Fremder Mann an der richtigen Tür. Arno Alexander
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Arno Alexander
Fremder Mann an der richtigen Tür
SAGA Egmont
Fremder Mann an der richtigen Tür
Copyright © 1950, 2018 Arno Alexander und Lindhardt og Ringhof Forlag A/S
All rights reserved
ISBN: 9788711625958
1. Ebook-Auflage, 2018
Format: EPUB 2.0
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Absprache mit Lindhardt og Ringhof gestattet.
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I
Der Zug der U-Bahn hielt. Wittenbergplatz! Menschen stiegen aus, stiegen ein. Alle hatten es eilig, irgendwo hin zu kommen, wo man sie erwartete, wo sich irgendwer darauf freute, sie wiederzusehen. Und niemand hatte Zeit, ihn zu beachten, diesen einen unter vielen, den niemand erwartete und auf den niemand sich freute.
Einen Augenblick blieb Werner stehen und betrachtete sich in dem kleinen Spiegel der Automatenwaage. Ob man ihm wohl ansah, von wo er kam? Sein Gesicht hatte die fahle Farbe, diesen unverkennbaren Stempel, den einem ein längerer Aufenthalt im Zuchthaus aufdrückt, aber seine Kleidung sprach von Wohlhabenheit und paßte nicht recht zu dem Bilde, das man sich allgemein von einem entlassenen Sträfling macht… Der ehemalige Strafgefangene Nr. 907 zuckte die Achseln und wandte sich dem Ausgang zu.
Unfreundliches Schneewetter empfing ihn. Er schlug den Pelzkragen hoch und ging gewohnheitsgemäß, als sei er erst gestern hier gewesen, in der Richtung Nürnberger Straße. Es waren nur wenige Schritte — dann würde er sie Wiedersehen, Thea, um derentwillen er dreiunddreiviertel Jahre Zuchthaus verbüßt hatte. Zu fünf Jahren war er verurteilt worden: Bücherfälschung und Unterschlagung anvertrauter Gelder. Einundeinviertel Jahr waren ihm geschenkt worden — wegen guter Führung. Das Bewußtsein, wieder ein freier Mensch zu sein, war neu und ungewohnt; denn bis gestern hatte er glauben müssen, noch fünfzehn Monate Strafzeit vor sich zu haben.
Nun stand er vor der filzbeschlagenen Tür im fünften Stock. Alles sah noch so aus wie vor vier Jahren; nur der Anstrich des Treppenhauses war erneuert. Werner klingelte, und der altbekannte, etwas schnarrende Glockenton zauberte ihm mit einem Schlage das Bild vor Augen, das er damals so oft gesehen hatte: Thea, die Hausschürze umgebunden, das Haar immer etwas in Unordnung, aber die Augen hell und glänzend vor Freude; und dazu dieser Küchengeruch nach etwas Gebratenem, dieser Geruch, der ihn am Anfang stets gestört hatte und den er später geradezu vermißt hatte.
Die Tür wurde geöffnet. Von einer fremden Frau.
Etwas unsicher brachte Werner seine Frage vor. Hier wohnt doch Fräulein Baum — Fräulein Dorothea Baum?
Nein, sagte die Frau, Fräulein Baum wohne seit drei Jahren nicht mehr hier.
Verstört erkundigte er sich nach Theas neuem Wohnort, murmelte etwas kaum Verständliches von einem Verlobten, von einer langen Reise.
Aber da fuhr ihm die Frau schon dazwischen: Verlobt? Komisch! Vor drei Jahren hätte doch das Fräulein Baum eine Erbschaft gemacht und gleich darauf ihren Bräutigam geheiratet. Und dann seien die beiden ins Ausland, nach Amerika wohl…
Werner dankte. Er war totenbleich.
Ob ihm was fehle? fragte die Frau. Ob sie ihm helfen könne?
Nein, ihm fehle durchaus nichts. Danke — danke sehr.
Die Tür fiel ins Schloß. Dumpfe Schritte entfernten sich.
Langsam steig Werner die Stufen hinab, etwas unsicher, ein wenig taumelnd. So hatte er sich damals gefühlt, als er das einzige Mal im Zuchthaus die Geduld verlor und gegen einen Aufseher losging. Ein kurzer, harter Schlag auf den Kopf, und alles war anders. Man sah sofort ein, wie sehr man im Unrecht gewesen war, wenn man solch einen harten Schlag auf den Kopf bekam. Und ein taumeliges Gefühl war alles, was zurückblieb.
