Nichts bleibt wie es ist. Angelika Kutsch

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Nichts bleibt wie es ist - Angelika Kutsch

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brach in lautes Lachen aus. »Hast du die Ferkelchen gemacht?« fragte er, nach Luft schnappend. »Hast du das Korn wachsen lassen?« Er drückte sie an sich. »Schön wäre es. Aber nicht hier. Manchmal wünschte ich – du und ich und zu Hause –«

      »Zu Hause wo?« fragte Silke schnell.

      »Ich weiß ja, daß es verrückt ist.« Armin seufzte. Er goß Wein in die Gläser, die Gisela bereitgestellt hatte. Der Wein schimmerte vor der gelben Kerzenflamme. »Wenn ich Arbeit hätte, könnten wir heiraten. Vielleicht, wenn wir ein Kind hätten und ein Gärtchen ... vielleicht würde ich mich hier mehr zu Hause fühlen und nicht mehr an Antek und an das Motorrad denken.«

      Sie stießen mit den Gläsern an. Sie tranken. Silke kuschelte ihren Kopf an seine Schulter und blinzelte in die Flamme. In dieser warmen gelben Dämmerung könnte man für eine Weile schon alle Sorgen vergessen. Sie küßten sich.

      Plötzlich wurde es ganz hell im Zimmer. Sie hatten niemanden kommen gehört. In der Tür stand Herr Kapsreiter, leicht schwankend, und starrte sie mit offenem Mund an. Sein Blick war farblos, als hätte der Alkohol seine Augenfarbe verwässert.

      Silke verfiel sofort in die Rolle der Großmutter. »War’s schön?« fragte sie mechanisch. »Du kommst früh!«

      Herr Kapsreiter zerrte sich die ohnehin schon halbgelöste Krawatte vom Hals und hängte sie über den Türgriff. Er schaute zur Flasche. »Was trinkt ihr denn da?«

      Armin hielt ihm wortlos das Weinetikett hin.

      Herr Kapsreiter schüttelte sich und holte eine Bierflasche aus dem Kühlschrank. »Ihr sitzt da wie die Ölgötzen«, sagte er, als er zurückkam. »Habe ich euch gestört?«

      Silke hatte sich endlich von der Überraschung erholt. Sie stellte die beiden einander vor.

      »Armin!« wiederholte Herr Kapsreiter und musterte ihn. »Hab ich schon mal gehört. Was treibst du denn so?« Wenn er betrunken war, duzte er alle Leute.

      Armin erzählte ihm in dürren Worten, wie es war.

      »Arbeitslos! Dann können wir uns ja die Hand geben«, sagte Herr Kapsreiter. »Wenn ich noch so jung wäre wie du –!«

      »Was würdest du dann tun?« fragte Silke.

      »Als ich so alt war wie er«, sagte Herr Kapsreiter, »war Krieg. Mich haben sie auch noch eingezogen.«

      Die Geschichten kannte Silke zur Genüge. »Ich möchte wissen, was du tun würdest, wenn du jetzt jung wärst!« sagte sie ungeduldig.

      Herr Kapsreiter drehte die Bierflasche zwischen den Händen und starrte vor sich hin. »Mein Vater«, sagte er, »hat Ähnliches erlebt. Krisen, Arbeitslosigkeit ... Er hat mir oft davon erzählt. Aber heute ist es unheimlicher, schleichender. Damals ging’s deinem Nachbarn genauso dreckig wie dir. Aber heute bist du plötzlich draußen, wenn es dich erwischt hat, und wenn du dich beklagst, dann heißt es, was willst du denn, dir geht’s doch blendend. Du kriegst ein Bombengeld fürs Nichtstun. Mann, in deiner Haut möcht ich stecken – das hat eben noch einer zu mir gesagt, und ich hätt ihm am liebsten eine reingehauen.«

      Herr Kapsreiter erhob sich schwankend. »Am liebsten eine reingehauen«, wiederholte er. Und ging. Er mußte ziemlich viel getrunken haben, denn sonst sagte er kaum zwei vollständige Sätze hintereinander.

      Sie warteten, bis er sich ausrumort hatte in der Wohnung. Silke ging noch einmal nach Silvio schauen, der fest und rotbackig in seinem Gitterbett schlief. Dann blies sie die Kerzen aus.

      Später in der Nacht schreckten Gisela und Robert sie auf aus der schlafwarmen Geborgenheit. Sie mußten hinaus in die Kälte.

