Nord-Nordwest mit halber Kraft. Arno Alexander
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Читать онлайн книгу Nord-Nordwest mit halber Kraft - Arno Alexander страница 3
„Ganz recht, mein Herr“, antwortete der Offizier und verneigte sich wieder ein wenig. Seine Haltung war einwandfrei höflich, aber sie wirkte wie eine ausgesuchte Boshaftigkeit. „Der Herr befindet sich in meiner Gesellschaft“, mischte sich die Frau ein. „Ich denke, das genügt?“ Ihre Stimme zitterte ein wenig.
„Das genügt leider nicht“, widersprach der Offizier. „Wir haben sehr genaue Anweisungen ...“
„Gut“, lenkte Diersch ein. „Gegen Anweisungen ist nichts zu machen. Ich werde also gehen. Aber nicht eher, als bis ich meine Unterhaltung mit dieser jungen Dame beendet habe.“
Durch den Wortwechsel aufmerksam geworden, waren die Passagiere aufgestanden und drängten sich neugierig heran. Auch Prochorow eilte herbei, denn er hatte bemerkt, dass die Dame, deren Freund er war, sich im Mittelpunkt der Gruppe befand. Ein paar rasche Fragen, und er war unterrichtet.
„Erika“, rief er streng, „ich wünsche nicht, dass du dich mit Zwischendeckpassagieren abgibst ...“
„Mein Herr“, wandte sich der Offizier von neuem an Diersch, ‚Sie verursachen hier einen Auflauf. Bitte, verlassen Sie sofort diesen Raum.“
„Was kostet die Zuschlag zu der Fahrschein?“ fragte eine hohe, klangvolle Frauenstimme. Das war die Stimme Maud Kassalas.
Der Offizier wandte sich um.
„Sechseinhalb Pfund.“
Maud drängte sich vor.
„Ich gebe Ihnen eine Scheck“, erklärte sie ruhig. „Der junge Mann bleibt.“
Der Offizier verneigte sich mit eisigem Gesicht.
„Damit ist der Fall erledigt.“
„Halt!“ rief Diersch. „Das stimmt nicht. Ich danke der jungen Dame für ihr Eingreifen, muss aber die Hilfe leider ablehnen. Ich gehe. Jetzt ist der Fall erledigt.“
„Very nice“, warf Mr. Scott ein. „Würden Sie, Herr Diersch ... Verzeihen Sie, dass ich Ihren Namen schon kenne, aber ich kenne ihn eben ... Würden Sie mir gestatten ... als eine Art Sympathiekundgebung sozusagen, für Sie die sechseinhalb Pfund auszulegen? Würde es mir zur Ehre anrechnen.“
Plötzlich strahlte das Gesicht des jungen Mannes.
„Darf ich um Ihren Namen bitten?“
„Scott aus Liverpool.“
„Mr. Scott, ich habe keine Bedenken, von Ihrem Anerbieten Gebrauch zu machen. Sie geben mir Ihre Adresse ...“
„Gewiss. Gern. Der Herr Offizier wird vielleicht die Freundlichkeit haben, den Zahlmeister hierher zu bitten. Und nun finde ich, dass wir diese junge Dame und Herrn Diersch lange genug in ihrer Unterhaltung gestört haben ... Hm?“
Die Passagiere begaben sich mit belustigten Gesichtern wieder an ihre Plätze. Nur Maud Kassala und Ossip Prochorow schienen mit dem Ausgang der Sache nicht zufrieden zu sein. Und ihre Gesichter wurden auch nicht fröhlicher, als der Schiffsarzt sein Bierglas hob und laut in deutscher Sprache rief:
„Eine dreifache Hurrah auf der edle Mr. Scott!“
Alles stimmte begeistert ein, und niemand fiel es auf, dass Dr. Pembroke auf Diersch zueilte und ihm kräftig die Hand drückte.
