Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
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Sie erzählten. Ihre Beichte trug den Stempel der Wahrheit, jedes Wort war in Tränen gebadet. Wie es gekommen, warum es gekommen, wußten sie nicht zu sagen. Hephästion schauderte bis ins Mark hinein, als sie anfingen, Namen zu nennen; er schauderte und staunte über den Umkreis, den der finstere Plan in der Kürze der Zeit gezogen hatte. Manche hatten sich herzugedrängt, die nicht einmal wußten, was im Werke war, sie rochen es in der Luft, kamen nur aus dem dumpfen Trieb zur dunklen Tat, aus verruchter Neugier, aus Veränderungssucht. Da waren Leute, denen Alexander nur Gutes erwiesen, Männer von scheinbar erprobter Treue, die man sonst als Freunde, als Kameraden hochschätzen durfte, und nun!
Warum? warum?
In Hephästions Innern verging alles Licht. Er wurde an sich selbst irre. Er haßte den Boden, den sein Fuß betrat, die Luft, die sein Mund atmete. Doch er durfte sich den gefährlichen Regungen nicht hingeben; klar und rasch im Urteil, begann er zu handeln. Er ließ die zwei Knaben auf der Stelle erdrosseln, ihre Leiber in einer Sänfte außerhalb des Lagers schaffen und in seinem Beisein verscharren. Zurückgekommen, schickte er Boten herum und beschied die andern Verschwörer, es waren neun an der Zahl, zu sich in den Palast. Als sie kamen, ertönte im Lager schon die Hochzeitsfanfare. Er begab sich mit ihnen in einen abgelegenen Raum und redete sie an. Er machte ihnen weder Vorwürfe noch zeigte er ihnen seine innere Betrübnis, noch erinnerte er sie an die Wohltaten, die sie von Alexander empfangen hatten, sondern er erzählte ihnen eine kleine Parabel.
Einer der persischen Großen trachtete einst seinem König nach dem Leben und zettelte eine Verschwörung an. Da kam ein Einsiedler aus Syrien zu diesem Mann und brachte ihm einen Schädel, einen ganz gewöhnlichen Schädel von einem Totengerippe. Was soll ich damit? fragte der Mann. Wäge ihn und bewahre ihn, erwiderte der Einsiedler. Der Perser ließ eine Wage kommen und legte den Schädel auf die eine und Gewichte auf die andere Schale. Aber sonderbar, der Schädel war schwerer als alle Gewichte, die man auftreiben konnte, es wurde nichts gefunden, was ihn aufgewogen hätte. Als man darüber ganz ratlos geworden war, nahm der Einsiedler eine Handvoll Staub und verstopfte damit die Augenhöhlen des Schädels. Und da erhob sich plötzlich der Schädel, obwohl nur ein kleiner Stein auf der andern Schale lag. Der Perser wurde darüber sehr nachdenklich, und von der Stunde an ließ er ab von seinem schwarzen Vorhaben.
Die Wirkung der simplen Geschichte war erschütternd. Vielleicht war Hephästions Ruhe schuld, seine Vernunft, seine Klarheit, seine Einfachheit. Die neun Männer gerieten ganz außer sich, sie wehklagten, rauften ihre Haare, weinten, warfen sich auf den Boden und überließen sich ohne Ausnahme dem Schmerz ihrer Scham und Reue. Als sie sich ein wenig beruhigt hatten, da gebot Hephästion, jeder solle den Oberarm entblößen und mit dem Schwert ein blutiges Mal in die Haut ritzen, und jeder solle das gleiche Zeichen eingraben zum Andenken an diese Stunde, damit sie bei künftigen Versuchungen durch einen Talisman gefeit seien. Das geschah, und darauf entließ er die Männer zum Feste.
