Fremder Mann an der richtigen Tür. Arno Alexander

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Fremder Mann an der richtigen Tür - Arno Alexander

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Werner hörte nun schon wieder diesen Namen, und er begriff, daß er sich über Leiners Verhältnis zu diesem Manne so genau wie möglich unterrichten mußte, wenn er vermeiden wollte, daß Liegnitz ihn sofort durchschaute. „Ja“, meinte er nachdenklich, „Liegnitz war immer ein treuer Freund.“

      „Gewiß“, fiel Gotthelf wieder ein, „ich hab’ es Änne immer wieder gesagt, aber sie wollte es nicht wahrhaben. Es hat lange gedauert, bis auch sie einsah, was für ein Prachtmensch er ist.“

      Werner horchte auf. Also war Änne nicht immer von diesem Liegnitz eingenommen gewesen? Das gab zu denken. Das. Gefühl einer Frau witterte manchmal dort die Wahrheit, wo der Verstand des Mannes versagte…

      „Was hattest du eigentlich gegen ihn?“ fragte er hamlos und spielte dabei mit seinen Streichhölzern.

      Sie überlegte erst ein wenig, ehe sie zögernd antwortete: „Ich weiß nicht — aber ich glaubte früher immer, gerade der Einfluß dieses Liegnitz habe dich so weit gebracht… Nein, Gerd, du sollst dich nicht ärgern! Ich habe nichts mehr gegen Liegnitz. Er hat mir bewiesen, wie sehr ich mich in ihm täuschte. Geradezu beschämend war es für mich, als er sich meiner annahm, zumal er doch wußte, wie ich früher über ihn gedacht hatte…“

      „Erst in der Not erkennt man seine wahren Freunde!“ warf Werner hin. Das verbrauchte Wort widerte ihn an. Aber was anderes als Plattheiten konnte er vorbringen, wenn er sprechen wollte, ohne dabei etwas zu sagen? „Auch Großfeld —“ er merkte, wie Änne unruhig wurde, „— auch er ist treu geblieben?“

      Etwas hastig erzählte Änne: „Großfeld hat es inzwischen zu etwas gebracht. Sein Onkel ist nämlich gestorben. Ja, und mit dessen Geld ging es bei Großfeld gleich bergauf. Er eröffnete ein Atelier im Westen, warf unsinniges Geld für Propagande hinaus, und plötzlich entdeckten alle Damen der Gesellschaft, daß es zum guten Ton gehörte, sich ihre Lichtbilder nur bei Großfeld anfertigen zu lassen. Nun hat er zehn Angestellte und wird doch kaum mit der Arbeit fertig. Du wirst ihn gar nicht wiedererkennen, so fein und vornehm ist er geworden.“

      „War er nicht — ein bißchen verliebt in dich, Änne?“ fragte Werner.

      Sie versuchte ein Lachen, doch es klang nicht ganz echt „Ach, das ist er heute noch! Genau so! Eigentlich hätte ich ihm nie so viel Ausdauer zugetraut…“

      „Er hat Änne viel Geschenke gemacht“, berichtete Gotthelf. „Blumen, Schokolade, Schmuck und — Möbel!… Aber sie hat nur die Blumen und die Schokolade behalten! Er hat bei sich ein Zimmer eingerichtet — das nennt er Museum. Da stehen und liegen alle die Geschenke herum, die ihm Änne so im Laufe der Jahre zurückgeschickt hat. Sogar ein Klavier ist dabei. Ich habe einmal darauf gespielt; es hat einen wunderbaren Ton. Aber Großfeld spielt nie darauf. Es gehört Änne, hat er gesagt.“

      „Eine rührende Liebe!“ bemerkte Werner, als Gotthelf schwieg, und er kam sich dabei wieder unsäglich dumm vor. Wie lange würde er denn dazuverurteilt sein, hier solche platte Weisheiten vorzubringen? Jedes vernünftige Wort konnte ihn verraten.

      „Die Uhr ist eins!“ rief Gotthelf erschrocken. Änne — du hast doch morgen um zehn Uhr Dienst!“

      „Das macht nichts“, wehrte sie ab. „Wenn ich drei Stunden geschlafen habe, bin ich munter…“

      „Nein, nein, jetzt wird schlafengegangen!“ beharrte Gotthelf. „Sag du ein Machtwort, Gerd!“

      Werner stimmte ihm zu. Er selbst spürte keine Müdigkeit, doch sehnte er sich danach, mit seinen Gedanken allein zu sein.

      Gotthelf wünschte beiden gute Nacht und begann, den Tisch abzuräumen. Änne half ihm dabei.

      Auch Werner hätte gern mit zugegriffen, aber er war überzeugt, daß Leiner etwas Derartiges nie getan hätte. So stand er eine Weile tatenlos daneben und begab sich dann langsam in sein Zimmer. Nach einigen Minuten folgte ihm Änne.

