Heidis Lehr- und Wanderjahre. Johanna Spyri
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Читать онлайн книгу Heidis Lehr- und Wanderjahre - Johanna Spyri страница 7
„Wo ist er jetzt hin?“ fragte Heidi, das mit gespannter Aufmerksamkeit den Vogel verfolgt hatte.
„Heim ins Nest“, war Peters Antwort.
„Ist er dort oben daheim? Oh, wie schön, so hoch oben! Warum schreit er so?“ fragte Heidi weiter.
„Weil er muss!“ erklärte Peter.
„Wir wollen doch dort hinaufklettern und sehen, wo er daheim ist“, schlug Heidi vor.
„Oh, oh, oh!“ brach der Peter aus, jeden Ausruf mit verstärkter Missbilligung hervorstossend; „wenn keine Geiss mehr dorthin kann und der Öhi gesagt hat, du dürfest nicht über die Felsen hinunterfallen!“
Jetzt begann der Peter mit einemmal ein so gewaltiges Pfeifen und Rufen anzustimmen, dass Heidi gar nicht wusste, was das bedeuten sollte; aber die Geissen mussten die Töne verstehen; denn eine nach der anderen kam heruntergesprungen, und nun war die ganze Schar auf der grünen Halde versammelt, die einen fortzupfend an den würzigen Halmen, die anderen hin- und herrennend, und die dritten ein wenig mit ihren Hörnern zum Zeitvertreib gegeneinanderstossend. Heidi war aufgesprungen und rannte mitten unter den Geissen umher; denn das war ihm ein neuer, unbeschreiblich vergnüglicher Anblick, wie die Tierlein durcheinandersprangen und sich lustig machten, und Heidi sprang von einem zum anderen und machte mit jedem ganz persönliche Bekanntschaft; denn jedes war eine ganz besondere Erscheinung für sich und hatte seine eigenen Gewohnheiten. Unterdessen hatte Peter den Sack herbeigeholt und alle vier Stücke, die drin waren, schön auf den Boden in ein Viereck hingelegt, die grossen Stücke auf Heidis Seite und die kleinen auf die seinige hin; denn er wusste genau, wie er sie erhalten hatte. Dann nahm er das Schüsselchen und melkte schöne frische Milch vom Schwänli hinein und stellte das Schüsselchen mitten ins Viereck. Dann rief er Heidi herbei; musste aber länger rufen als nach den Geissen; denn das Kind war so in Eifer und Freude über die mannigfaltigen Sprünge, und Erlustigungen seiner neuen Spielkameraden, dass es nichts sah und nichts hörte ausser diesen.
Aber Peter wusste sich verständlich zu machen. Er rief, dass es bis in die Felsen hinauf dröhnte, und nun erschien Heidi, und die gedeckte Tafel sah so einladend aus, dass es vor Wohlgefallen um sie herumhüpfte.
„Hör auf zu hopsen, es ist Zeit zum Essen“, sagte Peter; „jetzt setz dich und fang an!“
Heidi setzte sich hin. „Ist die Milch mein?“ fragte es, nochmals das schöne Viereck und den Hauptpunkt in der Mitte mit Wohlgefallen betrachtend.
„Ja“, erwiderte Peter, „und die zwei grossen Stücke zum Essen sind auch dein, und wenn du ausgetrunken hast, bekommst du noch ein Schüsselchen vom Schwänli, und dann komm ich.“
„Und von wem bekommst du die Milch?“ wollte Heidi wissen.
„Von meiner Geiss, von der Schecke. Fang erst einmal zu essen an!“ mahnte Peter wieder. Heidi fing bei der Milch an, und sowie es sein leeres Schüsselchen hinstellte, stand Peter auf und holte ein zweites herbei. Dazu brach Heidi ein Stück von seinem Brot ab, und das ganze übrige Stück, das immer noch grösser war, als Peters eigenes Stück gewesen, das nun schon samt Zubehör fast zu Ende war, reichte es diesem hinüber mit dem ganzen grossen Brocken Käse und sagte: „Das kannst du haben, ich habe genug.“
Peter schaute das Heidi mit sprachloser Verwunderung an; denn noch nie in seinem Leben hatte er so sagen und etwas weggeben können. Er zögerte noch ein wenig; denn er konnte nicht recht glauben, dass es dem Heidi Ernst sei; aber dieses hielt erst recht seine Stücke hin, und da Peter nicht zugriff, legte es sie auf das Knie des Buben nieder. Nun sah er, dass es ernst gemeint war; er erfasste sein Geschenk, nickte in Dank und Zustimmung und hielt nun ein so reichliches Mittagsmahl wie noch nie in seinem Leben als Geissbub. Heidi schaute derweilen nach den Geissen aus. „Wie heissen sie alle, Peter?“ fragte es.
