Fremder Mann an der richtigen Tür. Arno Alexander
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Fremder Mann an der richtigen Tür - Arno Alexander страница 4
Er hielt den Blick gesenkt und wagte nicht, aufzusehen. Der alte Gotthelf hatte ihn nicht erkannt, hatte den Betrug nicht durchschaut, doch konnte er ja auch den wahren Leiner nicht so gut kennen, wie die Frau ihn kannte. Werner hatte das schreckliche Gefühl, als müsse er schon beim ersten Blick geheimen Einverständnisses versagen.. Ich muß weg von hier! grübelte er und starrte das Muster des Tischtuches an. Ein Kreis, ein Rechteck, noch ein Rechteck… Weg von hier, so schnell wie möglich! Dreidreiviertel Jahr wogen leicht gegen die Qual dieser Minuten… Aber wie kam man von hier weg? Warum war er nicht fähig, aufzuspringen und davonzurennen? Übrigens war das gar nicht nötig. Er konnte einfach aufstehen und sagen: „Sie irren sich, gnädige Frau! Ich habe wohl für ihren Mann fast vier Jahre abgesessen, aber ich bin nicht der — nein, nein…“
Die drückende Stille wurde durch den alten Onkel Gotthelf unterbrochen.
„Jetzt mache ich Tee!“ rief er und erhob sich.
„Nein, nein — ich will nichts trinken!“ widersprach Werner schnell. Jetzt mit dieser Frau allein bleiben —?
Gotthelf aber ließ sich nicht beirren. Er wußte, daß man ein Ehepaar in solchen Fällen allein zu lassen habe. Und mit einem verschmitzten Lächeln drückte er sich zur Tür hinaus.
„Gerd!“ flüsterte sie. „Wie hab’ ich diesen Augenblick herbeigesehnt —! Wie hab’ ich mich darauf gefreut —! Gerd!“
Er faßte nach ihren Händen, um sie von seinen Schultern zu nehmen, doch da fühlte er, wie ihre kleinen, spitzen Fingernägel sich in seine Hände einkrallten, er sah ihr Gesicht sich dem seinen nähern, spürte ihren Atem und einen leichten Veilchenduft, der von ihr ausging — für eine Sekunde erschien sie ihm wie die Verkörperung der Sehnsucht vieler schlafloser Nächte, und er schloß erschöpft die Augen.
Als er aber ihre weichen Lippen auf den seinen fühlte, schoß ihm jäh der Gedanke durch den Kopf, wie diese Frau ihn verachten müßte, wenn sie einmal erführe, daß er ihr Vertrauen so schmählich mißbraucht hätte. Mit einem kaum unterdrückten Stöhnen riß er sich los. „Nein, Änne, nein!“ stieß er hervor. „Auf keinen Fall… Nein…“
Sie starrte ihn nur an — fassungslos — nichts begreifend. „Du liebst mich nicht mehr?“ fragte sie still.
Natürlich! Was lag näher als diese Annahme? Nur so konnte sie sich sein merkwürdiges Benehmen erklären. Und wenn er nun einfach sagte, er liebe sie wirklich nicht mehr — würde er dadurch nicht eine Menge Schwierigkeiten aus dem Wege räumen? Ja, ja, das war die richtige Antwort… „Ach“, sagte er, „lieben?“ Dann sah er sie an, zwei, drei Sekunden lang, diese Frau, der jener Gerhard Leiner alles genommen hatte bis auf eines: die Liebe. Um dieses einen willen hatte sie mutig und ohne zu klagen, alles Leid ertragen, das er ihr zufügte. Und nun kam er, Werner, und sollte ihr diesen letzten Lichtblick in ihrem zerstörten Leben nehmen — ein Glück, das nur in ihrer Einbildung bestand, aber ein Glück, das ihr alles war? „Vielleicht habe ich dich noch nie so geliebt wie in diesem Augenblick“, sagte er langsam und fühlte jäh, daß diese Lüge keine Lüge war. Das heiße Mitleid mit ihr und diese hoffnungslose Sehnsucht nach ihrer Liebe — konnte Leiner das je empfunden haben? Niemals. Sonst hätte er diese Frau nicht so gleichgültig ihrem Schicksal überlassen und wäre nicht nur um sich und sein Fortkommen besorgt gewesen.
„Und warum dann — —?“ begann sie zögernd.
