Nichts bleibt wie es ist. Angelika Kutsch

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Nichts bleibt wie es ist - Angelika Kutsch

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nein, er ist Aussiedler. Er ist ›heim ins Reich‹ gekommen und spricht bloß noch ein bißchen Polnisch.« So war Onkel Sepp.

      Seitdem Silke als Lieblingsnichte total versagt hatte – sie wurde nicht das hübsche Mädchen, wie er erwartet hatte, sie war so passiv und ohne Phantasie, sie lehnte es ab, nach Frankreich zu reisen, als er es ihr ermöglichen wollte, und sie wurde nicht einmal Vorzimmerdame bei einem seiner Geschäftsfreunde –, hatte sein Interesse an ihr nachgelassen. Jetzt setzte er auf Dagmar. Dafür würde er sorgen, daß sie nicht vorzeitig vom Gymnasium abging, so wie Silke die Lehre beim Vater abgebrochen hatte. Er würde darauf achten, daß sie an die richtigen Freunde geriet, nicht an Türken, Itacker oder Polacken ...

      Als erstes sah sie einen riesigen Busch Japanischer Kirschblüten, der sich sanft schimmernd in die Dämmerung des Lokales vorschob, langsam, dann stockte er. Ein Ober stellte sich ihm in den Weg. Kurze Diskussion, dann schälte sich ein weißer Hemdkragen aus dem Mantel. Armin hatte sich in Schale geworfen.

      Er hatte es geschafft! Am liebsten wäre sie ihm entgegengelaufen und um den Hals gefallen.

      Sein breites Lächeln verschwand in den Japanischen Kirschblüten, als er sich vor der Großmutter verbeugte, und auch sein gemurmelter Glückwunsch ging in den Blumen unter.

      »Hoffentlich hast du sie nicht in den Schrebergärten geklaut?« flüsterte Silke.

      Die Großmutter wußte gar nicht, was sie sagen sollte vor Freude und Verlegenheit. Die Überraschung teilten alle mit ihr. Sie mußten ein bißchen zusammenrücken auf der schmalen Bank, damit Armin auch noch Platz fand.

      »Was zu trinken?« fragte Onkel Sepp. Ob Armin hungrig war, fragte er lieber nicht. Er setzte wohl voraus, daß der Anblick der leergegessenen Teller, die Peperonischwänze und verkohlten Pizzaränder Armin den Appetit verschlagen müßten.

      Armin bestellte ein Bier, und Onkel Sepp verzog das Gesicht wie sonst nur Herr Kapsreiter, wenn er Wein trinken mußte. Das Bier kam, Armin trank, stöhnte vor Behagen und tauchte mit einem weißen Schaumbart wieder aus dem Glas auf.

      »Prost, Großmutter!« sagte Armin und hob sein Glas ein zweites Mal. Die Großmutter stieß mit ihrem leeren Wasserglas an sein Bierglas. Silke hielt rasch ihr Weinglas dazwischen, und Dagmar wollte unbedingt wissen, wie es klingt, wenn man mit einem Colaglas an ein Bierglas stößt, und bald stießen alle mit den Gläsern an, reihum und kreuz und quer. Klingen, Lachen, aber dann war es wieder still.

      »Und Sie, junger Mann, was machen Sie so?« wandte Onkel Sepp sich an Armin.

      Silke wußte, daß sie vor der Antwort keine Angst mehr zu haben brauchte. Sie strahlte schon, ehe er es ausgesprochen hatte, und er sagte es mit erstaunlicher Gelassenheit, als mache er das schon seit Jahr und Tag: »Tankwart.«

      Onkel Sepp zog die Stirn kraus. »Dazu braucht man wohl keine Ausbildung?«

      »Armin hat in Polen eine Lehre als Automechaniker angefangen«, redete Silke dazwischen. »Wenn er noch dort wäre, würde er viel Geld verdienen.«

      »Das ist sicher kein Kunststück in einem Land, das so schlechte Autos produziert, daß sie alle naselang in die Werkstatt müssen.« Onkel Sepp lachte dröhnend. Er lachte allein.

      »Josef!« sagte Tante Gertrud und stieß ihm ihren spitzen Ellenbogen in die Seite.

      »Wenn’s doch stimmt! Einer meiner Vertreter war kürzlich drüben. Der ist da irgendwo bei den Kaschuben geboren, und weil er ein sentimentaler Hund ist, mußte er wieder hin. Der hat Schauergeschichten erzählt, als er wiederkam. Das kann ich euch sagen!«

      »Schauermärchen«, verbesserte Armin.

