Sinfonie der Lust | Erotischer Roman. Ayana Hunter
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Die Kundin empfing ihn auf dem Hof des Anwesens. Sie war gerade aus dem Haus getreten, hinter dem die Scheune stand. Sie trug einen bunten chinesischen Seidenkimono und glitzernde Riemchensandaletten. Er konnte nicht genau sagen, ob es sich bei ihrem Umhang um einen Bademantel oder ein Zirkuskostüm handelte. Irgendwie wirkte das auf diesem verlassenen Bauernhof, wo es normalerweise intensiv nach Kühen und Schweinen duftete, reichlich deplatziert. Er schätzte sie auf Ende vierzig, Anfang fünfzig, ihre Aufmachung sollte aber mindestens zehn Jahre davon ungeschehen machen. Dennoch war sie recht attraktiv, sodass das Bemühen, jünger zu wirken, noch nicht die Grenze zur Peinlichkeit überschritt. Ihre schwarzen Haare trug sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, ihr bleiches Gesicht glänzte, als habe sie gerade eine Antifaltenkur aufgetragen.
Die Begrüßung fiel überschwänglich aus, Bussi auf die Wange links, Bussi auf die Wange rechts. Längst hatte Dorothee ihm das »Du« angeboten und Marc zweifelte langsam daran, dass es ihr überhaupt um den Ausbau des Dachgeschosses ging, sie schien einfach nur wieder einmal nach seiner Aufmerksamkeit zu gieren. Es war in den letzten Wochen kaum ein Tag vergangen, an dem sie ihn nicht unter irgendeinem Vorwand angerufen hatte. Irgendwann musste damit Schluss sein. Vielleicht war heute der richtige Tag, ihr das klarzumachen. Nur deshalb hatte er sich überhaupt die Mühe gemacht, hier herauszufahren.
Sie plapperte wie ein Wasserfall, sodass er kaum zu Wort kam. Am Ende ihres Monologs bat sie ihn, dass er sich doch noch mal die Lage auf dem Dachboden anschauen möge, wo das Atelier geplant war. Sie habe inzwischen Zweifel, ob das mit dem Lichteinfall hinhaue. Seinen Einwand, dass die Beleuchtungssituation mit den momentanen Dachluken überhaupt nicht mit der zu vergleichen sei, welche bei den späteren riesigen Atelierfenstern herrschen würde, ließ sie nicht gelten. Er solle sich das bloß noch einmal anschauen, wenn er dann immer noch der Meinung sei, dass die geplante Lage auf der Südseite des Dachbodens in Ordnung wäre, würde sie für immer schweigen wie ein Grab. Marc betete heimlich, dass sie das wörtlich nehmen würde, er hatte aber eigentlich kaum eine berechtigte Hoffnung.
Es gab noch keine Treppe in dem Gebäude, sodass sie den Dachboden über eine Leiter erklimmen mussten, wie es in den alten Bauernscheunen üblich war. Dorothee stieg vorweg, mit dem bunten Seidenmantel und den offenen Schuhen nicht gerade optimal gekleidet für eine Stiege. Auf der Hälfte der Höhe verlor sie auch prompt einen der Latschen. Als sie mit dem Bein ruderte, um den Fall noch aufzuhalten, erspähte Marc, der nach der künftigen Künstlerin auf die Leiter steigen wollte, einen Blick unter ihren Umhang. Er hätte schwören können, dass ihr bloßer Hintern kurz aufgeblitzt war. Was sollte das bloß werden?
Überraschenderweise glückte der abenteuerliche Aufstieg, und als sie wohlbehalten oben in der Luke verschwunden war, folgte er ihr, mit bösen Vorahnungen, was dort oben folgen würde.
Auf der Tenne lag überall noch altes Stroh herum, was Marc jetzt mit einigem Argwohn registrierte. Dorothee führte ihn auf die Südseite und erklärte ihm, dass sie plane, Aktgemälde zu erschaffen. Sie würde den menschlichen Körper so sehr verehren, sowohl den männlichen, muskulösen als auch den weiblichen, kurvigen. Aktmalerei sei für sie die Krone der bildenden Kunst und sie meinte, dass es ein magisches Licht bräuchte, damit ihre Modelle später voll zur Geltung kommen könnten und die passende Inspiration für ihre Malerei sein würden.
»Genau hier an dieser Stelle möchte ich diesen Zauber einfangen«, bemerkte sie, als sie unter der Dachluke stand. »Ist das wirkungsvoll genug?« Dabei ließ sie den Kimono von ihren Schultern gleiten und war jetzt komplett nackt bis auf den einzelnen Schuh, den sie noch trug. Sie legte einen Arm hinter den schräg gehaltenen Kopf und reckte den Oberkörper in einer verführerischen Pose vor, sodass ihre nicht mehr ganz straffen, aber dennoch sehr ansehnlichen Brüste hervortraten. Sie lächelte ihn an, machte einen Kussmund wie die Monroe und ließ die Zunge über die Oberlippe gleiten. Dann hob sie mit beiden Händen ihre Brüste an und präsentierte sie, als wolle sie ihm ein kostbares Geschenk anbieten.
