Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann

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sei es gekocht, der Erdboden vibrierte und schwankte vor den Augen.

      Viele flüchteten in die Obstgärten und suchten unter dem schmalen Schatten der Bäume Labung. Viele stürzten sich bis an den Hals ins Wasser. Ein Rottenführer schickte seine Leute in die Stadt; er glaubte, wenn Alexander sie sähe, würde er zu unterhandeln anfangen. Traurig kamen sie zurück und erzählten, Alexander habe sich im Palast eingeschlossen und wolle mit niemand sprechen.

      Am andern Morgen erschallte ein hundertfältiger Ruf zum Abmarsch. Viele Zelte wurden niedergerissen, die Maultiere und Kamele bepackt. Aber die lockenden Bilder der Heimat waren verblichen. Niemand wollte zuerst gehen, keine Abteilung wollte die erste sein. Ein gewisser Sophillos ging umher und machte prahlerische Versprechungen; er wollte sich als Führer an die Spitze stellen und Ägypten als festes Reich gewinnen. Man hörte ihn an, und wenn er fertig war, vergaß man, was er gesagt hatte. Ein anderer, der Lampos hieß wie Hektors Pferd, trug selbstverfertigte Hymnen vor, worin er anempfahl, die Tyrannen zu töten. Einige Söldner lagen unter den Olivenstauden, eine furchtbare Erschöpfung hatte sie ergriffen und sie heulten wie Kinder. Bedenklich war die Gefahr, die durch das Ausgehen der Lebensmittel drohte. Entlassene, Verjagte, hatten sie vom Proviantamt nichts mehr zu fordern. Was sie mit dem Bogen schießen, mit der Lanze treffen konnten, war ihr Eigentum, aber davon konnten nicht hundert einen Tag lang satt werden, und wer hatte noch Lust und Freiheit genug, um draußen im glühenden Land zu jagen? Der Wein war schon zu Ende. Unabweisbar wurde der Gedanke an Gewalttat. In der Nacht marschierten etwa zweitausend Mann, zum Kampf gerüstet, gegen das Lager der Perser. Hinter den auflodernden Feuern zeigten sich drohend die verstärkten Wachen. Sie getrauten sich nicht weiter. Diese unüberwindlichen Makedonier glichen einer Horde von plärrenden Schwächlingen. Ohne Mut, ohne Vernunft, ohne Selbstvertrauen, faßten sie lauter kraftlose Entschlüsse.

      Die Edelscharen Phasons zogen planlos vor den Mauern umher. Schauerlich war es, als sie mitten in der Stille und Dunkelheit der Nacht zu singen begannen. Sie wollten ihre Furcht betäuben. Unmöglich war es zu handeln, nicht zwei Gehirne waren demselben Gedanken zugänglich, alle aber der gleichen aufregenden Empfindung einer gräßlichen Verlassenheit. Sie zündeten Feuer an und schleppten die Wahrsager herbei. Zwei Stymphäer kletterten in ihrem verworrenen Drang an den Stadtmauern empor. Der eine, durch warnende Zurufe erschreckt, stürzte herab und brach das Genick, der andere gelangte bis zur Zinne, blieb dort hocken und stierte stumpfsinnig in die Finsternis.

      An Schlaf war nicht zu denken. Die Männer hielten die Jünglinge, die sie liebten, stumm und fest umklammert. O, wie haßten sie Alexander! wie quälend war ihr Haß, weil er sich in seiner Ohnmacht selbst verzehren mußte. Inbrünstig flehten sie von Gott das bitterste Menschenleid für ihn herab, und sie dachten über das erstaunliche Rätsel nach, daß er sie so demütigen durfte. In dieser Nacht erkrankten über tausend an Fieber und an der Ruhr; sie setzten dem Übel keinen Widerstand entgegen und die bösen Dünste der Niederung vergifteten ihre Säfte.

      Die einzige Abteilung des Ismenias war am Morgen des dritten Tages zum Abmarsch entschlossen. Sie brach langsam auf. Glühend wie die vorigen, kam der Tag schon aus dem Schoß der Dämmerung. Als sie an das Ufer des Kanals gelangten, sahen sie dort ein großes, kreisrundes Fahrzeug, in dem ein wunderbares Frauenzimmer saß. Sie hatte ein Gewand aus gelbem Byssos und safrangelbe Schuhe. Rötliche lose Haare umflatterten wie eine Mähne das harmlos lächelnde und doch von einer geheimnisvollen Bosheit erfüllte Gesicht. Zwei nackte nubische Sklaven standen hinter ihr mit dem Sonnenschirm und dem Fliegenwedel. Ein dritter Sklave stieß mit einer langen Stange das Boot nach vorwärts. Zu Füßen des Weibes lag ein griechischer Soldat, ein Hauptmann mit bläulich aufgequollenem Gesicht, eine Leiche. Das Fahrzeug kam aus dem Lager der Griechen und fuhr gegen die Stadt.

      Die Söldner stutzten. Sie blieben stehen, die Reiter hielten die Pferde an, die ganze Schar stand schweigend längs des Ufers, um die Barke auf dem schaukelnden Spiegel des schwärzlichen Wassers vorübergleiten zu lassen. Sie konnten nicht weiter. Lange noch lauschten sie mit verfinsterten Stirnen auf den eintönigen Gesang des Sklaven, der die Barke fortbewegte. Beschämt, zerknirscht, von abergläubischen Vorstellungen erregt, kehrten sie um.

