Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann

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dem Hain des Mondgottes kam eine Prozession weißgekleideter Priester. Acht Hierodulen trugen das verschleierte Götterbild voran. Auf einem weiten Platz, in dessen Mitte eine schwarze Säule stand, bildeten die Priester einen Kreis. Schweigend blickten sie empor gegen den Mond, dessen halbe Scheibe süßlich rot gefärbt war durch die schwälenden Ausdünstungen der Erde. Die acht Frauen warfen ihre Gewänder ab, entfesselten das Haar und tanzten mit gemessenen, ja gespreizten Bewegungen ihrer mondglänzenden Glieder. Sie bogen den Kopf zurück, so daß ihre Brüste sich voll und sehnsüchtig dem Gestirn entgegenspannten. Die Priester erhoben die platt zusammengedrückten Hände und stimmten einen langsamen Gesang an.

      Viele Makedonier waren Zeugen des Schauspiels. Ihnen schauderte vor dieser Stunde. Unheimlich war ihnen das Land. Verzweifelt kehrten sie ins Lager zurück. Und da der Morgen graute, hieß es, Alexander sei angekommen. Die Hoffnung rötete ihre übernächtigen Gesichter. Immer neue Leute kamen und bestätigten die Wahrheit der Kunde.

      Nun begann ein gewaltiges Wandern. Von einer einmütigen Aufwallung ergriffen, zogen alle Makedonier durch die Tore in die Stadt und vor die Anhöhen des Palastes. Dort blieben sie, Mann bei Mann, die Tausende, in geduldigem Schweigen, bis die Sonne aufging. Ohne ein Zeichen des Überdrusses warteten sie, bis es Alexander gefallen würde zu kommen. In keinem einzigen Gesicht lag Trotz oder Unbotmäßigkeit. Ein schwaches, langhallendes, langsam erzitterndes Gemurmel erhob sich, als die Sklaven das Haupttor öffneten und Alexander heraustrat, – allein.

      Er trug den schönen Helm aus Samos, ein zugegürtetes Oberkleid von sizilischer Arbeit, den linnenen Doppelpanzer von der Beute bei Issos und den prächtigen Reitrock, den ihm die Stadt Rhodos geschenkt hatte.

      Er ging mit schnellen Schritten zum Rand der Terrasse. Die Makedonier drängten ihm stürmisch entgegen, so daß Hunderte auf einmal die breite Treppe besetzt hatten und die Nachdrängenden Kopf an Kopf standen, die Augen mit dem Ausdruck gespanntester Erwartung auf Alexanders Gesicht gerichtet.

      Ungeachtet der auf dem Wasser verbrachten Nacht, war kein Zeichen der Mattigkeit in seinen Zügen. Er schien frisch, beweglich, belebt. Zuerst sah er sich seine Leute an. Die Musterung dauerte nicht lange, obwohl jedem einzelnen dabei zumut war, als nähme er ihm das Herz aus der Brust, um es zu betrachten und abzuwägen. Dann begann er ganz vertraulich zu reden, und zwar nur zu den Vordersten, wobei er seine Stimme wenig erhob und sich benahm, als ob er die friedlichste Unterhaltung führe. Er stellte sich, als hätte er ihnen etwas Erfreuliches mitzuteilen. »Erinnert euch, daß ihr in Indien schlachtenmüde wart und zurückkehren wolltet,« sagte er. »Damals konnte ich euch nicht entlassen, denn ich konnte euch nicht entbehren. Heute liegt es anders. Asien ist beruhigt, und bis zum nächsten Frühjahr will ich nichts Neues unternehmen. Ich will also diejenigen, die über fünf Jahre bei mir sind, nach Hause schicken. Jeder bekommt ein Geschenk von –«

      Weiter kam Alexander nicht. Die, zu denen er gesprochen hatte, wandten sich nach rückwärts, und wie der Sturmwind flogen seine Worte von Mund zu Mund, von Ohr zu Ohr.

      Ein ungeheurer Tumult, ein wildes, ungeheures Geschrei brach aus. Alexander trat zurück. Mit bleichen Stirnen, ausgestreckten Armen, geöffnetem Munde drängten sie nach. Eine Flut von Schreien, Verwünschungen, Flüchen, Jammerlauten, Klagen und Hohnreden gurgelte empor. Sie rissen ihre Schwerter heraus und fuchtelten damit durch die Luft. »Verräter!« schrien sie Alexander zu. »Deine Veteranen willst du dir vom Halse schaffen« heulten sie. »Barbaren sollen deine Füße küßen.« – »Hat uns ausgenutzt und ausgedrückt und jetzt wirft er uns in den Dreck.« – »Wir sind unbequem, man hat Angst vor uns …« – »Verräter! Verräter!« –

      Die Wachen stürzten aus dem Palast.