„Sie hätten unbedingt ablehnen müssen“, sagte der Schiffsarzt. „Jetzt haben Sie sich eine Feindin geschaffen. Entschuldigen Sie sich bei der Kassala. Ich fürchte zwar, dass auch das nichts mehr nützt.“ Dieses Mal hatte Dr. Pembroke englisch gesprochen.
2.
Die Uhr war sieben. Der Steward lief eilig durch alle Räume und schlug auf seinen Gong. Einzelne Gruppen der Passagiere strebten bereits dem Speisesaal zu. Manche hatten sich zum Abendessen umgezogen, die meisten hielten dies bei der herrschenden Wärme nicht für angebracht.
Der Dritte Offizier war im Begriff, den Zweiten abzulösen, und wollte eben die Kommandobrücke erklettern, als ein Anruf des Kapitäns ihn zurückhielt:
„Mr. Murphy, auf ein Wort!“
Der Offizier griff schweigend an den Mützenrand und folgte dem Kapitän in dessen Kajüte. Grady knipste das Licht an, legte seine Mütze auf einen Stuhl und liess sich an den kleinen, mit Karten und Büchern bedeckten Tisch nieder.
„Sie hatten einen Wortwechsel mit einem Passagier“, fragte er und sah seinen Offizier prüfend an.
„Jawohl, Kapitän.“
„Nehmen Sie doch Platz“, sagte Grady, aber der andere blieb nach wie vor stehen, als wolle er damit betonen, dass er diese Unterredung als streng dienstlich auffasse. „Der Vorfall hat peinliches Aufsehen erregt“, fuhr Grady fort. „Sie hätten das taktvoller machen müssen ... Hm ...wenn überhaupt! Es ist zwar die erste Reise, die Sie mit mir machen, und ich kenne Sie daher wenig, doch sind Sie mir als ein sehr tüchtiger Seeoffizier empfohlen worden ... ja ... Als Offizier eines Dampfers, der Passagiere mitführt, haben Sie aber auch die Pflicht, diesen Passagieren den Aufenthalt auf dem Dampfer so angenehm wie möglich zu machen ... Ich wünsche nicht, dass die Fahrgäste sich auf unserem Frachtdampfer weniger wohl fühlen als auf den regelrechten Passagierdampfern. Ich bitte Sie, in Zukunft ... Na, kurz und gut: Sie haben mich verstanden?“
„Jawohl, Kapitän“, antwortete Murphy wieder. Die Unterredung schien damit beendet zu sein, aber der Offizier stand nach wie vor in sehr aufrechter Haltung an der Tür.
„Sie können jetzt gehen“, sagte Grady und stopfte sich seine Pfeife.
„Ich habe eine Bitte“, sagte der Offizier.
Der Kapitän sah kurz auf.
„Ja?“
„Dürfte ich die Passagierliste einsehen?“
„Gewiss, sie liegt im Rauchzimmer aus“, antwortete Grady.
„Ich meine die ... andere Liste“, erläuterte der Offizier.
Der Kapitän stand mit einem Ruck auf, nahm ein blaues Aktenheft von einem Regal und reichte es Murphy. Er sprach kein Wort, aber deutlicher als jedes Wort verriet sein Gesicht heftigen Unwillen.
Murphy las im Stehen. Er las sehr aufmerksam. Sechsundzwanzig Namen las er und unter jedem dieser Namen die genauen Angaben über den Zweck der Reise, die Pläne und Vermögensverhältnisse jedes einzelnen. Bei den meisten Namen stand der Vermerk „In Ordnung“, bei einzelnen ein längerer Bericht, der mit den zwei Worten „zu beobachten“ schloss. Der Offizier hatte die Liste auf den Tisch gelegt und sein Notizbuch aus der Tasche gezogen. Er schrieb nur einige Worte, dann klappte er sein Büchlein zu und gab dem Kapitän auch die Liste zurück.
„Nun?“ fragte Grady unmutig. Er wanderte langsam in dem engen Raum auf und ab.
„Ich glaube nicht, dass alle Passagiere Bremen erreichen werden“, sagte Murphy kühl. „Ausserdem stimmt die Liste nicht.“
„Bitte,