Nichts bleibt wie es ist. Angelika Kutsch

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Nichts bleibt wie es ist - Angelika Kutsch

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fügte sie schnell hinzu.

      Böse starrte er ihnen entgegen. »Wenn ich hier noch eine Sekunde länger stehe«, sagte er in seinem harten Deutsch, »dann fallen mir die Ohren ab!«

      Röschen verabschiedete sich schnell.

      Silke sah ihr nach. »Wir hätten sie einladen sollen«, sagte sie, »gerade heute. Sie ist so allein.«

      »Wozu, zum Fernsehen bei deiner Großmutter?« fragte Armin. Seitdem sich die Familie Kapsreiter aufgelöst hatte, weil der Vater seinen Laden zumachen mußte, lebte Silke bei ihrer Großmutter. Und dort lief jeden Abend der Fernsehapparat. Sie mußte lachen und wollte sich bei ihm einhängen. Aber er preßte seinen Arm so eng gegen den Körper, daß sie nicht mit der Hand dazwischen kam.

      »Nun sei doch nicht so, nur, weil ich mal eine Viertelstunde später als sonst gekommen bin!« sagte sie.

      »Die Zeit eines Arbeitslosen ist wohl gar nichts wert, was? Und dir tut’s ja nicht weh, wenn mir die Füße frieren«, knurrte er in seinen Schal. Er ging so schnell, daß sie kaum mit ihm Schritt halten konnte, denn er hatte sehr lange Beine.

      Sie schwieg einstweilen, weil sie hoffte, beim Gehen werde ihm warm und das würde seine Laune schon heben. Schließlich konnte er nicht von ihr erwarten, daß sie ihn unentwegt bedauerte, weil er arbeitslos war. Mitleid änderte nichts und drückte nur die Stimmung.

      Als sie an der Straßenecke angekommen waren, wo sie sich für ein Ziel entscheiden mußten, blieben sie erst einmal stehen.

      »Ich könnte uns ein Hähnchen vom Supermarkt holen, und dann gehen wir in die Gartenlaube«, schlug Armin vor.

      »Meinst du, da ist es warm?«

      »Wir machen Kerzen an –«

      »Letztes Mal hast du die Bude fast in Brand gesteckt!«

      Armin war beleidigt. »Hast du eine bessere Idee?«

      Im Kino ist es warm, bei der Großmutter ist es auch warm, dachte Silke. Oder zu Hause bei Armin. Da ist es sogar überheizt. Aber nirgends waren sie allein. Sie hatten nur die Laube im Schrebergarten, den Czaczeckes gepachtet hatten. Armins Mutter konnte ohne Gartenarbeit nicht leben. Sie war nur glücklich, wenn ihr abends der Rücken wehtat und die Erde sich nicht mehr aus den Poren ihrer Hände bürsten ließ, im Frühjahr, wenn die Luft voll blauem Rauch war von verbranntem Reisig und Laub.

      Aber da draußen war es heute wirklich zu kalt, und wenn sie zur Großmutter gingen, mußten sie bis zehn Uhr fernsehen. Dann ging die Großmutter schlafen. Und wenn sie schlief, das hatte sie Silke unmißverständlich erklärt, wollte sie »keinen Fremden« in der Wohnung haben.

      Silke hatte versucht, sie zu überzeugen, daß Armin kein Fremder mehr war, daß sie schon alt genug sei und daß es überhaupt ganz harmlos war, wenn sie noch ein Weilchen in der Küche auf der Eckbank beisammen saßen. Sie würden auch ganz leise sein! Aber die Großmutter beharrte auf ihrem Standpunkt, der aus dem vorigen Jahrhundert stammte, obwohl sie Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts geboren worden war.

      Wenn sie zu Czaczeckes gingen, war es kaum anders. In dem einen Zimmer der Fernseher, im anderen jemand, der schlief, weil er Schichtarbeit hatte, im dritten machte die Jüngste Schularbeiten, und in der Küche wirtschaftete Frau Czaczeckes bis in den späten Abend, weil sie berufstätig war und sonst nicht zur Küchenarbeit kam.

      Und im Kino waren sie doch erst gestern gewesen!

      »Mensch, hast du schlechte Laune heute!« sagte Armin.

      Silke wischte sich die Augen. Der Wind, der um die Ecke pfiff, ließ sie tränen. »Ich?« sagte sie. »Ich habe heute sogar ganz besonders gute Laune! Aber wenn du meinst – dann kannst du ja nach Hause gehen, wenn dir was nicht paßt!«

      Armin baute sich breitbeinig vor ihr auf, wie um ihr den Weg zu versperren. »Glaubst du, dafür habe ich die halbe Weltreise quer durch die Stadt gemacht?«

      Es war ihr Unglück, daß Czaczeckes ausgerechnet am anderen Ende der Stadt eine Wohnung gefunden hatten.

