Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann страница 53
Hephästion kam, und einer der Boten überreichte ihm einen doppelt versiegelten Brief, worin Arrhidäos, der Sohn Philipps und Halbbruder Alexanders in ziemlich erhabenen Wendungen den glücklichen Verlauf seiner Reise von Pella bis Sardes mitteilte und um Übersendung von zwölf Silbertalenten zur Weiterreise ins Lager ersuchte.
Hephästion zuckte die Achseln und blickte die drei Leute, die inzwischen vom Pferd gestiegen waren, der Reihe nach forschend an. Sie waren sichtlich müde. Ihre Mützen waren zerschabt, die Riemen ihrer Schuhe zerrissen. Plötzlich erinnerte sich Hephästion an diesen Arrhidäos, er sah ihn: einen dunkelhaarigen dürren Träumer, einen ängstlichen Beiseitesteher und grüblerischen Phantasten. Es floß wie ein Tropfen Unheil aus der sonderbaren Botschaft.
Drittes Kapitel.
Liblitu
Arrhidäos war der Sohn des Königs Philipp und einer thessalischen Tänzerin. Er hatte eine armselige, unter Soldaten, Dirnen und Sophisten verbrachte Jugend gelebt. Von seinem Vater nicht anerkannt, oder wenigstens nicht beachtet, von seiner Mutter nicht geliebt, war er stets von Schwelle zu Schwelle gestoßen worden. Was er, eingedenk seiner Herkunft, an Ehren, an Würde, an Entgegenkommen beanspruchte, war ihm niemals auch nur im mindesten gewährt worden. Er hatte oft nicht Geld genug für die dringendsten Bedürfnisse, er hatte nie einen Freund besessen, nie einen Fürsprecher, nie einen Bildner seines nicht unbegabten, aber verworrenen Geistes. In seiner Brust wechselte die tiefste Betrübnis mit einer verstiegenen Meinung von sich selbst. Er lernte wie Alexander die Sprachen des Orients; er hatte die Schriften aller Philosophen und die Gedichte aller Dichter gelesen und verschmolz die fremden Gefühle und Meinungen in nicht ganz glücklicher Weise mit seinen eigenen. Über das schwerste Ungemach hob ihn das Spiel mit sich selbst hinweg, und er vermochte den Druck der Gegenwart durch die Erwartung einer Zukunft zu erleichtern, die sein inneres Auge mit märchenhaftem Glanz blendete. Er war zwei Jahre jünger als Alexander, und während dieser von Sieg zu Sieg stürmte und sich zum Herrn über die ganze Welt des Ostens erhob, verzehrte sich Arrhidäos in ungestillter Tatengier, schenkte dem Geschwätz der Wahrsager und den Deutereien der Zauberer sein Ohr, fuhr auf einem elenden Schiff an den Küsten des Pontus entlang und warb endlich mit mühsam aufgetriebenem Geld dreihundert berittene Lanzenträger, um nach Asien zu ziehen und irgendeinen Thron zu erobern, irgendein Reich zu gründen, irgendeine Tat zu vollbringen, selbst gegen den Willen und zum Trotz Alexanders, wenn es sein mußte.
Zu Ende des Winters verließ er Makedonien, kam zwei Monate später in Sardes an und zog nun am Tag der Totenfeste mit seiner Schar durch die tiefen Schluchten des gordyäischen Gebirges. Der landeskundige Wegweiser war der Meinung, daß sie noch vor Anbruch des zweiten Tages das Ufer des Tigrisstromes erreichen konnten.
Das Gestein, hochaufragend an beiden Seiten des Pfades, zeigte großartig zerrissene Formen. Oft näherten sich die Felsen nach oben sehr einander, daß nur ein schmaler Himmelsstreif sichtbar blieb, den das Dunkel der Schlucht noch dunkler färbte. Dann eröffnete sich wieder ein enges, ansteigendes Tal, aus dem eine eisige Luft wehte, denn im Hintergrund erhoben sich bläulichweiß die ewigen Schneegipfel. Die Söldner, von der Wildheit der Natur bedrückt und geängstigt, verwünschten ihre Abenteuergelüste und die Versprechungen ihres Führers Arrhidäos, dem sie zu mißtrauen angefangen hatten.
Es waren nur wenige Makedonier; die andern waren Thessaler, Samiaten, Lyder und Griechen. Die Verwegenheit ihrer Gesichter war nicht die von ehrgeizig gestimmten Soldaten, sondern die von eilig aufgelesenen und schlecht bezahlten Wegelagerern. Die meisten hatten schon in Syrakus, in Karthago, in Rhegion und bei den Persern gedient, – Menschen, die um zehn Drachmen für jede Untat zu haben waren, stadtverwiesene Sykophanten, Meuchelmörder, Tempelräuber und Burschen, die auf ihren Wangen das Siegeszeichen der Städte, gegen die sie gekämpft, als Schandmal aufgebrannt trugen.