Er ging den Weg zum Wittenbergplatz zurück. Der Schnee fegte ihm kalt und naß ins Gesicht. Aus! dachte er. Vollkommen aus! Dreiunddreiviertel Jahre umsonst gesessen und umsonst gehofft… Thea hatte ihn betrogen — häßlich, und gemein betrogen. Erbschaft? Er kannte diese Erbschaft! Ihn hatte sie beerbt, ihn, den arbeitslosen Chemiker Werner Binger, der fast vier Jahre seines Lebens verkauft hatte, um ihr und sich die Möglichkeit zu schaffen, endlich ein menschenwürdiges Leben zu beginnen. Zwanzigtausend Mark hatte er ihr gebracht — am Tage, bevor er sich einsperren ließ. Ob sie ihn wohl jemals geliebt hatte? Ja, sicherlich — aber nur so lange, bis jener andere kam. Lächerlich! Wie hatte er sich einbilden können, sie würde jahrelang auf ihn warten?
Was war er nun? Ein vorbestrafter arbeitsloser Chemiker! Da konnte er sich wirklich beglückwünschen! Weit hatte er’s gebracht! Nein, so ganz stimmte das nicht: Seine Papiere lauteten anders. Fabrikbesitzer Gerhard Leiner — hieß es darin.
Als sei es erst heute gewesen, erinnerte sich Werner noch jenes Abends, als er nach Hause kam und einen Fremden in seinem Zimmer vorfand. Einen unheimlichen Gast. Einen Mann, der aussah wie er — Werner Binger — selbst.
Oh, in der Kleidung war da wohl ein Unterschied gewesen! So einen feinen Pelz, so schöne Lackschuhe und eine so vornehme Krawatte aus matter, schwerer Seide hatte er selbst noch nie getragen. Aber das Gesicht, das Gesicht! Zug um Zug war es sein Gesicht, sein eigenes Gesicht, das ihm da hohl und bleich entgegenstarrte… Und dann begann der Mann zu sprechen — mit einer Stimme, die ein wenig höher klang als seine eigene. Der Unterschied war kaum wahrnehmbar, aber Werner merkte ihn doch und beruhigte sich allmählich. Es war kein Gespenst, das da vor ihm saß, es war ein Wesen aus Fleisch und Blut, ein Mann, der ihm verblüffend ähnlich sah — weiter nichts.
Und dieser Mann — Fabrikbesitzer Gerhard Leiner — hatte leichtsinnig gewirtschaftet, hatte spekuliert, um seine Verluste wieder auszugleichen. Es ging schief. Schließlich hatte er anvertraute Gelder angegriffen und sich Bücherfälschungen zuschulden kommen lassen. Ja, nun war es so weit, daß man diese Betrügereien jeden Augenblick entdecken konnte. Leiner mußte verschwinden, mußte ins Ausland, wo er sich eine neue Existenz aufbauen wollte. Und dann kam das Tolle, das Unglaubliche: Leiner hatte Werner Binger einige Tage vorher auf der Straße gesehen, war ihm bis nach Hause gefolgt — da war ihm der Gedanke gekommen, Werner sollte die Strafe für ihn verbüßen. Leiner bot ihm zwanzigtausend Mark dafür.
Zwanzigtausend Mark! Er, Werner Binger, war seit Jahren arbeitslos, lebte in einer Dachstube, hungerte und fror, lief tagtäglich nach Arbeit, kehrte tagtäglich verzweifelter zurück, hatte längst alle Hoffnungen aufgegeben — da wurde ihm mit einemmal eine Summe geboten, die alle Wege öffnete, Wege ins Leben, Wege ins Glück! Eine Summe, auf die sie aufbauen konnten, er und Thea. Werner hatte sich gegen diese Gedanken wehren wollen — es hatte nichts genützt. Er vergaß, daß dieses Glück mit einigen Jahren Zuchthaus erkauft werden mußte, vergaß, daß er einen Betrug beging; er dachte nur noch daran, daß er nie mehr würde hungern müssen… Und dann hatte er ja gesagt.
Was nun folgte, war wie ein einziger Farbfleck von Eindrücken in ihm haften geblieben. Da war das Geld, daß Leiner ihm vorzählte,