Marc merkte, dass ihm der Mund offen stand. Hundert Gedanken schossen ihm durch den Kopf, alle beschäftigten sich damit, wie er aus dieser Nummer wohl am besten herauskam. Offenbar hatte sie vor, ihn hier oben zu vernaschen. Aber wenn er sie jetzt zurückwies, konnte er das lukrative Projekt wohl vergessen. Und es war eigentlich schon zu viel Zeit und Geld investiert worden, als dass man jetzt ein Scheitern riskieren konnte. Wenn er jedoch auf ihr freizügiges Angebot einging, wäre er dann nicht nur eine Art Gigolo? Hatte er es nötig, sich ein Projekt mit erotischen Gegenleistungen zu erkaufen? Konnte er sich das überhaupt leisten? Schließlich stand sein guter Ruf auf dem Spiel.
In dem Moment, als sich sein Freund in der Hose einmischte und den Rat gab, sich darüber bloß keine Gedanken zu machen, kam sie auf ihn zu und stieß ihn unsanft zurück. Marc war so überrascht, dass er rückwärts ins Stroh stolperte, und bevor er realisiert hatte, was passiert war, saß sie schon rittlings auf ihm, bedeckte ihn mit Küssen und fummelte an seiner Hose herum. Dabei murmelte sie Worte wie »Hengst« und »rattenscharf«, und wenn er sich recht erinnerte, fiel auch das Wort »vögeln«.
In diesem Augenblick vibrierte es in seiner Hose. Ein verwirrendes Ereignis, aber nein, das war zum Glück nicht sein Schwanz, sondern das iPhone. Während Dorothee versuchte, ihm ihre Zunge in den Hals zu stecken, nestelte er es hervor und schielte auf das Display. Ben! Das war seine Rettung. Obwohl sein strammer Freund in der unteren Körperregion wenig über diese Störung erfreut war, gewann sein Gehirn nun wieder die Oberhand über seinen Körper. Er schob seine liebestolle Kundin wie einen Grashalm von sich und vollführte eine entschuldigende Geste in ihre Richtung, während er das Gespräch annahm. Ben wollte wissen, wann sie sich mal wieder treffen würden, er habe etwas für ihn ausfindig gemacht. Marc war ihm so dankbar für diesen Anruf zum genau richtigen Zeitpunkt. Sein Freund schien für ihn zu einer Art Schutzengel geworden zu sein, denn schon wieder rettete er ihn im letzten Moment aus einer heiklen Situation. Er versprach, gleich zurückzurufen und stammelte für Dorothee ein paar entschuldigende Worte, es sei ein dringender Fall und er müsse jetzt unbedingt los. Bevor ihm sein sich schmollend zurückziehender Kumpel in der Hose einen anderen Rat geben konnte, eilte er zur Luke und schlüpfte hinaus auf die Leiter.
»Übrigens, der Lichteinfall ist an dieser Stelle einfach perfekt. Er könnte gar nicht besser sein«, versicherte er im Hinausgehen der enttäuscht dreinschauenden Frau Melzer. Er hoffte, dass es so nicht zu sehr wie eine Flucht wirkte – die es genau genommen natürlich schon war – und dass sie bezüglich des Auftrages bei der Stange bleiben würde. Er verschwand, bevor sie etwas antworten konnte.
Den Weg zu seinem Wagen legte er fast im Laufschritt zurück, während er sein Smartphone hervorholte und die Rückruftaste betätigte. Sollte er seinem Freund von dieser peinlichen Begegnung berichten? Der würde ihn wohl für verrückt erklären, dass er sich diesen Gelegenheitsfick entgehen lassen hatte. Deshalb verzichtete er lieber darauf. Er kam ohnehin kaum zu Wort, denn Ben berichtete ihm mit überschwänglicher Begeisterung von dem Notebook, das er ausfindig gemacht hatte. Marc erinnerte sich. Ja, er hatte ihm erzählt, dass er so ein Gerät mit einem mobilen Internetanschluss für sein Gartenhaus benötigte und Ben hatte angeboten, sich umzuschauen. Bei allem, was mit Computertechnik zu tun hatte, war sein Freund Feuer und Flamme, während er selbst diese Dinger als nützliche Kisten ansah, die darüber hinaus wenig Anlass zur Begeisterung gaben. Marc ermächtigte seinen Freund, dieses Ding zu kaufen, obwohl es eine horrende Summe kostete, denn er wusste, dass Ben nicht eher locker lassen würde. Als Marc das Gespräch beendet hatte, registrierte er auf seinem Telefon einen verpassten Anruf. Juliette! Es war wie ein Stich in sein Herz. Er zögerte nicht, auf »Rückruf« zu drücken, aber es begrüßte ihn erwartungsgemäß wieder die wohlbekannte Stimme ihres Mobilfunkanbieters mit der ihm sehr vertrauten Abwesenheitsmeldung.