Heidis Lehr- und Wanderjahre. Johanna Spyri

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Heidis Lehr- und Wanderjahre - Johanna Spyri страница 6

Heidis Lehr- und Wanderjahre - Johanna Spyri

Скачать книгу

es dem Heidi manchmal zu eng drinnen, und es wäre lieber hinausgelaufen.

      So war es sehr froh, als es in der neuen Behausung erwachte und sich erinnerte, wieviel Neues es gestern gesehen hatte, und was es heute wieder alles sehen könnte, vor allem das Schwänli und das Bärli. Heidi sprang eilig aus seinem Bett und hatte in wenig Minuten alles wieder angezogen, was es gestern getragen hatte; denn es war sehr wenig. Nun stieg es die Leiter hinunter und sprang vor die Hütte hinaus. Da stand schon der Geissenpeter mit seiner Schar, und der Grossvater brachte eben Schwänli und Bärli aus dem Stall herbei, dass sie sich der Gesellschaft anschlössen. Heidi lief ihm entgegen, um ihm und den Geissen guten Tag zu sagen.

      „Willst du mit auf die Weide?“ fragte der Grossvater. Das war dem Heidi eben recht; es hüpfte hoch auf vor Freuden.

      „Aber erst waschen und sauber sein, sonst lacht einen die Sonne aus, wenn sie so schön glänzt da droben und sieht, dass du schwarz bist; sieh, dort ist’s für dich gerichtet.“ Der Grossvater zeigte auf einen grossen Zuber voll Wasser, der vor der Tür in der Sonne stand. Heidi sprang hin und platschte und rieb, bis es ganz glänzend war. Unterdessen ging der Grossvater in die Hütte hinein und rief dem Peter zu: „Komm hierher, Geissengeneral, und bring deinen Habersack mit!“ Verwundert folgte Peter dem Ruf und streckte sein Säcklein hin, in dem er sein mageres Mittagessen bei sich trug.

      „Mach auf!“ befahl der Alte und steckte nun ein grosses Stück Brot und ein ebenso grosses Stück Käse hinein. Der Peter machte vor Erstaunen seine runden Augen so weit auf wie nur möglich; denn die beiden Stücke waren jedes wohl nochmal so gross wie jedes der zwei, die er als eigenes Mittagsmahl drinnen hatte.

      „So, nun kommt noch das Schüsselchen hinein“, fuhr der Öhi fort; „denn das Kind kann nicht trinken wie du, mur so von der Geiss weg, es kennt das nicht. Du melkst ihm zwei Schüsselchen voll zu Mittag; denn das Kind geht mir dir und bleibt bei dir, bis du wieder herunterkommst; gib acht, dass es nicht über die Felsen hinunterfällt, hörst du?“

      Nun kam Heidi hereingelaufen. „Kann mich die Sonne jetzt nicht auslachen, Grossvater?“ fragte es angelegentlich. Es hatte sich mit dem groben Tuch, das der Grossvater neben dem Wasserzuber aufgehängt hatte, Gesicht, Hals und Arme in seiner Furcht vor der Sonne so erstaunlich gerieben, dass es krebsrot vor dem Grossvater stand. Er lachte ein wenig.

      „Nein, nun hat sie nichts zu lachen“, bestätigte er. „Aber weisst du was? Am Abend, wenn du heimkommst, da gehst du noch ganz hinein in den Zuber wie ein Fisch; denn wenn man geht wie die Geissen, da bekommt man schwarze Füsse. Jetzt könnt ihr ausziehen.“

      Nun ging es lustig die Alm hinan. Der Wind hatte in der Nacht das letzte Wölkchen weggeblasen; dunkelblau schaute der Himmel von allen Seiten hernieder, und mitten darauf stand die leuchtende Sonne und schimmerte auf die grüne Alp, und alle die blauen und gelben Blümchen darauf machten ihre Kelche auf und schauten ihr fröhlich entgegen. Heidi sprang hierhin und dorthin und jauchzte vor Freude; denn da waren ganze Trüppchen feiner roter Himmelsschlüsselchen beieinander, und dort schimmerte es ganz blau von den schönen Enzianen, und überall lachten und nickten die zartblätterigen, goldenen Zistusröschen in der Sonne. Vor Entzücken über all die flimmernden, winkenden Blümchen vergass Heidi sogar die Geissen und auch den Peter. Es sprang ganze Strecken voran und dann auf die Seite; denn dort funkelte es rot und da gelb und lockte Heidi nach allen Richtungen.. Und überall brach Heidi ganze Bündel von den Blumen und packte sie in sein Schürzchen ein; denn es wollte sie alle mit heimnehmen und ins Heu stecken in seiner Schlafkammer, dass es dort werde wie hier draussen. —

      So hatte der Peter heut nach allen Seiten zu gucken, und seine kugelrunden Augen, die nicht besonders schnell hin- und hergingen, hatten mehr Arbeit, als er gut bewältigen konnte; denn die Geissen machten es wie das Heidi: sie liefen auch dahin und dorthin, und er musste überallhin pfeifen und rufen und seine Rute schwingen, um wieder alle die Verlaufenen zusammenzutreiben.

