Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 2. Augustinus von Hippo
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24. Über den Sinn der Stelle, worin der Herr von denen, die durch die Sündflut zugrunde gehen sollten, sagt: Und ihre Tage sollen sein hundertundzwanzig Jahre.
Wenn aber Gott sprach[293] : „Und ihre Tage sollen sein hundertundzwanzig Jahre“, so ist das nicht so aufzufassen, als ob damit vorherverkündet wäre, daß in der Folge das Menschenleben nicht mehr hundertundzwanzig Jahre überschreiten sollte, da wir ja nach der Sündflut auch noch Lebensdauern selbst von mehr als fünfhundert Jahren vorfinden; vielmehr ist die Sache so zu verstehen, daß Gott dies gesprochen hat, als Noe am Ende von fünfhundert Lebensjahren stand oder genauer 480 Jahre alt war, wofür die Schrift nach ihrem Sprachgebrauch auch die runde Summe von 500 Jahren angibt[294] , da sie ja häufig das Ganze für den größten Teil setzt; und im 600. Jahre Noes, im zweiten Monat, fand die Sündflut statt[295] . Also bezieht sich die Vorhersage von 120 Jahren auf die Lebensfrist der dem Untergang geweihten Menschen, nach deren Ablauf sie durch die Sündflut vernichtet werden sollten. Und mit gutem Grunde nimmt man an, die Sündflut sei deshalb so angesetzt worden, weil sich da niemand mehr auf Erden fand, der nicht einen solchen Tod, wie er nun einmal als Strafe für Gottlose bestimmt war, verdient hätte. Nicht als ob für die Guten, die ja auch einmal sterben müssen, eine solche Todesart etwas in sich schlösse, was ihnen nach dem Tode schaden könnte, aber es ist eben doch keiner von denen, die in der Heiligen Schrift als Abkömmlinge Seths namhaft gemacht werden, durch die Sündflut ums Leben gekommen. Die Ursache der Sündflut aber wird von Seiten Gottes also angegeben[296] : „Da Gott der Herr sah, daß sich die Bosheiten der Menschen auf Erden vermehrten und jeglicher in seinem Herzen eifrig auf Böses sann Tag für Tag, da bedachte Gott, daß er den Menschen auf Erden erschaffen habe, und bedachte es wieder, und es sprach Gott: Vernichten will ich den Menschen, den ich erschaffen, vom Angesicht der Erde, angefangen vom Menschen bis zum vierfüßigen Getier und vom kriechenden Gewürm bis zu den Vögeln des Himmels, weil ich erzürnt bin, daß ich sie geschaffen habe“.
25. Gottes Zorn bedeutet nicht ein Aufflammen, das seine unwandelbare Ruhe störte.
Gottes Zorn ist nicht eine Erregung seines Gemütes, sondern das Gericht, durch das über die Sünde Strafe verhängt wird. Und wenn er etwas bedenkt und wieder bedenkt, so ist das die unwandelbare Vernunft in ihrem Verhältnis zu Dingen, die gewandelt werden sollen. Denn nicht wie der Mensch empfindet Gott Reue über irgendeine seiner Taten[297] ; vielmehr steht ihm das Urteil über alle und jegliche Dinge ebenso unwandelbar fest, wie sein Vorherwissen untrüglich ist. Würde jedoch die Schrift auf solche Ausdrucksweise verzichten, so könnte sie sich nicht so traulich einführen bei den Menschen aller Art, denen sie geholfen wissen will. So aber schreckt sie die Hochmütigen, spornt die Gleichgültigen, gibt den Suchenden Anregung, den in ihren Geist Eindringenden Nahrung. Das bringt sie nur zuwege, indem sie sich zunächst herabneigt und sozusagen heruntersteigt zu den Darniederliegenden. Wenn sie aber auch für alle Tiere auf Erden und in der Luft den Untergang ankündigt, so geschieht dies, um die Größe des bevorstehenden Unheils auszudrücken, nicht um den vernunftlosen Lebewesen mit Vernichtung zu drohen, als hätten auch sie gesündigt.
26. Die Arche, die Noe zu machen befohlen ward, weist in jeder Hinsicht auf Christus und die Kirche hin.
Wenn nunmehr aber dem Noe, einem gerechten und nach dem Ausspruch der stets wahren Schrift in seinem Geschlechte vollkommenen Menschen [vollkommen natürlich nicht in dem Sinne, wie es den Bürgern des Gottesstaates in der jenseitigen Unvergänglichkeit bestimmt ist, durch die sie den Engeln gleichkommen werden, sondern eben so, wie sie es während der irdischen Pilgerschaft sein können] von Gott aufgetragen ward, eine Arche zu machen, worin er mit den Seinigen, nämlich mit Gemahlin, Söhnen und Schwiegertöchtern, und mit den Tieren, die auf Gottes Befehl zu ihm in die Arche eingingen, gerettet werden sollte aus der alles verheerenden Sündflut, so ist diese Arche ohne Zweifel ein Vorbild für den hienieden in der Fremde pilgernden Gottesstaat, d. i. für die Kirche, die gerettet wird durch das Holz, an dem der Mittler zwischen Gott und den Menschen hing, der Mensch Christus Jesus[298] . Selbst die Maße der Länge, Höhe und Breite weisen auf den menschlichen Leib hin, wie denn der Mittler gemäß der Verheißung in einem wahren Leibe zu den Menschen kommen sollte und auch wirklich kam. Die Länge des menschlichen Leibes vom Scheitel bis zur Sohle beträgt nämlich das sechsfache der Breite von der einen Seite zur andern, und das zehnfache der Höhe, diese gemessen an der Seite vom Rücken zum Bauch. Man muß sich bei dieser Messung den Menschen am Boden liegend vorstellen, mit dem Gesicht oder mit dem Rücken nach oben gekehrt, so ist er vom Haupt bis zu den Füßen sechsmal so lang als eine Seite von rechts nach links oder von links nach rechts gemessen, und zehnmal so lang als vom Erdboden aus gerechnet hoch. Nach diesem Maß ward die Arche gemacht, und sie maß in der Länge 300 Ellen, in der Breite 50 und in der Höhe 30. Und der Eingang, den sie an der Seite erhielt, weist vollends hin auf die Wunde, da die Seite des Gekreuzigten mit einer Lanze durchbohrt ward; denn durch diesen Eingang gehen die, die zu ihm gelangen, sofern daraus die Sakramente entquollen sind, durch die die Gläubigen eingeführt werden. Und die viereckigen Hölzer, aus denen sie gefertigt