      Als sie ins Lager zurückkamen, verkündeten zwei Herolde den Makedoniern, sie sollten entweder die Ebene von Opis räumen oder sich Alexander zur Schlacht stellen. Zugleich erschien ein Rhetor, ließ aus Brettern eine kleine Tribüne errichten, stellte sich hinauf, zog eine beschriebene Rolle aus dem Mantel und während sich die Menge in banger Erwartung um ihn drängte, fing er an zu lesen:

      »Dies ist Alexanders Botschaft an euch, Soldaten! Aus den elendesten der Menschen habe ich euch zu Königen gemacht. Aus jedem einzelnen habe ich in seiner Art einen Fürsten gemacht. Was wart ihr denn ehemals? Ziegenhirten wart ihr. Erinnert ihr euch nicht? Habt ihr vielleicht Schätze besessen in euern ärmlichen Tälern? Nicht zwei Silbertalente habt ihr besessen. Habt ihr vielleicht Schiffe gehabt? Nicht ein Baumstamm aus euerm Land schwamm auf dem Meer. Habt ihr vielleicht kostbare Gewänder gehabt, blauseidene Zelte? und silberne Nägel in den Schuhen? und Essenzen zum Bad? und Sklaven und geschmückte Weiber und Liebesknaben und goldene Trinkschalen und edelsteinbesetzte Armbänder und Schwerter mit goldenen Ornamenten? In stinkenden Hütten unter der Erde habt ihr gehungert, unter dürren Fellen habt ihr gefroren. Und die Herrlichkeiten von Tyros, die Perlen des Dareios, die Schätze der Königsgräber, das Gold und die Geräte der Tempel, habe ich sie vielleicht? Was ist mir geblieben als ein Fetzen Purpur? Ihr wart die Besitzer, ihr die Statthalter, ihr die Heerführer, und ich, ich habe nur die Brust voll Qual. Ich esse schlechter als ihr, ich schlafe schlechter als ihr. Hat einer mehr erduldet als ich? Wer Narben hat, entblöße sie. Auch ich will kommen und meine Narben zeigen. Kein Glied an meinem Körper ist ohne Wunde geblieben. Von Schwert und Dolch und Steinwurf und Katapultenpfeil und Lanze und Keule bin ich getroffen worden. Ich habe eure Schulden bezahlt, ich war gütiger als ein milder Geist. Wer gestorben ist, ruhmvoll war sein Ende, denn fliehend fand unter mir keiner den Tod. Und nun geht, ich rate euch, verlaßt das Land. Ich habe mich den Asiaten anvertraut. Ich habe ihnen das Recht des Kusses gegeben. Ich habe persische Silberschildner, persische Edelscharen, eine persische Leibwache, ich brauche euch nicht mehr. Lebt wohl und erzählt zu Hause, daß wir in Frieden voneinander gegangen sind.«

      Diese Worte hatten eine furchtbare Wirkung. Zuerst erhob sich ein Murmeln, weithin rollend wie von Gewittern, ein Ächzen wie von zahllosen Sterbenden, dann ein Geschrei maßloser Verzweiflung. Die Herolde wurden zu Boden geworfen, die Tribüne samt dem Rhetor überrannt und zertreten. Die Silberschildner liefen nach der Stadt, blindlings folgten alle, von einem und demselben Drang urplötzlich bis ins Innerste bewegt. Atemlos sausten sie durch drei Tore zu gleicher Zeit, liefen keuchend durch die Tempelstraße, die Straße der Kaufleute und die Straße der Gerber, atemlos langten sie vor der Terrasse an, sprangen hinauf und wollten in den Palast dringen.

      Aber die Tore waren verschlossen. Unzählige Fäuste hieben dröhnend darauf los. Umsonst; man hatte ihr Kommen bemerkt und Vorkehrung getroffen. Sie suchten zu den oberen Rundöffnungen zu gelangen, indem drei oder vier einander auf die Schultern stiegen. Doch die Speere der persischen Wachen starrten ihnen entgegen. Ein großer Teil hockte alsbald apathisch auf den Stufen der Terrasse. Die Straßen unten waren angefüllt mit Makedoniern. Gelb und schwül brütete die Sonne auf den Köpfen und Helmen.

      Da erschallte ein Klirren vor dem Haupttor. Einige Soldaten hatten Schwerter und Schilde hingeworfen, um sich waffenlos zu zeigen und ihre Reue glaubwürdig zu machen. Das Beispiel wirkte entflammend. Die Scharen strömten herauf. Einer um den andern legte die Waffen nieder: Schwerter, Dolche, Schilde, Lanzen, ja sogar die Helme. Es wuchs und türmte sich eine kolossale Waffenpyramide. Viele traten vor das Tor des Palastes und flehten mit aufgehobenen Armen laut um Zutritt. Bald standen Tausende im Knäuel, schrien jammervoll um Einlaß, um Vergebung, klagten sich an und versprachen Gehorsam. Nur sehen solle sie Alexander, nur einmal möge er noch zu ihnen reden.

      Nichts rührte sich im Palast. Gleichgültig ragten die weißen Mauern. Die Dämmerung kam. Das Flehen und Weinen wurde ungestümer. Die Makedonier erboten sich, die Urheber

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