      Er hatte sich in den Schreibtischsessel gesetzt, etwas seitwärts, so daß er das Zimmer überblicken konnte.

      Änne blieb vor ihm stehen. Sie hob die Hände, als wolle sie ihn beim Kopf fassen, aber irgend etwas in seiner Miene veranlaßte sie, statt dessen die Hände auf den Schreibtisch zu stützen. „Darf ich noch ein bißchen bei dir bleiben?“ fragte sie unschlüssig.

      Er sah sie an, und ihre Aufregung brachte auch ihn um die mühsam erkämpfte Ruhe. ,Nein, nein‘, hätte er schreien mögen. ,Geh! Geh sofort!‘… „Ja, gewiß!“ würgte er heiser hervor. Verstört, im Innern aufgewühlt, sah er zu, wie sie behend die Schuhe von den Füßen streifte und aufs Sofa kletterte, wo sie sich in die Ecke kauerte. „Weißt du, daß du dich eigentlich sehr wenig verändert hast?“ plauderte sie. „Ich hab’ mir immer gedacht, wenn du kämest, würde ich dich kaum wiedererkennen. Dachte mir, solche. Jahre könnten einen Menschen völlig umwandeln. Aber du siehst aus — — Wenn ich die Augen schließe, dann sehe ich dich wie früher vor mir… Nur deine Stimme klingt irgendwie anders, ja, und etwas schmaler bist du im Gesicht geworden, doch vielleicht sieht das nur so aus, weil dein Haar abgeschoren ist Es muß schnell wieder wachsen, Gerd! So gefällt es mir gar nicht!“

      Er versuchte zu lächeln. „Ich werde mich damit sehr beeilen, Änne…“

      Ihr. schwarzes Kleid hatte sich etwas verschoben und gab ihre Beine bis zu den Knien frei. Hatte sie es nicht bemerkt, oder verharrte sie mit Absicht in dieser Lage? Auch das war denkbar; denn für sie war ja der, der hier saß, der eigene Mann, vor dem sie es nicht nötig hatte, ihre Beine zu verstecken. Für ihn aber war sie eine fremde, eine wunderbar schöne fremde Frau, die er — er fühlte es immer stärker — heiß begehrte und die er doch nicht begehren durfte, sofern er später einmal den Blick ihrer Augen ertragen wollte — später, wenn sie die Wahrheit erfuhr.

      „Erzähl mir ein wenig von deinem Leben — dort!“ bat sie. „Wenn es nicht zu sehr schmerzt, meine ich.“

      Langsam, mit äußerster Beherrschung seiner Gesichtsmuskeln, streckte er die Hand aus und strich ihr das Kleid über die Beine. Sie lächelte. Ganz natürlich war dieses Lächeln. Dann aber begegnete sie seinem Blick, und jetzt sah er, wie sie tief errötete. Es war etwas so Bezauberndes in ihrer fast mädchenhaften Verwirrung, daß er beinah alle seine Vorsätze vergessen und sie ungestüm an sich gerissen hätte.

      Er sprang auf und lief durchs Zimmer. Zur Tür und wieder zurück, noch einmal und immer wieder. Und er begann zu sprechen — anfangs etwas überstürzt — von den Leiden und Sorgen seines Daseins als Strafgefangener, Je länger er sprach, um so mehr beruhigte er sich. Die Erinnerung an diese gleichmäßigen Tage, Wochen, Monate und Jahre versetzte ihn allmählich in den Zustand kühler Gelassenheit.

      Auf und ab wanderte Werner, mit unhörbaren Schritten. Der Teppich dämpfte alles ab. Wenn er bei Änne vorbeikam, sah er ihre dunklen Augen im Lampenschimmer leuchten. Er sah es ihrem Gesicht an, wie sie mitlebte, mitlitt und sich mitfreute.

      Und plötzlich kam ihm der Gedanke, ob wohl Thea auch so aufmerksam und voller Teilnahme seinen Erzählungen zugehört hätte. Nein! Fast mußte er bei dieser Vorstellung lächeln. Thea — wenn sie wirklich auf ihn gewartet hätte — wäre heute nacht mit ihm losgezogen, seine Befreiung zu feiern. Jetzt, um zwei Uhr, wären sie lachend und trunken in einer Mietdroschke auf dem Heimweg gewesen. Von dem Geld hätte Thea gesprochen und von ihren Zukunftsplänen, nie aber davon, was er gelitten haben mochte, um das zu erreichen. Thea —! War es nicht sonderbar, daß er fast vier Jahre lang ihr Bild stets vor Augen gehabt hatte, wenn er an sie dachte, und daß er sich jetzt vergeblich bemühte, ihr Gesicht und ihre Gestalt vor seinen inneren

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