EMOTION CACHING. Heike Vullriede

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EMOTION CACHING - Heike Vullriede

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Version. Kim war sich sicher, er konnte es wie alles andere auch einfach nicht zu Ende bringen. Im Grunde versank er ständig in seiner eigenen Planlosigkeit, mit der er alle um sich herum schon mal mit ins Chaos stürzen konnte. Sie mochte diesen Chaoten, seinen Humor und eben dieses naiv wirkende Lachen auf seinem Gesicht, auch oder gerade, wenn es oft genug nur aus Schadenfreude erstrahlte.

      »Ich war froh, dass ich überhaupt noch laufen konnte. Wie hätte ich auch die sperrige Matte mit ins Krankenhaus nehmen sollen … schlimm genug, dass ich so dreckig war.«

      »Du meinst, sie liegt noch immer im Wald?«

      »Nein, ich habe sie diesen Weißköpfen geschenkt, die mich im Wald aufgelesen und zum Arzt gefahren haben.«

      »Die alten Wanderer, die dir auf den Sack gegangen sind? Oha – das gibt Faltenwurf. Du solltest mal heimlich hinfahren und sie filmen.« Er kicherte bei dem Gedanken, die beiden würden nun selbst in der Wand hängen und klettern.

      Kim kicherte mit. »Das wär's noch – natürlich habe ich sie nicht verschenkt. Das Crashpad liegt noch irgendwo im Wald. Ich hab's so weit wie möglich in die Büsche geschleppt. Sonst bekommt es Beine, bevor ich es wieder abholen kann.«

      Nico beendete seine Zeichenkunst auf dem Gips mit einer Sprechblase: Ich bezwang beinahe einen seichten Waldhang!, und legte den Edding auf den Tisch. »Wie lange musst du den Gips tragen?«

      Sie betrachtete sein peinliches Gekritzel auf ihrem Arm und beschloss, bei Gelegenheit einen neuen bunten Verband darüber zu wickeln. »Wahrscheinlich drei Wochen, danach gibt es eine Orthese.«

      »Dann ist ein Ausflug zum Kletterpütt wohl vorerst tabu.«

      »Ja, leider – wochenlange Langeweile bahnt sich an. Was machen wir denn da?«

      Nico zuckte mit den Schultern. »Auch keine Idee, außer unsere Filmerei. Paintball fällt flach, und Geocaching scheint für dich nun auch gestrichen zu sein. Du musst es dir ja mit den Verstecken immer besonders schwer machen.«

      »Einfach kann doch jeder! Zumindest ist dieser Knochenbruch eine schöne Ausrede, nicht gerade jetzt ein Freiwilliges Soziales Jahr im Altenheim abzuknechten.«

      »Wo ist dein Problem?« Nico grinste von einem Ohr zum anderen. »Während du klapprige alte Männer zum Sitztanz schleppst, kannst du doch wunderbar von krassen Outdoor-Abenteuern träumen, oder?«

      Kim verzog den Mund. »Oh Mann, also wenn so unser großartiges Erwachsenenleben beginnt, das uns die ganze Welt zu Füßen legen soll? Im Altenheim? … So eine Fernreise, das wär schon was. Trail-Running im Himalaja … das wär mal ein Abenteuer. Obwohl, was ist schon wirklich abenteuerlich? Mir ist noch nichts untergekommen, das mich wirklich an die Grenzen gebracht hätte.«

      »Und was war mit Buildering, S-Bahn-Surfen, mit sechzig Sachen longboarden …?«

      »Ich weiß, ich habe bestimmt schon alles probiert.«

      »Darum bist du auch das coolste Mädchen in der Gegend – mindestens!«

      »Aber am Ende ist doch alles immer gleich öde, oder? Irgendwie fehlt mir was … der richtige Kick eben. Ich spür' da gar nichts bei. Das müsste mich doch total aufregen … manchmal denke ich, ich bin emotional so gut wie tot.«

      »Also komm, als du gestern den Hang im Wald runtergesaust bist, hast du garantiert was gespürt.«

      »So? Was denn? Eher den Schmerz danach.«

      »Na was man so spürt, bevor was passiert – ein flaues Gefühl im Magen, Angst und einen Adrenalinstoß – das große Zittern, nachdem alles vorüber ist …«

