nun nachts oft aus dem Bett stieg und sich an den Tisch setzte, um beim Licht einer Kerze die Bibel zu studieren. Sie stellte sich schlafend, beobachtete aber aus halb geschlossenen Augen, wie er dasass, den Kopf in den Händen vergraben. Manchmal seufzte er, als liege ihm eine schwere Last auf dem Herzen. Nein, es war nicht so, dass er sich von ihr abwandte, aber ihn schien etwas umzutreiben.

      Anna war klar, dass auch für sie eine neue Zeit angebrochen war. Der Tod der Schwägerin und die Beschäftigung ihres Mannes mit sich selbst machten ihr deutlich, dass sie lernen musste, ihren Weg allein zu suchen. Bereits an Lichtmess spürte sie, wie sich in ihrem Leib neues Leben regte. «Werden und Vergehen», dachte sie und sagte zu Ueli: «Wenn es ein Mädchen wird, werden wir es auf den Namen Margreth taufen lassen. Sie soll in ihr weiterleben.»

      Ihr Mann sah sie lange an. «Darüber entscheidet Gott allein», sagte er schliesslich.

      Gott entschied anders. Das Kind, es war in der Tat ein Mädchen, kam tot zur Welt. Es habe sich mit der Nabelschnur stranguliert, erklärte Gret Fridlin, die Hebamme. Anna war untröstlich. Sie wollte es nicht wahrhaben, drückte das kalte, steife Körperchen an sich, rieb es, versuchte ihm Wärme zu spenden, hauchte ihren Atem zwischen die blutleeren, schmalen Lippen. Als Ueli die kleine Leiche vorsichtig aus ihren Armen löste, weinte sie herzzerbrechend.

      Lisa, ihre Schwester, die während der Geburt dabei gewesen war, hielt schweigend Annas Hand.

      «Du wirst dem Pfarrer melden, dass alles mit rechten Dingen zugegangen ist», sagte Ueli zu Gret. «Ich werde es im Bungert begraben.»

      Später folgte ihm die Hebamme hinters Haus. Sie brachte den Mutterkuchen mit. «Leg ihn zum Kind», sagte sie, «und pflanz dann ein Bäumchen aufs Gras, damit etwas aus ihm herauswächst, an dem sich deine Frau später freuen kann.» Schweigend schaute sie zu, wie Ueli das Grab zuschaufelte und lange im stillen Gebet davor verharrte.

      Es war nicht ungewöhnlich, dass Kinder starben. Man wusste: Von dreien würden nur zwei das Erwachsenenalter erreichen. Das änderte aber nichts daran, dass Anna lange um die kleine Margreth trauerte. «Ich komme einfach nicht darüber hinweg, dass wir sie ungetauft der Erde zurückgeben mussten», sagte sie eines Nachts, als Ueli wieder bei Kerzenlicht am Tisch sass und in der Bibel las.

      Erstaunt wandte er sich um. Er hatte geglaubt, sie schlafe: «Was ist denn so schlimm daran?»

      «Es ist wegen der ewigen Seligkeit.»

      «Wer sagt denn, dass ein Kind, das nicht getauft worden ist, nicht in den Himmel kommt?»

      «Alle sagen es. Auch der Prädikant.»

      «Und woher wissen sie es – alle und der Prädikant?»

      «Es wird wohl in der Bibel stehen.»

      Ueli erhob sich, legte sich neben Anna ins Bett. «Wir haben mit Margrit alle vier Evangelien gelesen», nahm er schliesslich das Gespräch wieder auf. «War da irgendwo von einer Kindertaufe die Rede?»

      Anna kramte in ihrem Gedächtnis. «Nein», gab sie schliesslich zu, «aber der Herr hat sich auch taufen lassen.»