Arrhidäos, im einfachen Panzer und mit dem schweren Metallhelm auf dem Haupt, war tief in sich selbst verloren. Sein hageres, langes Gesicht mit der scharfen und hageren Nase, zu der das breitrunde muschelförmige Kinn in auffallendem Gegensatz stand, war von schwebenden Phantasien bewegt. Bisweilen spornte er blitzenden Auges sein Pferd, daß es wiehernd vorauslief, und wenn er sich weit genug und unbeachtet glaubte, rief er irgendeinen anfeuernden Vers in die hehre Einöde der echoenden Felsklüfte, in den siedenden Lärm der Bergbäche.
Gegen Abend erweiterte sich die Schlucht, und die kreisförmig zurücktretenden Felswände umschlossen eine öde Hochfläche, die mit ungeheuren Blöcken besät und von breiten Streifen erstarrter Lava durchzogen war. Dann bog sich jählings der Weg hinab, und noch auf dem Abhang reitend, gewahrte Arrhidäos ein tiefes Tal, wie versteckt inmitten der Gebirge liegend, von leuchtendem Pflanzengrün überzogen, und in seiner Mitte einen See, auf dessen blauem Spiegel sich Myriaden von Wasservögeln schaukelten. Der Wind trug die Blütengerüche bis herauf. Kastanien, Birnen und Granatbäume wuchsen am See-Ufer, ein Hügel war ganz mit roten Blüten überdeckt und sah aus wie ein umgestürztes Gefäß aus poliertem Kupfer, an dessen Seiten Blut herabströmt.
Wegen der Steile des Weges stiegen die Reiter ab und führten die Pferde über den mit Zwergeichen bewachsenen Hang hinunter. Während ihnen gegenüber ein Schneegipfel, der bis in die Abendwolken hineinragte, rot erglühte, leuchtete der See in immer dunklerem Blau. So sieht man sonst nur im Traum die Welt.
Arrhidäos wandte sich an seinen Begleiter, einen Rhetor namens Dion, der den Zug des Arrhidäos als halbwegs sichere Wegbegleitung zum großen Heer benutzte und sich dafür durch Schmeichlerdienste erkenntlich zeigte. Er war schon beinahe siebzig Jahre alt, ein verkommener Mensch, aufgeblasenen Geistes, bettelarm.
»All dieses Land gehört Alexander,« sagte Arrhidäos mit einer Niedergeschlagenheit, deren er nicht Herr werden konnte, »und ich habe nicht einmal fünfhundert Goldstücke, um meine Leute zu bezahlen.« Und mit dem Tonfall kindlicher Trauer, der ihm oft eigen war, fuhr er fort: »Warum ihm alles und mir nichts? Löse mir doch dies Rätsel, Dion. Bin ich denn schlechter, geringer, kraftloser, unwürdiger? Bin ich mißgestaltet, sind meine Augen ohne Glanz, ist meine Zunge nicht beredt? Ich wollte mich ja zufriedengeben, wenn ich nur in meinem Innern nicht diese Glut spürte. Ich kann nicht schlafen, Dion, beständig höre ich Stimmen, und wenn ich so daliege, in Schweiß gebadet, dann kommen Pläne über Pläne, alles scheint leicht; dann schlaf’ ich so um Tagesgrauen ein und habe die schönsten Träume, aber leider kann ich sie nie austräumen, weil mich die Lagertrompete weckt.«
Dion schüttelte den Kopf, rückte den Myrtenkranz auf seinem kahlen Schädel zurecht und verzog die rüsselartigen Lippen zu einem beruhigenden Grinsen. In diesem Augenblick hielten die Söldner ihre Tiere an und deuteten hinüber auf eine Stelle des See-Ufers. Eine Rauchsäule wälzte sich schwarz und qualmend über halbverkohlte Baumwipfel; sie konnte keinem friedlichen Feuer, sondern nur einer Brandstätte entstammen.
Die Söldner eilten vollends hinab, schwangen sich auf die Pferde und ritten im gestreckten Galopp über die Talsohle. Arrhidäos sprengte als erster unter den dunklen Schatten der Bäume, deren rissige, harztriefende Rinde in der purpurnen Dämmerung glühte. Es herrschte Brandgeruch. Die Stille des Hains wurde durch keinen andern Laut gestört als das sausende Geräusch der Pferdetritte im hohen Gras. Die Söldner schwiegen.
Im weiten Halbkreis traten die uralten Bäume zurück. Auf der tiefblauen und wie gehämmertes Metall glatten Seefläche glänzte prächtig das Gefieder der Wasserhühner. In der Mitte des gelichteten Runds stand ein Tempel von halb persischer,