Aus den Akten der Agence O. Georges Simenon

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Aus den Akten der Agence O - Georges  Simenon Red Eye

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ist nicht wichtig, wo wir gelebt haben. Aber Sie müssen wissen, dass Jim und ich wie Kinder aus sehr gutem Hause aufgewachsen sind und gelebt haben. Vor Kurzem ist unser Vater in den Staaten verhaftet worden. Das war das erste Mal, dass die Polizei es geschafft hat, ihn zu schnappen. Und das auch nur durch eine seltsame Folge von Zufällen. Jim und ich dachten, wenn wir nur genug Geld zusammenkriegen würden, könnten wir ihn vielleicht aus dem Gefängnis holen. Also sind wir nach Paris gekommen und …«

      »Und sind in die Fußstapfen Ihres Vaters getreten«, beendet Émile ihren Satz.

      Sie lächelt schwach.

      »Sie sehen ja, dass wir im Grunde nicht damit durchgekommen sind. Jim musste ja bei dem letzten Einbruch sein Taschentuch verlieren. Ich habe Sie durchs Schaufenster gesehen. Ich wollte …«

      Ihre Augen sind feucht geworden. Ihre Lippen zittern ein bisschen, und sie trinkt einen Schluck Champagner.

      »Ich nehme es Ihnen ja gar nicht übel«, fährt sie fort. »Jeder von uns macht schließlich nur seine Arbeit, richtig? Was mir Angst macht, ist der Gedanke, dass Jim ins Gefängnis kommt. Er ist ein so sensibler Junge. Als wir noch Kinder waren, war ich immer die Stärkere von uns beiden, und er war mehr wie ein Mädchen. Wie bitte?«

      »Nichts. Ich habe nichts gesagt.«

      »Deswegen habe ich Ihnen vorhin die Frage nach der Polizei gestellt. Selbst wenn man ihn wirklich verhaften würde, könnte Jim Ihnen gar nicht sagen, wo die Juwelen sind, denn es war meine Aufgabe, sie zu verstecken. Wenn Sie mir versprechen, ihn laufen zu lassen, gebe ich sie Ihnen zurück. Sie haben Ihren Auftrag erfüllt, und ich verspreche Ihnen, dass Jim und ich noch heute Nacht das Land verlassen …«

      Sie hat ihre Hand über den Tisch gestreckt und berührt Émiles.

      »Seien Sie nett«, flüstert sie mit einem einnehmenden schiefen Lächeln.

      Er zieht seine Hand nicht weg. Er ist verlegen, und wie immer in solchen Situationen fängt er an, langsam und gründlich seine Brille zu putzen.

      »Sind die Juwelen im Majestic?«, fragt er, nachdem er sich geräuspert hat.

      »Sie reden nicht um den heißen Brei herum, was? Wenn ich Ihnen antworte, woher soll ich dann wissen, dass Sie Ihr Versprechen halten?«

      »Verzeihung, aber bis jetzt habe ich noch nichts versprochen.«

      »Lehnen Sie also ab? Glauben Sie, dass Sie Jim zum Reden bringen? Sie kennen ihn nicht. Er ist dickköpfiger und sturer als eine Frau und … Wie spät ist es eigentlich?«

      »Halb zwölf …«

      Aber, aber! Warum wirkt es, als steigerte sich dadurch ihre Nervosität? Könnte es der Zeitpunkt sein, zu dem ihr Bruder James ins Majestic zurückkommen sollte, oder …

      »Noch ein Tanz?«, fragt er.

      »Nein danke. Ich bin langsam ein bisschen müde. Abgesehen davon, dass ich mir Sorgen um meinen Bruder mache und dass … Schenken Sie mir noch ein Glas Champagner ein?«

      Ihre Hand zittert nervös. Émile hält die Flasche in der Hand und beugt sich über den Tisch. Das Letzte, was er sieht, sind ihre Augen, denen er jetzt sehr nahe ist, und es scheint, als funkelten sie ironisch.

      Er hat keine Zeit, lange darüber nachzudenken. Genau in diesem Moment ist der Raum stockdunkel. Man kann die Kellner herumhuschen hören. Paare stoßen zusammen und lachen.

