Heidis Lehr- und Wanderjahre. Johanna Spyri
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Читать онлайн книгу Heidis Lehr- und Wanderjahre - Johanna Spyri страница 5
„So, das ist recht, dass du selbst etwas ausdenkst“, sagte der Grossvater und legte den Braten auf das Brot als Unterlage; „aber es fehlt noch etwas auf dem Tisch.“
Heidi sah, wie einladend es aus dem Topfe hervordampfte, und lief schnell wieder an den Schrank. Da stand aber nur ein einziges. Schüsselchen. Heidi war nicht lange in Verlegenheit. Dort hinten standen zwei Gläser; augenblicklich kam das Kind zurück und stellte Schüsselchen und Glas auf den Tisch.
„Recht so, du weisst dir zu helfen, aber wo willst du sitzen?“ Auf dem einzigen Stuhl sass der Grossvater selbst. Heidi schoss pfeilschnell zum Herd hin, brachte den kleinen Dreifuss zurück und setzte sich darauf.
„Einen Sitz hast du wenigstens, das ist wahr, nur ein wenig weit unten“, sagte der Grossvater; „aber von meinem Stuhl aus wärst du auch zu kurz, auf den Tisch zu langen. Jetzt musst du aber erst einmal etwas haben, so komm!“ Damit stand er auf, füllte das Schüsselchen mit Milch, stellte es auf den Stuhl und rückte den ganz nahe an den Dreifuss hin, so dass das Heidi nun einen Tisch vor sich hatte. Der Grossvater legte ein grosses Stück Brot und ein Stück von dem goldenen Käse darauf und sagte: „Jetzt iss!“ Er selbst setzte sich nun auf die Ecke des Tisches und begann sein Mittagsmahl. Heidi ergriff sein Schüsselchen und trank und trank ohne Unterlass; denn der ganze Durst seiner langen Reise war ihm wieder aufgestiegen. Jetzt tat es einen langen Atemzug — denn im Eifer des Trinkens hatte es lange den Atem nicht holen können — und stellte sein Schüsselchen hin.
„Gefällt dir die Milch?“ fragte der Grossvater.
„Ich habe noch gar nie so gute Milch getrunken“, antwortete Heidi.
„So musst du mehr haben“, und der Grossvater füllte das Schüsselchen noch einmal bis oben hin und stellte es vor das Kind, das vergnüglich in sein Brot biss, nachdem es von dem weichen Käse daraufgestrichen; denn der war, so gebraten, weich wie Butter, und das schmeckte ganz kräftig zusammen, und zwischendurch trank es seine Milch und sah sehr vergnüglich aus. Als nun das Essen zu Ende war, ging der Grossvater in den Geissenstall hinaus und hatte da allerhand in Ordnung zu bringen, und Heidi sah ihm aufmerksam zu, wie er erst mit dem Besen fegte, dann frische Streu legte, dass die Tierchen darauf schlafen konnten, wie er dann nebenan nach dem Schöpfchen, dem kleinen Holzschuppen, ging, und hier runde Stöcke zurechtschnitt und an einem Brett herumhackte und Löcher hineinbohrte und dann die runden Stöcke hineinsteckte und aufstellte. Da war es auf einmal ein Stuhl wie der vom Grossvater, nur viel höher, und Heidi staunte das Werk an, sprachlos vor Verwunderung.
„Was ist das, Heidi?“ fragte der Grossvater.
„Das ist mein Stuhl, weil er so hoch ist; auf einmal war er fertig“, sagte das Kind, noch in tiefem Erstaunen und grosser Bewunderung.
„Es weiss, was es sieht; es hat die Augen am rechten Ort“, bemerkte der Grossvater vor sich hin, als er nun um die Hütte herumging und hier einen Nagel einschlug und dort einen und dann an der Tür etwas zu befestigen hatte und so mit Hammer und Nägeln und Holzstücken von einem Ort zum anderen wanderte und immer etwas ausbesserte oder wegschlug, je nach dem Bedürfnis. Heidi ging Schritt für Schritt hinter ihm her und schaute ihm unverwandt mit der grössten Aufmerksamkeit zu, und alles, was da vorging, war ihm sehr kurzweilig anzusehen.
