Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann

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Ruhe gebot. Die Nächsten warfen sich vor ihm nieder und suchten seine Kniee zu umklammern; mit tränenerstickten Stimmen lallten sie. Ein alter Hauptmann der Ritterschaft drängte sich herzu. »Alexander,« sagte er, »es schmerzt uns, daß dich die Perser küssen dürfen. Niemals hat dich einer von uns Makedoniern küssen dürfen. Und sie, die Fremden dürfen dich küssen. Es schmerzt uns, Alexander.«

      Zitternd tasteten andere nach dem Saume von Alexanders Mantel, um ihn an ihre Lippen zu pressen. Manche beteuerten, sie wünschten auf der Stelle für ihn zu sterben, und schlugen sich wie toll auf die Brust. Andere schluchzten vor sich hin, andere krümmten sich auf der Erde vor ihm …

      Da kam es über Alexander.

      Wenn sie ihm auch die Füße leckten, er sah in ihre Augen. Er sah in ihren Augen den Haß. Aber sie wußten nichts von dem Haß, den sie gegen den Urheber ihrer Demütigung, den Nährer ihrer Schwäche hegten. Da kam das Grauen über ihn.

      Er hatte Hellas und Ionien und Persien und Indien und Babylon und Hyrkanien und Baktrien und Ägypten erobert, und es war ihm nicht genug gewesen. Er wollte Arabien und das innere Libyen und Karthago und Rom und die Länder der Skythen und das Meer der Atlantis haben, und es war ihm nicht genug. Seine Begierde ging nach den Sternen, die Kronen der Erde waren ihm zu wenig, und doch, jetzt ahnte er, daß ein Mensch zu sein mehr bedeute als ein Gott zu sein. Und er trug Verlangen nach dem Menschen, und sein inneres Auge hielt Umschau über den Kreis der Sklaven und Knechte und Söldner und liebebereiten Weiber, und es entdeckte nur Hephästion. Da schauderte er. Er blickte zu Boden. Um seinen Mund zuckte es. Es trieb ihn zurückzueilen, um noch einmal Hephästion zu sehen. Eine niegekannte Bitternis umflutete ihn. Er wünschte, daß dies alles nur ein Traum sein möge, er suchte nach Worten, um das Gefühl zu entkräften. Sein schweifender Blick blieb an der Leiche Phasons haften. Das Bild des Todes in diesem Augenblick überwältigte ihn sonderbar. Er ging hin. Der blutüberströmte Körper ruhte starr auf einem Bett von zufällig hingeworfenen Lederschilden. Er beugte sich, hob den Toten bei den Schultern und küßte die wachskühlen Lippen.

      Ein Jubelschrei, elementarisch tosend, durchschnitt und erschütterte die Luft wie das jäh donnernde Geprassel einer vom Berghang stürzenden Steinlawine. Die Makedonier nahmen diese Handlung für etwas anderes, als sie war. Mit leuchtenden Augen drängten sie sich heran. Diejenigen, denen es gelungen war, seinen raschen brüderlichen Kuß auf Stirn, Haar, Wange oder Schulter zu erhalten, traten mit einem Ausdruck wilder Beseligung aus dem bewegten Kreis. Sie bezauberten wieder andere, die des Glücks noch nicht teilhaftig geworden, daß sie sich in den Menschenwall um Alexander wie in einen feindlichen Heerhaufen warfen. Sie waren berauscht, wenn sie nur mit dem Finger seinen Arm berühren konnten. Endlich griffen sie wieder zu den Waffen und forderten, daß man ins Lager ziehen und das Versöhnungsmahl feiern solle. Die Sklaven wurden sichtbar, allenthalben flammten Fackeln, und nach kurzer Zeit war die Terrasse, der Vorhof, der Platz, die Straßen verödet. Der Lärm verhallte in der dunklen Ferne. Die Wachen schritten langsam ihren vorgeschriebenen Weg und beobachteten das Aufblitzen der rötlichen Sterne. Aus der Stadt schallte traurig hingezogen ein Hornton von einem Tempelturm. Zur Nachtzeit erwachte erst das Land. Gleich dem Leib eines unheimlichen Tieres lag es da und schlug die finster träumenden Augen auf.

      Auch das Innere des Palastes war verödet. In dem gewölbten Gang, der zu den Wohnräumen führte, brannte eine einzige Fackel; sie erhob sich schlank aus einer Schale, welche das herabtropfende Harz auffing. Die bunten Teppiche vor den Eingängen bewegten sich in der Zugluft wie schwere Fahnen. Nur der letzte Raum hatte eine Türe. In der Tiefe dieses Gemachs lag Hephästion auf einem schmalen Ruhebett, den Kopf auf den Arm gestützt. Sein Gesicht zeigte eine Versonnenheit, die die Züge so auseinander dehnte und leblos machte, daß die Augen nur wie zufällig belebte Dinge darin schwammen. Die schwach lodernde Flamme eines Feuerbeckens färbte die Mauerwände rötlich, die schwarzen Arabesken auf dem weißen Grund schienen sich zu regen wie krabbelndes Getier. Die beiden Tragstatuen, Sinnbilder der Fruchtbarkeit, zitterten in dem rastlosen Schattengewoge; jede hielt ein Gefäß, aus dem ein steinerner Strom an ihren plumpen Leibern niederfloß.