      »Bewegen Sie sich nicht, Mesdames, Messieurs. Nur einen Moment Geduld, bitte. Eine Sicherung ist rausgesprungen …«

      Émile versucht, seine Begleiterin festzuhalten, aber seine Hände greifen ins Leere. Er steht auf und geht geradeaus in Richtung der Tür und der Treppe, aber die Leute versperren ihm den Weg, und als er sie zur Seite schieben will, protestieren sie.

      »Was glaubt der denn, wo er hinläuft?«

      »Was für ein Rüpel!«

      Die Lichter gehen wieder an. Dolly ist nirgendwo zu sehen. Aber heißt sie denn überhaupt Dolly? Oder Denise? Oder ganz anders? Émile geht nach unten zur Garderobe.

      »Haben Sie vielleicht eine junge Frau gesehen, die …«

      »Die, die gerade nach draußen gegangen ist, weil ihr nicht gut war? Ich wollte ihr ihren Mantel geben, aber sie hat gesagt, dass sie nur kurz Luft schnappen will.«

      Natürlich auch draußen keine Spur von Denise-Dolly. Émile steht ohne Hut und im Smoking auf dem leer gefegten Gehweg unter der Leuchtreklame des Casino de Paris, als ein Taxi vorfährt. Torrence steigt aus.

      »Wo ist er hin?«, fragt Torrence.

      Émile runzelt die Stirn. Er fragt sich, ob Torrence …

      »Hast du ihn entwischen lassen, Chef? Stell dir vor, was wir rausgefunden haben, als wir das Gepäck durchsucht haben: Bruder und Schwester sind ein und dieselbe Person! Offensichtlich ein Mann!«

      »Oder eine Frau«, entgegnet Émile.

      »Auf jeden Fall eine ziemlich heiße Sache.«

      »Das kommt davon, wenn man Zurückhaltung übt«, seufzt der rothaarige junge Mann. »Während sie sich im Hotel umgezogen hat, hab ich die meiste Zeit hinter einem Paravent gestanden. So hatte sie die Gelegenheit, eine Nachricht zu schreiben. Als wir im Pélican ankamen, muss sie dem Maître oder einem der Kellner den Zettel zugesteckt haben, vermutlich mit einem dicken Schein.

      Bitte machen Sie um Punkt halb zwölf für einen Moment alle Lichter aus.

      Und zu dem Zeitpunkt hat sie mich auch gebeten, ihr noch etwas Champagner einzuschenken, damit ich eine Flasche in der Hand hatte.«

      Torrence sagt nichts. Vielleicht macht es ihn gar nicht so unglücklich, zu sehen, dass selbst sein merkwürdiger Chef auf so einen simplen Trick hereinfallen kann. Nach langem Zögern traut er sich zu fragen:

      »Bist du sicher, dass sie dir nichts aus den Taschen geklaut hat?«

      IV Wo Torrence über die Untätigkeit seines Chefs entsetzt ist und Letzterer endlich doch noch ein paar Anweisungen gibt

      Drei Uhr morgens in der Cité Bergère. Torrence hat auf dem Elektrokocher Wasser heiß gemacht und bereitet Kaffee zu. Émile hat sich auf einer schmalen Couch ausgestreckt und starrt an die Decke.

      »Was ich nicht verstehe, falls es dich interessiert, wie ich darüber denke«, sagt Torrence schließlich, »ist, dass du nicht mal ins Majestic rübergehst, um nachzusehen. Ich gebe zu, dass Barbet selten irgendeinen Hinweis übersieht. Und habe selbst alles noch mal überprüft …«

      Émile reagiert nicht. Schwer zu sagen, ob er Torrence’ Stimme überhaupt hört. Es sieht eher nicht danach aus.

      »Kurz und gut, wie ist die Lage? Wir wissen nur, dass der Einbrecher, ob Mann oder Frau …«

      »Frau«, fällt Émile ihm trübselig ins Wort.

      Er hält es für unangebracht hinzuzufügen, dass er sie, als sie ein paar Stunden zuvor miteinander getanzt haben, so fest an sich gedrückt hat, dass er an

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