Er selbst eilte ins Bad, ließ sich abreiben und salben und mit dem reichen Perserkleid schmücken. Es war spät. Der Zug der Bräute war schon aufgebrochen. Sein Fernbleiben konnte nicht unbemerkt geblieben sein. Mit überstürzter Hast, so daß seine Sklaven weit zurückblieben, verließ er den Palast. In der Hauptgasse des Lagers geriet er in ein so dichtes Menschengewühl, daß er eine Zeitlang weder vor-noch rückwärts konnte. Einige Griechen, die ihn erkannten, halfen ihm heraus. Doch auch die Seitenwege zwischen den Zelten waren voll von Menschen, die freien Plätze voll von Kaufleuten, Sängern, Tänzerinnen und Komödianten. Wie Orkanbrausen war das Getöse der Stimmen, die vielfachen Rufe, das Weibergeschrei, das schmeichlerische Girren der Perser, die düstere Sprache Babylons, die dumpfen Laute Thessaliens. Da war der Libyer im Lederwams, der dunkelfarbige Sohn Gedrosiens, der zierlich-würdevolle Araber, der ernste Meder, der Inselbewohner vom Roten Meer mit Goldstaub in den Haaren, der bewegliche Parther, der wilde Hyrkanier, der bäurisch plumpe Paphlagonier, der Arkader mit der Ledermütze, und wie sehr auch alle in Bildung und Gehaben verschieden waren, ein Zug war ihnen gemein: jedwedes Gesicht zeigte den Ausdruck der zügellosen Lüsternheit, des Rausches um seiner selbst willen, einer seelenlosen Ekstase. Fast alle Augen hatten einen unheimlich starrenden Ausdruck; es war bei all dem frechen Überschwang etwas angstvoll und angespannt Horchendes in den Gesichtern; ihre Rauheit war nicht kriegerisch, sondern glich der von Helfershelfern bei einer Schandtat.
Hephästion hatte es längst gewußt, aber seine Beobachtung war nie von solcher Furcht begleitet gewesen. Mit heftiger Anstrengung schüttelte er das Nachdenken von sich ab. Seine Sklaven hatten ihn eingeholt, liefen schreiend vor ihm her und bahnten eine Gasse im Gewühl. Vor dem großen Hochzeitszelt ertönte zum drittenmal die Fanfare. Durch ein Spalier von siebenhundert Edelsöldnern in purpurnen Gewändern zogen die persischen Bräute ein, voran die Fürstentöchter mit Kronen im Haar.
Das riesige Zelt, in dem sich mehr als zehntausend Menschen befanden, ruhte auf achtzig vergoldeten und versilberten, mit Edelsteinen ausgelegten Säulen. Von blinkenden Elektronstäben hingen kostbare Teppiche herab. Die Ruhelager hatten goldene Polster und goldgestickte Purpurdecken. Als Hephästion eintrat, wurden von den Makedonien an der Hochzeitstafel schon die Brote mit dem Schwert zerteilt, das Ende der Vermählungshandlung, und die Perserinnen entschleierten sich. Fremd und wunderbar tauchte manches schmale Gesicht auf, die Augen von mineralischer Schwärze, ein Traumlächeln auf unbeweglichen Scharlachlippen. In Gebärden und Worten schienen sie willig, der befohlenen Liebe geneigt, doch manche der kleinen glatten Elfenbeinstirnen bebte von düsterer Erinnerung. Die eine hatte durch den selben Mann, den sie jetzt umarmen sollte, ihre Brüder verloren, die andere gedachte der Mutter, die auf den Trümmern des heimatlichen Hauses geschändet und erschlagen worden, die dritte sah die Stadt, in der sie geboren, in Flammen stehen, die Schätze geraubt, die Tempel erbrochen, die heiligen Bücher fortgeschleppt. In ihrer Phantasie lebten noch die Bilder zertretener Saaten, verwüsteter Dörfer, verwesender Leichname von Kindern und Greisen. Ihr Mund lachte und regte sich dem Kuß entgegen, doch ihre Blicke flohen den Schauplatz aberwitziger Freuden. Neben Alexander saß Stateira, die Tochter des unglücklichen Dareios. Sie war in herrliche babylonische Gewebe gekleidet, über ihre Schläfen liefen Perlenschnüre, um den Hals trug sie an silberner Kette ein Amulett, das vor üblen Träumen schützte. Ihr Gesicht war von einer merkwürdigen bösen Regungslosigkeit. Vielleicht dachte sie an ihre Nebenbuhlerin Roxane, die im Königspalast zu Babylon auf Alexander wartete. Bisweilen tauschte sie einen schnellen Blick mit Drypetis, ihrer Schwester, die für Hephästion bestimmt war und die wie eine scheue Sklavin sinnlich beunruhigt vor sich hinlächelte.
Hephästion kam. Alexander, er saß gegenüber, schaute empor. Ein einziger Blick zwischen beiden, und Hephästion wurde bis in die Lippen bleich. Er weiß alles, dachte er erstarrend. Ja, Alexander wußte von dem Anschlag und wußte auch, daß Hephästion davon unterrichtet war. Im Gedräng der Vorhalle, nach dem Frühstück, war ihm ein Zettel in die Hand gespielt worden. Wahrscheinlich war es einer der Übeltäter selbst gewesen, hatte den Genossen und dem Verratenen zugleich dienen wollen; kein Auge hatte ja noch ein festes Ziel, noch