      »Und ich hab mich so nach dir gesehnt«, sagte Silke leise. So war das oft. Erst sehnte sie sich nach ihm, und wenn sie sich dann trafen, waren alle Gefühle wie weggeblasen, und sie wußte nicht mehr, worauf sie sich so gefreut hatte.

      »Ich auch«, sagte Armin. Er lehnte seine Stirn gegen ihr Haar. Sie lächelten sich an. »Ich hab noch einen Zehner«, sagte er. »Gehen wir ins Café und wärmen uns auf. Dann werden wir weitersehen.«

      Sie bestellten Schwarzwälder Kirschtorte. Armin liebte süße Torten, und auch der Kaffee konnte ihm nicht süß genug sein. Silke schaute zu, wie er Zucker in den Kaffee schaufelte. Jetzt konnte sie es nicht länger für sich behalten. »Du«, sagte sie, »bald können wir uns das öfter leisten, so viel Zucker und Torte, wie du willst. Vielleicht brauchen wir aber nie mehr in Cafés oder bei meiner Großmutter herumzusitzen!«

      Armin legte den Löffel auf den Teller. »Im Lotto hast du nicht gewonnen, weil du kein Lotto spielst. Hast du vielleicht einen reichen Onkel in Amerika, der gestorben ist?«

      Silke lehnte sich behaglich zurück. Jetzt konnte sie es anders erzählen. Die Beklemmung vorm Röschen war weg. Jetzt konnte sie sagen, wie es war. Ein wunderschönes Gefühl war das, eins aufzurücken, in einem gemütlichen Zimmer mit drei anderen zu sitzen, einen richtigen Schreibtisch mit Terminkalender und Telefon zu haben. Das neue Zimmer war mit Teppich ausgelegt, und an den Wänden hingen Bilder in richtigen Rahmen, nicht nur mit Stecknadeln angepinnte Kalenderfotos.

      »Komisch«, sagte Armin, als sie fertig war, »wenn es nach den Briefen ginge, die du noch mal schreiben mußtest, weil du Herrn Schmidt mit ›Sehr geehrte Frau Müller‹ angeredet hast oder weil du zu oft verbessert hast, dann hätten sie dich eher entlassen müssen. Du stehst doch sicher an erster Stelle im Verbrauch von Korrekturband. Bist du sicher, daß es kein Versehen war?«

      »Du bist gemein!« sagte Silke. »Freust du dich denn gar nicht ein bißchen? Stell dir vor, in einem halben Jahr haben wir vielleicht schon ein Zimmer für uns, du und ich.«

      »Natürlich freu ich mich«, sagte Armin, sonderbar freudlos. »Aber ein Grund zum Überschnappen ist es auch nicht. Was kriegst du denn von zweihundert Mark brutto mehr ausbezahlt? Ja, wenn ich einen Job hätte –!«

      Silke schwieg und merkte wieder einmal, wie schön das Leben sein könnte, wenn nur Armin nicht arbeitslos wäre. Sie könnte weiter im Schreibsaal sitzen für zweihundert Mark weniger, könnte weiter bei der Großmutter leben – wenn Armin nur Arbeit hätte. Dann wären sie glücklich.

      Vor fast zwei Jahren hatten sie ihre Arbeit in der Leuchtenfabrik, wo sie sich kennengelernt hatten, aufgegeben. Silke hatte zwar in einem Büro gesessen, aber sie hatte nur Hilfsarbeiten gemacht, und davon hatte sie genug. Sie war zur Berufsberatung gegangen und hatte Schreibmaschinen- und Stenografiekurse besucht. Ihre Noten waren so gut, daß mehrere Firmen sie anstellen wollten. Die Stelle im Schreibsaal des Großkonzerns war ihr am sichersten erschienen.

      Armin wollte erst einmal Deutsch lernen, nachdem er in der Leuchtenfabrik aufgehört hatte. Er war erst vor einiger Zeit mit seinen Eltern aus Polen gekommen. Seitdem er die Kurse besucht hatte, sprach er fließend Deutsch, aber immer noch rollte er das R, sang er die Vokale und betonte die Wörter so, daß es nicht schwer zu raten war, woher er kam.

      Als er mit der Schule fertig war, mußte er jeden Gelegenheitsjob annehmen, denn

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