Das wusste dieser nun ganz genau und konnte es um so besser in seinem Kopf behalten, als er daneben wenig darin aufzubewahren hatte. Er fing also an und nannte ohne Anstoss eine nach der anderen, immer mit dem Finger die betressende bezeichnend. Heidi hörte mit gespannter Aufmerksamkeit der Unterweisung zu, und es währte gar nicht lange, so konnte es sie alle voneinander unterscheiden und jede bei ihrem Namen nennen; denn es hatte eine jede ihre Besonderheiten, die einem gleich im Sinne bleiben mussten. Man musste nur allem genau zusehen, und das tat Heidi. Da war der grosse Türk mit den starken Hörnern; der wollte mit diesen immer gegen alle anderen stossen, und die meisten liefen davon, wenn er kam. Sie wollten von dem groben Kameraden nichts wissen. Nur der kecke Distelfink, das schlanke, behende Geisschen, wich ihm nicht aus, sondern rannte von sich aus manchmal drei-, viermal hintereinander so rasch und tüchtig gegen ihn an, dass der grosse Türk öfters ganz erstaunt dastand und nicht mehr angriff; denn der Distelfink stand ganz kriegslustig vor ihm und hatte scharfe Hörnchen. Da war das kleine weisse Schneehöppli, das immer so eindringlich und flehentlich meckerte, dass Heidi schon mehrmals zu ihm hingelaufen war und es tröstend beim Kopf genommen hatte. Auch jetzt sprang das Kind wieder hin; denn die junge jammernde Stimme hatte eben wieder flehentlich gerufen. Heidi legte seinen Arm um den Hals des Geissleins und fragte ganz teilnehmend: „Was hast du, Schneehöppli? Warum rufst du so um Hilfe?“ Das Geisslein schmiegte sich nahe und vertrauensvoll an Heidi an und war jetzt ganz still. Peter rief mit einigen Unterbrechungen von seinem Sitz aus; denn er hatte immer noch zu beissen und zu schlucken: „Es tut so, weil die Alte nicht mehr mitkommt: sie haben sie vorgestern nach Mayenfeld verkauft, nun kommt sie nicht mehr auf die Alm.“
„Wer ist die Alte?“ fragte Heidi zurück.
„Pah, seine Mutter“, war die Antwort.
„Wo ist die Grossmutter?“ rief Heidi wieder.
„Hat keine.“
„Und der Grossvater?“
„Hat keinen.“
„Du armes Schneehöppli du“, sagte Heidi und drückte das Tierlein zärtlich an sich. „Aber jammere jetzt mur nicht mehr so; siehst du, ich komme nun jeden Tag mit dir, dann bist du nicht mehr so verlassen, und wenn dir etwas fehlt, kannst du nur zu mir kommen.“
Das Schneehöppli rieb ganz vergnügt seinen Kopf an Heidis Schulter und meckerte nicht mehr kläglich. Unterdessen hatte Peter sein Mittagsmahl beendet und kam nun auch wieder zu seiner Herde und zu Heidi heran, das schon wieder allerlei Betrachtungen angestellt hatte.
Weitaus die zwei schönsten und saubersten Geissen der ganzen Schar waren Schwänli und Bärli, die sich auch mit einer gewissen Vornehmheit betrugen, meistens ihre eigenen Wege gingen und besonders dem zudringlichen Türk abweisend und verächtlich begegneten.
Die Tierchen hatten nun wieder begonnen, nach den Büschen hinaufzuklettern, und jedes hatte seine eigene Weise dabei, die einen leichtfertig über alles weghüpfend, die anderen bedächtig die guten Kräutlein unterwegs suchend, der Türk hier und da seine Angriffe versuchend. Schwänli und Bärli kletterten hübsch und leicht hinan und fanden oben sogleich die schönsten Büsche, stellten sich geschickt daran auf und frassen sie zierlich ab. Heidi stand mit den Händen auf dem Rücken und schaute dem allen mit der grössten Aufmerksamkeit zu.
„Peter“, bemerkte es jetzt zu dem wieder auf dem Boden Liegenden, „die schönsten von allen sind das Schwänli und das Bärli.“
„Weiss schon“, war die Antwort. „Der Alm-Öhi putzt und wäscht sie und gibt ihnen Salz und hat den schönsten Stall.“
Aber auf einmal sprang Peter auf und setzte in grossen Sprüngen den Geissen nach, und das Heidi lief hinterdrein; da musste etwas geschehen