So kam der Abend heran. Es fing stärker an zu rauschen in den alten Tannen; ein mächtiger Wind fuhr daher und sauste und brauste durch die dichten Wipfel. Das klang dem Heidi so schön in die Ohren und ins Herz hinein, dass es ganz fröhlich darüber wurde und unter den Tannen umherhüpfte und -sprang, als hätte es eine unerhörte Freude erlebt. Der Grossvater stand unter der Schopftür und schaute dem Kinde zu. Jetzt ertönte ein schriller Pfiff. Heidi hielt in seinen Sprüngen an, der Grossvater trat heraus. Von oben herunter kam es gesprungen, Geiss um Geiss, wie eine Jagd, und mitten drin der Peter. Mit einem Freudenruf schoss Heidi mitten in den Rudel hinein und begrüsste die alten Freunde von heute morgen einen um den anderen. Bei der Hütte angekommen, stand alles still, und aus der Herde heraus kamen zwei schöne, schlanke Geissen, eine weisse und eine braune, auf den Grossvater zu und leckten seine Hände; denn er hielt ein wenig Salz darin, wie er jeden Abend zum Empfang seiner zwei Tierlein tat. Der Peter verschwand mit seiner Schar. Heidi streichelte zärtlich die eine und dann die andere von den Geissen und sprang um sie herum, um sie von der anderen Seite auch zu streicheln, und war ganz Glück und Freude über die Tierchen. „Sind sie unser, Grossvater? Sind sie beide unser? Kommen sie in den Stall? Bleiben sie immer bei uns?“ so fragte Heidi hintereinander in seinem Vergnügen, und der Grossvater konnte kaum sein stetiges: „Ja, ja!“ zwischen die eine und die andere Frage hineinbringen. Als die Geissen ihr Salz aufgeleckt hatten, sagte der Alte: „Geh und hol dein Schüsselchen heraus und das Brot!“
Heidi gehorchte und kam gleich wieder. Nun melkte der Grossvater gleich von der Weissen das Schüsselchen voll und schnitt ein Stück Brot ab und sagte: „Nun iss, und dann geh hinauf und schlaf! Die Base Dete hat noch ein Bündelchen abgelegt für dich, da seien Hemdlein und so etwas darin, das liegt unten im Kasten, wenn du’s brauchst; ich muss nun mit den Geissen hinein, so schlaf wohl!“
„Gut Nacht, Grossvater! Gut Nacht — wie heissen sie, Grosspater, wie heissen sie?“ rief das Kind und lief dem verschwinden den Alten und den Geissen nach.
„Die weisse heisst Schwänli und die braune Bärli“, gab der Grossvater zurück.
„Gut Nacht, Schwänli, gut Nacht, Bärli!“ rief nun Heidi noch mit Macht; denn eben verschwanden beide in den Stall hinein. Nun setzte sich Heidi noch auf die Bank und ass sein Brot und trank seine Milch; aber der starke Wind wehte es fast von seinem Sitz herunter. So machte es schnell fertig, ging dann hinein und stieg zu seinem Bett hinauf, in dem es auch gleich nachher so fest und herrlich schlief, als nur einer im schönsten Fürstenbett schlafen kann.
Nicht lange nachher, noch ehe es völlig dunkel war, legte auch der Grossvater sich auf sein Lager; denn am Morgen war er immer schon mit der Sonne wieder draussen, und die kam sehr früh über die Berge hereingestiegen in dieser Sommerszeit. In der Nacht kam der Wind so gewaltig, dass bei seinen Stössen die ganze Hütte erzitterte und es in allen Balken krachte: durch den Schornstein heulte und ächzte es wie Jammerstimmen, und in den alten Tannen draussen tobte es mit solcher Wucht, dass hier und da ein Ast niederkrachte.
Mitten in der Nacht stand der Grossvater auf und sagte halblaut vor sich hin: „Es wird sich wohl fürchten.“ Er stieg die Leiter hinauf und trat an Heidis Lager heran. Der Mond draussen stand einmal helleuchtend am Himmel, dann fuhren wieder die jagenden Wolken darüber hin, und alles wurde dunkel. Jetzt kam der Mondschein eben leuchtend durch die runde Öffnung herein und fiel gerade auf Heidis Lager. Es hatte sich unter seiner schweren Decke feuerrote Backen erschlafen, und ganz ruhig und friedlich lag es auf seinem runden Ärmchen und träumte von etwas Erfreulichem; denn sein Gesichtchen sah ganz wohlgemut aus. Der Grossvater schaute so lange auf das friedlich schlafende Kind, bis der Mond wieder hinter die Wolken trat und es dunkel wurde; dann kehrte er auf sein Lager zurück.
Auf der Weide
Heidi erwachte am frühen Morgen an einem lauten Pfiff, und als es die Augen aufschlug, kam ein goldener Schein durch das runde Loch auf sein Lager hereingeflossen und auf das Heu daneben, dass alles ringsherum golden leuchtete. Heidi schaute er: staunt um sich und wusste durchaus nicht, wo es war. Aber nun hörte es draussen des Grossvaters tiefe Stimme, und jetzt kam ihm alles in den Sinn: woher es gekommen war, und dass es nun auf der Alm beim Grossvater sei, nicht mehr bei der alten Ursel, die fast nichts mehr hörte und meistens fror, so dass sie immer am Küchenfeuer