Er ließ sie nicht zu Ende sprechen. „Ich habe über das alles viel nachgedacht — all die Jahre…“
„Ich weiß“, unterbrach sie ihn leise, „du hast viel über unsere Ehe nachgedacht…“
„Ja, und ich bin zu dem Entschluß gekommen. Ich muß deine Liebe erst verdienen — muß ihrer erst würdig werden… Ich habe hier so vieles gutzumachen…“ Er sah sie an, und an ihrem Blick erkannte er, daß sie ihm kein Wort glaubte. Natürlich! Solche Worte hatte sie von Leiner sicherlich nie zu hören bekommen.
„Aber Gerd“, flüsterte sie unsicher, „es ist doch alles gut! Niemand macht dir Vorwürfe…“
„Ist es denn nötig, Vorwürfe laut werden zu lassen?“ rief er heftiger, als er gewollt. „Ist die Tatsache, daß du am späten Abend erst von der Arbeit kommst, nicht ein Vorwurf? Ist die Tatsache, daß ihr beide euch vor mir, der euch betrogen und um allesgebracht hat, daß ihr euch vor mir fürchtet — ja, fürchtet! — kein Vorwurf?“
Sie erwiderte nichts. Mit langsamen, müden Schritten ging sie aufs Sofa zu und setzte sich. In jeder ihrer Bewegungen war etwas Mutlos-Ergebenes, und es war nicht nötig, daß sie den Kopf senkte, um ihn spüren zu lassen, wie weh er ihr getan hatte… „Wenn ich etwas falsch gemacht habe, Gerd“, sagte sie endlieh tonlos, „so geschah es nicht mit Absicht…“
Werner hatte das ohnmächtige Gefühl, als kämpfe er gegen Schattenbilder. Das war etwas Entsetzliches: Zuschlagen — ins Leere! Leiner hatte in seinem Hause alle Widerstände beseitigt. Für immer. „Es ist gut, Änne!“ Werner bemühte sich, einen nachlässigen, väterlichen Ton anzuschlagen. „Ich bin dir nicht böse…“
Sie stand auf, ihr Gesicht glättete sich, und aus den Augen war der furchtsame Ausdruck gewichen. Mit den letzten Worten — mit diesem höhnischen Ton — hatte Werner also das richtige getroffen… Sie trat auf ihn zu, faßte ihn am Arm. „Komm!“ sagte sie. „Ich will dir dein Zimmer zeigen!“
Widerstrebend folgte er ihr über den kleinen Vorraum. Sie öffnete eine Tür und drehte Licht an. Er sah ein kleines, behaglich eingerichtetes Zimmer mit Arbeitstisch, Sofa, einigen Sesseln und — was ihm auffiel — nur ein Bett. Leiner mußte die Gewohnheit gehabt haben, nicht im gleichen Zimmer mit seiner Frau zu schlafen. Werner atmete auf. Es war die erste Gewohnheit Leiners, die ihm sympathisch war.
Die Tür von der Küche öffnete sich. Werner sah den alten Gotthelf mit zwei Kannen hereinkommen.
„Der Tee ist fertig!“ rief er munter. „Bitte, Platz zu nehmen!“
Werner fühlte deutlich, daß Änne etwas von ihm erwartete. Er mußte irgend etwas sagen. „Ich danke dir, Änne!“ meinte er zögernd.
Freundlich sah sie zu ihm auf. „Ja? Gefällt es dir hier?“
„Sehr gut.“
„Du wirst dich hier wohlfühlen… Der Tisch ist noch derselbe, der Vorhang am Fenster auch. Das konnte ich zurückkaufen. Sieh, und dort ist die Klingel! Wenn du etwas brauchst, klingelst du — wie früher. Nur haben wir jetzt keine Dienerschaft. Der Onkel macht aber alles sehr gut…“
Sie hatte ihren Arm in den seinen gelegt. So gingen sie langsam ins Eßzimmer zurück. Und diese unwichtigen, alltäglichen Dinge, über die sie sprachen, brachten es Werner deutlicher als alles bisher zum Bewußtsein, daß er jetzt ein Bestandteil dieser kleinen, gemütlichen Wohnung geworden war und daß diese Frau, die sich wie selbstverständlich im Gehen leicht gegen seine Schulter lehnte, sich ganz als zu ihm gehörend betrachtete. Es war etwas Besonderes in dieser Hingabe, in jeder ihrer Bewegungen — etwas, das er noch nicht kannte. Und die ruhige Selbstverständlichkeit, mit der sie es tat, war daran schuld, daß er fast einen gewissen Besitzerstolz fühlte und für einen kurzen schönen Augenblick vergaß, wie wenig Berechtigung er dazu hatte…
Als sie dann zu dritt am Teetisch saßen, wandte sich das Gespräch wieder den kleinen Sorgen der Familie zu.