      „Wo bist du schon wieder, Heidi?“ rief er jetzt mit ziemlich grimmiger Stimme.

      „Da“, tönte es von irgendwoher zurück. Sehen konnte Peter niemand; denn Heidi sass am Boden hinter einem Hügelchen, das dicht mit duftenden Prünellen besät war; da war die ganze Luft umher so mit Wohlgeruch erfüllt, dass Heidi noch nie so Liebliches eingeatmet hatte. Es setzte sich in die Blumen hinein und zog den Duft in vollen Zügen ein.

      „Komm nach!“ rief der Peter wieder. „Du musst nicht über die Felsen hinunterfallen, der Öhi haťs verboten.“

      „Wo sind die Felsen?“ fragte Heidi zurück, bewegte sich aber nicht von der Stelle; denn der süsse Duft strömte mit jedem Windhauch dem Kinde lieblicher entgegen.

      „Dort oben, ganz oben; wir haben noch weit, drum komm jetzt! Und oben am höchsten sitzt der alte Raubvogel und krächzt.“

      Das half. Augenblicklich sprang Heidi in die Höhe und rannte mit seiner Schürze voller Blumen dem Peter zu.

      „Jetzt hast du genug“, sagte dieser, als sie wieder zusammen weiter kletterten; „sonst bleibst du immer stecken, und wenn du alle nimmst, gibt’s morgen keine mehr.“ Der letzte Grund leuchtete Heidi ein, und dann hatte es die Schürze schon so angefüllt, dass da wenig Platz mehr gewesen wäre, und morgen mussten auch noch welche da sein. So zog es nun mit dem Peter weiter, und die Geissen gingen nun auch geregelter; denn sie rochen die guten Kräuter von dem hohen Weideplatz schon von fern und strebten deshalb ohne Aufenthalt dahin. Der Weideplatz, wo Peter gewöhnlich mit seinen Geissen halt machte und sein Quartier für den Tag aufschlug, lag am Fusse der hohen Felsen, die, erst noch von Gebüsch und Tannen bedeckt, zuletzt ganz kahl und schroff zum Himmel hinaufragen. An der einen Seite der Alp ziehen sich Felsenklüfte weit hinunter, und der Grossvater hatte recht, davor zu warnen. Als nun dieser Punkt der Höhe erreicht war, nahm Peter seinen Sack ab und legte ihn sorgfältig in eine kleine Vertiefung des Bodens hinein; denn der Wind kam manchmal in starken Stössen dahergefahren, und den kannte Peter und wollte seine kostbare Habe nicht den Berg hinunterrollen sehen. Dann streckte sich der Peter lang und breit auf den sonnigen Weideboden hin; denn er musste sich nun von der Anstrengung des Steigens erholen.

      Heidi hatte unterdessen sein Schürzchen losgemacht, schön fest mit den Blumen darin zusammengerollt und zum Proviantfack in die Vertiefung hineingelegt, und nun setzte es sich neben den ausgestreckten Peter hin und schaute um sich. Das Tal lag weit unten im vollen Morgenglanz. Vor sich sah Heidi ein grosses, weites Schneefeld sich erheben, hoch in den dunkelblauen Himmel hinauf, und links davon stand eine ungeheure Felsenmasse, und zu jeder Seite ragte ein hoher Felsenturm kahl und zackig in die Bläue hinauf und schaute von dort oben ganz ernsthaft auf das Heidi nieder. Das Kind sass mäuschenstill da und schaute ringsum — weit umher war eine grosse, tiefe Stille. Nur ganz sanft und leise ging der Wind über die zarten blauen Glockenblümchen und die golden strahlenden Zistusröschen, die überall auf ihren dünnen Stengelchen herumständen und leise und fröhlich hin und her nickten. Der Peter war eingeschlafen nach seiner Anstrengung, und die Geissen kletterten oben an den Büschen umher. Dem Heidi war es so froh zumute wie in seinem Leben noch nie. Es trank das goldene Sonnenlicht, die frischen Lüfte, den zarten Blumenduft in sich hinein und begehrte gar nichts mehr, als immerzu da zu bleiben. So verging eine gute Zeit, und Heidi hatte sooft und solange zu den hohen Bergstöcken drüben aufgeschaut, dass es nun war, als hätten sie alle auch Gesichter bekommen und schauten ganz bekannt zu ihm hernieder, so wie gute Freunde.

      Jetzt hörte Heidi über sich ein lautes, scharfes Geschrei und Krächzen ertönen, und wie es aufschaute, kreiste über ihm ein so grosser Vogel, wie es in seinem ganzen Leben nie einen gesehen hatte, mit weit ausgebreiteten Schwingen in der Luft umher, und in grossen Bogen kehrte er immer wieder zurück und krächzte laut und durchdringend über Heidis Ropf.

      „Peter! Peter! Erwache!“ rief Heidi laut. „Sieh, der Raubvogel ist da, sieh, sieh!“

Скачать книгу