      Hephästion senkte den Kopf tief, um unterzutauchen in die Stille. Da hörte er ein Geräusch; auffahrend gewahrte er zwischen den beiden Steinbildern, formlos in dem ungewissen Licht, die Gestalt eines Weibes. Sie rührte sich nicht. Ihre linke Hand hielt noch die Türe fest.

      Es war Drypetis. Ihr schmaler Kopf mit dem langen Kinn der verdorbenen Rassen war halbabgewandt, als sei auch sie ergriffen von dem Schweigen, das im Palast und in den Höfen lagerte. Es war kein anderes Geräusch zu hören als aus unbestimmter Richtung das schläfrige Plätschern eines Brunnenwassers.

      »Seit wann verlassen die Frauen eigenmächtig ihre Wohnungen?« fragte Hephästion.

      Drypetis antwortete nicht. Die grauen Augen wandten sich nicht vom Feuerbecken. Plötzlich stürzte sie vor Hephästion auf die Knie und packte seine widerstrebende Hand. »Geh mit mir in deine Heimat,« flüsterte sie, »dort will ich deine Sklavin sein, will strenge Arbeit tun.«

      Es machte Eindruck auf Hephästion, daß sich ihm so unvermutet eine Seele schenkte, wenn auch nur die eines Weibes. Aber ihm war es nicht gegeben, die linke Hand nach einer Blüte auszustrecken, wenn die rechte eine Welt verloren hatte. Es war kein Band zwischen ihm und Drypetis, und er gab ihr das in rücksichtsvoller Weise zu verstehen. Er verlor sich in seine eigenen Worte; er sprach von einem Spiegel, den das Schicksal zerbrochen habe, und von einem zugeschlossenen Garten, zu dem der Schlüssel weggeworfen sei. Er sprach von Wesen, die der Flamme gleichen, und von andern Wesen, die wie Rauch seien. Er redete in sich selbst hinein und brach mit einem Seufzer ab.

      Drypetis verstand ihn nicht, doch was er sagte, weckte in ihrem Innern ein Echo, dem sie sinnend und verwirrt nachlauschte. Sie heftete einen Blick grundloser Dankbarkeit auf Hephästion.

      »Geh nur, Drypetis,« sagte er, »du bist frei. Nach habe ich dich nicht angetastet. Vermähle dich mit einem deines Volkes.«

      Geheimnisvoll lächelnd schüttelte Drypetis den Kopf. »Nicht nur mit dem Leib sind Menschen aneinander gebunden,« antwortete sie, und nach kurzem Schweigen fuhr sie flehend fort, Hephästion möge in dieser Nacht den Palast nicht verlassen. »Ich hatte einen Traum,« sagte sie, »Traumfurcht zwingt mich zu der Bitte …«

      Hephästion schwieg.

      Leider hat die Zunge nur ihre Worte und das Herz nichts als seine Angst, dachte Drypetis. Sie nagte beklommen an der Unterlippe. Bevor sie den Schleier über das Gesicht zog, schien es sich von innen heraus zu verschleiern. Dann ging sie.

      Nach einer Weile verließ Hephästion ebenfalls den Raum und schritt den Gang entlang bis er in ein kleines, kuppelähnliches Rundgemach kam, das um mehrere Stufen tiefer lag, von den bewohnten Räumen entfernt. Es war durch eine Öllampe erhellt, deren Schein auf die hölzerne Statue eines gefesselten Eros fiel. Die Figur stand auf niedrigem Postament, ihre verwitterten Züge, ihre vielfach beschädigten Glieder deuteten auf hohes Alter. Doch entbehrte sie keineswegs einer edlen kargen Schönheit. Der Leib über den enggeschlossenen Beinen war schmal und lang, der Ausdruck des Gesichts von besonnener Freundlichkeit.

      Hephästion nahm einen Talisman, der ihm an silberner Kette um den Hals hing und legte ihn zu Füßen des Eros nieder. Als er aus dem friedlichen Kreis des Gottes trat, war ihm traurig zu Sinn. Den Tod fürchten wir, das Leben sollen wir nicht lieben, dachte er, so führt der Weg ins Dämmernde und Gefühllose.

      Er verließ den Palast, stieg die Terrasse hinab und ging in die schwüle Nacht hinein.

      Die Straßen waren leer. Die Sterne blinzelten dumpf durch die Dünste, die den Himmel belagerten. Es gluckste das Wasser eines Kanals, Schilf stand an den Ufern. Aus weiter Ferne tönte der Lärm des Lagers. Ein niederer Tempelbau tauchte auf, von kleinen Kuppeln gekrönt.

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