      Sie überlegte. Hatte sie das? »Eigentlich nicht.«

      »Nicht mal ein bisschen?«

      »Gut, da oben machte ich mir Sorgen, wie ich ohne Knochenbrüche runterkommen könnte, was ja leider nicht geklappt hat. Für einen Moment in der Felswand war mir mulmig zumute. Aber nur kurz. Das war es dann auch. Mir ging es mehr darum, dass mir diese beiden Alten nicht meine Notlage anmerkten. Ich würde das nicht als abenteuerliches Erlebnis oder gar Angst verbuchen.«

      »Echt jetzt? Ich meine, mir kannst du es doch sagen.« Ungläubig runzelte er die Stirn in kleine gleichmäßige Denkwellen, die überhaupt nicht zu ihm passten. »Komm, gib es zu. Du hattest Angst und wärst froh gewesen, wenn einer von uns dabei gewesen wäre.«

      Er sah erwartungsvoll aus.

      Was wusste Nico schon von ihren Gefühlen? Woher sollte er wissen, wie kalt sie all das tatsächlich ließ – wie einfach es war, die unerschrockene und abgebrühte Kim zu sein, die selbst den Kerlen etwas vormachte. Das war so, als führe man täglich Achterbahn und stiege dann auf eine Rutsche um. Man stumpft ab. Der Kick, das Kribbeln, bleibt auf der Strecke. Die anderen schreien und lachen, nur man selbst steht neidvoll gelangweilt daneben. Durch ihre Adern floss schon so lange kaltes Blut, dass sie nicht einmal wusste, wo und wann sie die Wärme gelassen hatte, die einen Menschen zu einem wirklich fühlenden Menschen machte. Ihr schlanker Körper erschien ihr mehr und mehr wie eine fette Dämmschicht gegen alles um sie herum. Nichts drang da noch wirklich hindurch. Auch nicht ihre Fingernägel, die sie sich abends ins eigene Fleisch stieß, um sich wenigstens ein bisschen zu spüren. Da war viel zu wenig Gefühl, zu wenig Empfindsamkeit … zu wenig von allem. Das Einzige, was immer da war, war das, was sie selbst Basiswut nannte, ein Gefühl ständiger Anspannung und Unzufriedenheit.

      Davon wusste Nico nichts. Woher auch? Er hätte es nicht verstanden – so, wie niemand es verstand. Nur ihre Mutter schien ab und zu den Hauch einer Ahnung zu haben, dass Kims Gefühlsleben in einem Sarg ruhte. Doch die beunruhigte das anscheinend nicht. Sie war mit ihrem eigenen Leben genug beschäftigt … und damit, wie sie in ihrem Alter noch einen Kerl fürs Bett kriegen sollte.

      Noch immer wartete Nico auf Kims Zugeständnis, mehr empfunden zu haben, als ein kleines Flattern im Bauch.

      Es ging ihr nicht darum, ihn nicht zu enttäuschen, sie wollte eigentlich nur ihre Ruhe. »Also gut, mir ging die Flatter.«

      Sein Gesicht verwandelte sich augenblicklich in die ansteckend lachende Hackfresse zurück, die sie kannte. »Vielleicht solltest du solche Aktionen demnächst nicht alleine starten. Wir sind doch ein Team! Und hey – wir wollen gemeinsam Spaß haben.«

      Mit Team meinte er sie beide und die anderen zwei aus dem losen Verbund, den sie Clique nannten: Benni, ein gewissenloses, aber verkanntes Genie, und Lena, seine chamäleon-artige Freundin.

      Sie waren die Unentschlossenen aus ihrem Jahrgang und hingen noch immer oft genug gegenüber der Schule vor Mehmets Dönerladen herum. Dabei waren sie nicht hungrig auf Döner, sondern eigentlich nur hungrig auf das Leben. Keiner von ihnen wollte noch mal auf die Schule oder später jahrelang studieren. Was auch? Kims Abschluss aus der Zehnten war mies, wie das der anderen beiden auch – trotz aller Genialität. Und Nico hatte nicht einmal das. Manchmal tauchten Visionen in ihren Träumereien auf, doch jede noch so vage Idee eines Lebensentwurfes erstickte an den Vorbehalten und am Frust der anderen.

      Kim sah auf die Uhr und zupfte Nico am Ärmel. »Komm, auf zu Mehmet. Vielleicht kann ich meinen Freund Haifisch noch pünktlich abpassen.«

      »Au ja! Aber Kim – irgendwann steigt der Typ aus seinem schönen silbernen Golfkombi aus und haut dir aufs Maul.«

      Grinsend stand sie auf, schob ihren Gipsarm

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