Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
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Das Weib erhob sich. Langsam schritt sie zu der ersten Lampe und blies sie aus, dann zur zweiten, zur dritten, und so ringsum. In dem Maß wie die Beleuchtung immer düsterer wurde, verfinsterte sich ihr Gesicht, und als sie beim Licht der Mitternachtsstunde angekommen war, zeigte es kein Lächeln mehr. Durch ihre geschlossenen Augen sickerten Tränen, ihr Mund war verzerrt. Sie verlöschte das letzte Licht. Der Leib der Schlange leuchtete phosphorisch …
Hephästion schlief. Die durchwachten Nächte forderten ihre Stunden zurück. Doch allmählich ging sein Schlaf wieder in halbes Wachen über, und er vernahm eine Stimme:
Von Millionen Jahren bin ich auserwählt,
Dem unteren Himmel entstiegen,
Ich habe die Sterne des Himmels gezählt,
Muß über den Wassern fliegen.
Es schwindet der Fluß, die Erde sprüht,
Das Auge des Vaters im Zorn erglüht,
Finster bin ich, finster bin ich.«
Die Augen aufschlagend, sah Hephästion fackeltragende Sklaven, die ihn umstanden. Und dicht vor ihm das Weib, das er visionenhaft im Tempel gesehen. Doch erkannte er sie jetzt, es war Liblitu, die während Alexanders Abwesenheit Klage über die Leute des Meno geführt hatte. Das rötliche Haar umflatterte mähnengleich ihr Gesicht. In ihren Augen lag das Fieber, ihr Körper schauderte vom Fieber, und sie kam, um Heilung zu erflehen, zum Tempel des Fiebergottes.
Eine eisige Erwartung entstand in Hephästion, ob das Gebilde sprechen würde, welche Worte den verruchtlächelnden Mund verlassen würden. Unwillkürlich hob er den Kopf. Und plötzlich spürte er sich umfaßt, Arme um seinen Hals, tastende Hände an seinem Nacken, den Hauch eines Mundes und sah ein Gesicht, gefährlich lachend vor Lust und Mord und Liebe. Denkst du nicht an das Wehgeschrei der Kinder in den Flammenhaufen? flüsterte es; sie streckten die Arme aus, und es glich einem Wald von kleinen Baumstämmen mit geschälter Rinde. Hörst du die Mütter schreien? Blut strömt durch die marmorgepflasterten Straßen. Hörst du die Mütter schreien wie eingesperrte Wölfe? Fühlst du, wie Asien zittert? Ich liebe dich, Zerstörer, trinke den Tod aus mir, deine Augen will ich dir aus dem Kopf schlürfen …
Hephästion vergingen die Sinne. Aufschreiend, aufjubelnd warf sich die Babylonierin über ihn, bohrte die Zähne in seine Schulter und trank sein Blut, und wenn sie den Kopf erhob, um Atem zu schöpfen, gellte sie den Namen der Anahita in die Luft. Hephästion war es, als erlitte er einen beständigen qualvollen Tod. Er hörte das eigene Blut tönend in den Adern rollen, das Herz pochte laut wie der Hammer einer Glocke, schwefliges Licht umgab ihn, die Fackeln verschwanden, die Morgenröte überzog das ganze Rund des Himmels, giftiger Schlaf überwältigte ihn, und aus dem Wasser stiegen die Dünste.
Sechstes Kapitel.
Fieber
Im selben Morgenschein kam vom Tigris herüber Arrhidäos mit seiner Schar. Zehn Tage war er in der Ebene jenseits des Stromes geblieben. Während ein großer Teil seiner Söldner heimlich ins große Lager entwich, verweilte er geduldig Tag um Tag, flöteblasend, fischefangend oder jagend, bis alle Vorzeichen günstig waren.
Durch das westliche Tor zog er in die Stadt und zum Palast, stieg vor der Terrasse vom Pferd und ging, von seinen Hauptleuten begleitet, rasch die Treppen hinauf. Von der Wache am Portal angehalten, nannte er ärgerlich seinen Namen. Alexander ist im Bad, hieß es. »Ich bin Alexanders Bruder,« sagte Arrhidäos eindringlich und stolz. Wenn du nicht Alexander selbst bist, können wir dich nicht einlassen, wurde ihm erwidert.