      Unbeweglich dastehend, die Arme über der Brust verschränkt, hörte und sah Alexander zu. Das Gebrüll und Getöse erschreckte ihn nicht, seine Wimpern zuckten nicht einmal bei dem orkanartigen Brausen der Stimmen. In seinen Augen leuchtete ein kühler und seltsam heiterer Glanz, und auf seine Lippen trat ein Lächeln. Dies verblüffte die ihm gegenüberstehenden Makedonier, erschreckte sie, brachte sie zur Besinnung. Es war etwas Diabolisches in diesem Lächeln; ich spiele nur mit euch und werde gewinnen, sagte es, mich belustigt euer Wahnsinn und ich freue mich darauf, euch zu züchtigen …

      Die Stille, die bei den Vornstehenden eingetreten war, verbreitete sich allmählich nach hinten. Die Söldner und Führer, die vor Alexander standen, verzerrten das Gesicht zu einem Ausdruck, der aus Trotz und Furcht gemischt war. Durch eine unsichtbare Kette gebändigt, knirschten sie in die Fessel hinein. Alexanders Gesicht wurde ernst wie ein Stein. Sein Blick lief von Mann zu Mann; wie viel Hunderte er auch in dem Gedränge sah, bärtige Gesichter, glatte, jugendliche, greisenhafte, von Narben zerrissene, von Ausschweifungen gezeichnete, kein einziges Auge wagte dem seinigen zu begegnen. Sie schämten sich voreinander ihrer Feigheit, sie suchten einander glauben zu machen, daß die Sonne sie blende, die eben über die Zinnen der Palastmauern stieg, und blinzelten mit den Lidern.

      Alexander atmete auf und sagte mit einer klaren, hellen, kindlichen, weithin vernehmbaren Stimme: »Keiner von euch ergreife mehr in meinem Namen das Schwert. Ihr seid entlassen. Ihr könnt gehen, wohin ihr wollt. Fort mit euch, ich will euch nicht mehr sehen, fort, fort mit euch.«

      Er wandte sich und stieg die Treppe hinauf. Der Mantel flatterte ihm von der Schulter und sank zu Boden. Leonnatos hob ihn auf. Die Wachen folgten Alexander in den Palast.

      Oben auf einem Vorsprung der Terrasse, in zusammengeduckter Haltung, den Ellbogen auf das Geländer gestützt, lehnte Hephästion. Mit unverwandtem klammernden Blick waren seine schwarzen Augen auf die Söldner gerichtet. Er durchforschte ihre Mienen, wie ein Jäger das Walddickicht, in das er eindringen will. Da stieg mit schwerfälligem Schritt der Tetrarch Phason hinan und blieb vor Hephästion stehen. »Nimm mir das Ding da ab, Hephästion,« sagte er, das kurze Schwert in der ausgestreckten Hand haltend, »es ist ein überflüssiges Gerät geworden.« Das graubärtige Gesicht zuckte wie über einer Flamme, und Tränen standen ihm in den Augen. »Na, Hephästion,« fuhr er mit wunderlich schnalzenden Lippen fort, »du mußt wissen, was jetzt bevorsteht. Du bist ja die Uhr von Alexanders Willen.«

      Hephästion schüttelte den Kopf und verstellte sich zu einen Lächeln. »Steck’ nur dein Schwert wieder ein, Phason,« antwortete er, »du wirst es noch brauchen.« Die Verzweiflung des Mannes rührte ihn.

      Die Makedonier standen noch schweigend, wie sie Alexander verlassen. Ihre Füße waren ihnen bleischwer. Plötzlich schrie einer: »Auf! nach Hause! wir sind frei!« Da entstand eine träge Bewegung. Die meisten Mienen zeigten Verdruß, ängstliches Nachdenken und Ratlosigkeit. Sie waren nicht mehr Soldaten Alexanders. Wohin? was beginnen? fragten ihre stummen Blicke. Einige Rottenführer und Hauptleute erteilten Befehle, sie wurden nicht gehört. Es entstand ein Summen, wie von einem Milliardenheer von Insekten. Diese mahnten zum Aufbruch, jene zum Bleiben. Einige gaben den Rat, die Stadt zu plündern und in Brand zu stecken. Jeder wollte etwas anderes, alle kommandierten, niemand gehorchte. Da erhob sich wüstes Geschrei, dort traten Besonnene zusammen und erwogen ihre Lage sorgenvoll. Andere liefen herum, drohten, lachten, schwuren, prahlten. Der ganze gewaltige Menschenhaufen, bald sich lockernd, bald sich zusammenziehend wie eine Riesenqualle im Wasser, drehte sich um sich selbst.

      Endlich drang ein Vorschlag durch, der keinerlei Wagnis enthielt und nicht viel Tätigkeit erforderte. Man beschloß abzuwarten und während des ganzen Tages sich still zu verhalten, aber alles: Zelte, Tiere, Sklaven und Gepäck zum Abmarsch vorzubereiten. Die ordnungslose, aufsichtslose Menge wälzte sich durch die Tempelstraße dem nächsten Tor und dem Lager zu.

      Die Sonnenhitze warf die meisten erschöpft hin. Mit geschlossenen Augen ergaben sie sich einem allgemeinen Gefühl des Unheils. Die Sklaven und Weiber kochten ihnen ihre Speisen, aber sie konnten nichts genießen, nur Wein schütteten sie in ihre brennenden Kehlen. Die Stadt mit ihren Mauern und flachdächrigen, erdhügelhaften Häusern

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