      «Ja, aber da war er bereits erwachsen. Sogar Huldrych Zwingli, der Reformator, hat einmal gesagt, die Säuglingstaufe sei von Päpsten erdacht. Dass er die Erwachsenentaufe später, als er selber einer dieser Päpste wurde, ablehnte, ist eine andere Geschichte. Die Kindertaufe ist nur ein Brauch. Ein wahrer Christenmensch sollte sich aus einer bewussten Überzeugung taufen lassen.»

      «Aber das Margritli liegt jetzt in ungeweihter Erde», jammerte Anna.

      «Die Erde auf dem Gottesacker hinter der Kirche wird vom Prädikanten geweiht», sagte Ueli, «von einem, der sein Amt nicht von Gott, sondern von den Gnädigen Herren in Bern bekommen hat. Glaubst du wirklich, der Herrgott, lasse ein unschuldiges Kindlein, das nie gesündigt hat, vor der Pforte des Himmelreiches stehen?»

      Anna dachte nach. Dann fiel ihr das Versprechen ein, das Ueli seiner Schwester auf dem Totenbett gegeben hatte. «Hast du dich taufen lassen», fragte sie schliesslich.

      Es wurde still in der Kammer der beiden Eheleute. Anna hielt den Atem an.

      «Noch nicht», sagte ihr Mann gepresst, «noch nicht. Aber ich werde es nächstens tun.»

      «Du bist doch schon getauft», flüsterte sie, «wenn du es nochmals machst, bist du ein Ketzer und gehörst zu den Wiedertäufern.»

      «Wiedertäufer und Ketzer nennen sie die anderen. Selber bezeichnen sie sich als Altevangelische oder Täufer. Übrigens: Auch Margrit war eine von ihnen.»

      Ihrer misslichen Lage im Mörderchäschtli von Trachselwald zum Trotz huschte ein Lächeln über Annas Gesicht. Sie war noch so jung gewesen, gerade zwanzig Jahre, als sie erfuhr, dass sich ihr Ueli zu den Täufern bekannte. Jung und unerfahren.

      Erst Jahre später, als sie selber zu ihnen gehörte, begriff sie auch die Bezeichnung «Altevangelische». Gemeint waren jene Brüdergemeinden, die sich auf Petrus Waldus beriefen, einen Kaufmann aus Lyon, der vor fünfhundert Jahren einen Priester mit der Übersetzung der Evangelien beauftragt und sich dann dem Studium der Heiligen Schrift gewidmet hatte. Er traf sich mit seinen Gesinnungsgenossen. Man las gemeinsam das Evangelium und verbreitete es als Wanderprediger. Auch in den einsamen Tälern des Bernbiets hatte es Barben gegeben, wie die Anhänger von Waldus, ihrer üppigen Barttracht wegen, spöttisch bezeichnet wurden. Sie selber nannten sich «Evangelische». Als dann die Reformierten um Zwingli das Wort für sich beanspruchten, begann man zwischen alt- und neuevangelisch zu unterscheiden. Die Emmentaler Täufer im 16. und 17. Jahrhundert, zu denen auch die Jacobs gehörten, sahen sich in der Nachfolge jener Waldenser.

      Damals, als sie die kleine Margreth tot zur Welt gebracht hatte und erfuhr, dass sie mit einem Täufer verheiratet war, versuchte Anna, das, was sie hier und da über die Altevangelischen gehört hatte, zu ordnen. Die Behörden verfolgten sie. Bis vor hundert Jahren hatte man sie, wenn sie ihrem Glauben nicht abschworen, hingerichtet. Die Männer wurden enthauptet, die Frauen in der Aare ertränkt. Heute peitschte man sie, dem Volk zur Ermahnung, in aller Öffentlichkeit aus und verbannte sie aus dem Stand Bern oder verkaufte sie als Rudersklaven auf die Galeeren nach Venedig.

      In der Bevölkerung allerdings waren sie nicht unbeliebt. Sie galten als bescheiden, friedlich und arbeitsam. Zu Recht, musste Anna zugeben, wenn sie an ihren Mann und seine verstorbene Schwester Margrit

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