In diesem Augenblick kamen Leonnatos und Perdikkas aus dem Tor. Ihre Mienen verrieten eine gewisse Bestürzung. Alexander hatte nach Hephästion verlangt, als er vom Gelage zurückgekommen war, und seit einer Stunde suchten sie Hephästion, hatten ins Lager geschickt, in die Zelte seiner Freunde, in die Frauenwohnungen.
Arrhidäos erkannte Perdikkas. Er trat auf ihn zu und sagte mit einer Herzlichkeit, mit der man einen Freund nach Jahren der Trennung begrüßt: »Dich liebt Gott, mein Perdikkas! Du bist jünger als vor zwölf Jahren, der Ruhm steht dir gut. Erinnerst du dich meiner? Ich bin Arrhidäos. Geh, sag’ doch meinem Bruder Alexander, daß ich ihn sehen möchte.«
Perdikkas stutzte und konnte wie Leonnatos sich nicht enthalten zu lächeln; vielleicht über das naive Selbstbewußtsein im Gegensatz zu dem dürftigen Aufzug des Mannes, vielleicht über das Gemisch von Schwermut und Beweglichkeit in dem hagern langnasigen Gesicht.
»Du mußt warten, Arrhidäos,« sagte Leonnatos und betrachtete den Seltsamen neugierig.
Arrhidäos senkte traurig den Kopf. Viele würden an seiner Statt geschwiegen haben, aber er war nicht fähig, einen Gedanken oder eine Empfindung in sich zu verschließen. »Soll ich denn an der Türe stehen bleiben?« fragte er, von einem zum andern blickend. »Ich bin Philipps Sohn, ich bin ein freier Mann, und wenn man auch von meinen Taten noch nichts weiß, so ist es nur, weil sie noch nicht getan sind.«
Ein verlegenes Schweigen folgte diesen von der Logik eines Kindes erfüllten Worten. »Ist es denn so eilig, was du vorzubringen hast?« fragte Perdikkas mit billiger Ironie.
Voll Schicksalsbangigkeit blickte Arrhidäos den Frager an. »Ich habe nichts mehr, um meine Leute zu bezahlen,« sagte er zutraulich. »Ich bin arm, Alexander ist reich, das ist alles. Wenn ich Alexander wäre, würde ich wissen, was Arrhidäos gebührt.«
Stillverwundert schüttelte Leonnatos den Kopf, und Perdikkas lachte. Dann stiegen beide zu Pferd und ritten nach verschiedenen Richtungen ins Lager.
Bald kamen die Führer zum Tagbericht, und der Oberste der Wache brachte die Erlaubnis zum Einlaß.
In dem langgestreckten Empfangssaal herrschte kühle Dämmerung, nur vor den Hohlfenstern lag das Sonnenlicht weiß wie Milch. Arrhidäos drängte sich weit nach vorn, um von Alexander gesehen zu werden. Er erblaßte und fing an zu zittern, als ihn Alexanders Blick traf. Das erregt wartende Lächeln zerschmolz auf seinen Lippen. Zum Zeichen, daß er ihn wohl erkenne, nickte ihm Alexander zu, aber er rief ihn nicht, er hatte nicht Lust, ihm die Hand zu reichen, es war, als ob statt vieler Jahre wenige Stunden verflossen wären, seit sie einander zuletzt gesehen. Arrhidäos schämte sich. Chaotischer Haß durchwühlte die verfinsterte, gekränkte Seele, die eben noch zur Liebe bereit gewesen. Er war zu stolz, um ein Anliegen vorzubringen, selbstquälerisch gefiel er sich in seinem Schmerz; je tiefer ihn die Gegenwart hinabwarf, je höher würde ihn die Zukunft erheben. Das war sein Glaube, seine Phantasie nahm die Erde in Besitz, kettete freischaltend Bestimmung an Bestimmung, bis der Kreis des Schicksals geschlossen war. In solchen Stunden war ihm zumut, als könne er ins Innere des Weltkernes schauen, als höre er das Herz der Gottheit schlagen, und es erschien unwesentlich, eine Tat zu vollbringen, wenn