      Es war eine sternklare kalte Nacht, in der sie ihren Atem wie festgewachsene weiße Wolken vor sich hertrugen. Aus den Augenwinkeln sah Silke an der dunklen Hausfront empor. Oben im Kinderzimmer leuchtete es gedämpft.

      Noch nie hatte sie sich so »draußen« gefühlt.

      III

      Im April wurde die Großmutter fünfundsiebzig. Es kamen Blumentöpfe von den Nachbarn mit vergoldeten, verschnörkelten Ziffern, und abends gingen sie »ganz groß« aus. Onkel Sepp bestand darauf, italienisch essen zu gehen, obwohl die Großmutter viel lieber Bratkartoffeln und Milchsuppe an ihrem wachstuchbedeckten Küchentisch aß.

      Sie trug das schwarze Kleid, das sie zuletzt zur Beerdigung von Frau Kapsreiter getragen hatte. Unglücklich saß sie auf der schmalen und harten Bank, die für kleine Italiener geeignet sein mochte, nicht aber für die fast eineinhalb Zentner der Großmutter.

      Herr Kapsreiter mußte statt Bier Wein trinken, und Dagmar, die Jüngste, die bei Onkel Sepp und Tante Gertrud lebte, hatte eine Verabredung mit ihrer besten Freundin absagen müssen. Gisela und Robert saßen wie auf Kohlen, weil sie ihren Sohn einem Babysitter überlassen mußten, zu dem sie kein Vertrauen hatten, und eigentlich war nur Onkel Sepp geburtstagsheiter. Er hatte gerade einen »ganz dicken Fisch« an Land gezogen und sah die Zukunft in rosigstem Licht.

      Die Gesichter färbten sich zwar rosig vom Wein, aber sonst blieb die Stimmung gedrückt. Unlustig stocherte die Großmutter in der Lasagne herum. Herr Kapsreiter verzog bei jedem Schluck Wein das Gesicht, und als er endlich in Stimmung kam und in »Hoch soll sie leben« ausbrach, traten sie ihm von allen Seiten auf die Füße.

      »Geburtstagsfeste sind auch nicht mehr das, was sie früher mal waren«, murmelte er.

      Onkel Sepp war großzügig an diesem Abend. Dagmar bekam ein Eis mit heißen Himbeeren, Tante Gertrud und Gisela teilten sich eine Weincreme, und für die Männer ließ er noch einen Birnenschnaps kommen.

      Silke wollte nichts.

      »Du wirst genau wie deine Großmutter«, sagte Onkel Sepp. »Nur nichts probieren, was du nicht kennst. Du wirst auch einmal zu denen gehören, die nicht ins Ausland fahren, weil die Würstchen da anders schmecken als du es gewohnt bist.«

      Silke lächelte. Heute konnte er ruhig auf ihr herumhacken. Sie hatte die erste Woche im neuen Zimmer hinter sich, und sie hatte ein gutes Gefühl. Das war auch ein Grund zum Feiern. Onkel Sepp würde sie von ihrer Beförderung erst erzählen, wenn sie ganz sicher war.

      Sie schwieg und ließ die Tür nicht aus den Augen. Die Gänge zwischen den gelben Lichtinseln waren in Dunkelheit getaucht, aus der nur hin und wieder die weißen Hemden der Ober blitzten. Trotzdem hoffte sie, Armin sofort daran zu erkennen, wie er die Tür öffnete. Sie wußte, wie er ein fremdes Lokal betrat, daß er erst einmal vorstürmte, dann stehenblieb, die Schultern zusammenzog, als hätte er Angst vor seinem eigenen Mut bekommen.

      Wenn er kam. Das war noch nicht sicher. Von seinem Erscheinen hing alles ab, dieser Abend, ihre ganze Zukunft. Denn er wollte nur kommen, hatte er gesagt, wenn es heute klappte mit der Stelle, die man ihm vom Arbeitsamt zugewiesen hatte.

      Wenn es nur klappte!

      Die anderen wußten von nichts. Geburtstagsfeier ganz unter uns, hatte Onkel Sepp bestimmt.

      »Was dir deine Großmutter erlaubt, ist mir egal, heute mußt du dich mal nach mir richten!« Schließlich zahlte er ja auch.

      »Daß du immer noch mit diesem Polack herumziehst«, hatte er gesagt. »Als gäb’s nicht genug tüchtige Burschen bei uns.«

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