      »Er hat mit eigenen Augen gesehen, wie alle paar Kilometer ein kaputter Lastwagen an der Straße stand, und die Reifen abgefahren – blank wie ein Gummiball! Das ist ja lebensgefährlich. Und montags fleischloser Tag. Also, wenn ich mir das bei uns vorstelle, montags gäb’s nur Eierspeisen ... So dreckig ging’s uns ja nicht mal im Krieg.«

      »Josef!« sagte Tante Gertrud.

      »Und warum gibt es einen fleischlosen Tag?« fragte Armin.

      »Weil die nicht wirtschaften können. Kassieren Deutschlands Kornkammern und schieben trotzdem Kohldampf!«

      »Niemand hungert in Polen«, sagte Armin scharf. »Und den fleischlosen Tag mußten sie einführen, weil die im Westen ihnen das Fleisch wegfressen. Sie müssen es verkaufen, weil sie die hochwertigen Maschinen aus dem Westen brauchen. Um sie kaufen zu können, brauchen sie harte Devisen, und deswegen geht viel Fleisch in den Westen. Und natürlich nach Rußland. Aber das ist noch eine andere Geschichte.«

      Armin trank einen großen Schluck nach der langen Rede. Bei jedem Satz war sein Tonfall mehr in den polnischen Singsang verfallen. Silke überlegte krampfhaft, was sie zur Entspannung der Atmosphäre einwerfen könnte. Ihr fiel nichts ein.

      Aber Onkel Sepp hielt sich an das Motto »Der Klügere gibt nach«. »Laß gut sein, Junge«, sagte er gönnerhaft, »wir leben in zwei verschiedenen Welten. Aber meinst du nicht, daß es an der Zeit ist zu akzeptieren, daß du jetzt im Westen lebst und nicht mehr auf der anderen Seite?«

      »Habt ihr Brüderschaft getrunken?« fragte Gisela erstaunt. »Das habe ich ja gar nicht mitgekriegt. Also Prost, Armin, ich heiße Gisela!«

      Niemand sonst trank Brüderschaft mit ihm, und Onkel Sepp sagte für den Rest des Abends wieder »Sie«.

      Es war nicht mehr viel übrig vom Abend. Die Großmutter hatte schon ganz kleine Augen, und Robert redete dauernd davon, daß er morgen früh aufstehen müsse.

      Nachdem Onkel Sepp gezahlt hatte und alle in ihre Mäntel gefunden hatten, standen sie noch einen Augenblick wie ein Häuflein Verlorener vor dem Lokal herum, als könnten sie sich nicht trennen, in der Mitte die Großmutter mit ihrem Blumenbusch, die anderen um sie herum. Wer die Szene von ferne sah, mochte glauben, hier sei ein besonders schönes Familienfest zu Ende gegangen.

      Silke konnte es gar nicht erwarten, mit Armin allein zu sein, um mehr von dem großen Glück zu erfahren. Aber er war einsilbig.

      »Leute wie dein Onkel –« sagte er.

      »Leute wie mein Onkel brauchen dich ab heute nicht mehr zu kümmern! Jetzt erzähl schon, von Anfang an, du kamst rein und dann?«

      Armin mußte lachen und erzählte. Am ersten Mai fing er bei der Freien Tankstelle draußen am Autobahnzubringer an.

      »Da ist was los«, sagte er, »da rauscht es Tag und Nacht vorbei. Da klingelt die Kasse. Der Job ist ausbaufähig. Wenn es gut läuft, steige ich vielleicht mal ein. Jetzt können sie dir sogar kündigen.«

      IV

      Das nächste Fest wurde bei Czaczeckes gefeiert.

      »Nicht so ein Fest wie Omas Fünfundsiebzigster«, versprach Armin, »wo alle nach der Pfeife deines großkotzigen Onkels tanzen müssen. Ein richtiges Fest, verstehst du? Es gibt Gänsebraten und Weißsauer und Mohnkuchen und viel, viel Bärenfang.«

      Eins unterschied das Fest von vornherein von » Omas Fünfundsiebzigstem«: Es war ganz selbstverständlich, daß Silke auch kam. Sie hatte ein Recht darauf, denn sie gehörte sozusagen zur Familie.

      Sie fuhr schon vormittags

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