Frankenstein. Mary Shelley

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Frankenstein - Mary Shelley

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ihn dazu bestimmt, das Gute als letztes Ziel seiner hochfliegenden Pläne anzuerkennen.

      Es bereitet mir ein ausgesprochenes Vergnügen, beim Gedächtnis meiner Kindheit zu verweilen, ehe das Unheil meinen Geist vergiftete und die strahlenden Visionen allseitiger Nützlichkeit in düstere und engbegrenzte Reflexion über sich selbst verwandelte. Wenn ich das Bild meiner jungen Jähre zeichne, berichte ich zugleich über die Ereignisse, die mit unsichtbaren Schritten zu meinem späteren Mißgeschick führten. Wollte ich mir Rechenschaft geben über die Geburt jener Leidenschaft, die meinen Lebensweg beherrschte, so sehe ich sie wie einen Gebirgsbach aus unbekannten und fast vergessenen Quellen entspringen; sie schwoll aber im Fortschreiten an und wurde zur Sturzflut, die in ihrem Lauf meine ganzen Hoffnungen und Freuden mit sich riß.

      Die Naturwissenschaft war der Genius, der mein Geschick bestimmte. Ich will daher jene Tatsachen festhalten, die meine Vorliebe für diesen Wissenszweig bedingten. Als ich dreizehn Jahre alt war, unternahmen wir alle zusammen einen Ausflug zu den Bädern nahe Thonon. Das mißliche Wetter zwang uns, einen Tag im Gasthaus zu bleiben. Dort fand ich zufällig einen Band der Werke des Cornelius Agrippa. Ich öffnete ihn gleichgültig, doch wandelten die dargelegten Lehren und die berichteten Merkwürdigkeiten dieses Empfinden bald in Begeisterung. Ein neues Licht schien meinem Geist zu dämmern; ich hüpfte vor Freude und teilte die Entdeckung sofort meinem Vater mit. Er schaute beiläufig auf die Titelseite meines Buches und sagte: »Ach, Cornelius Agrippa! Mein lieber Viktor, vergeude deine Zeit nicht mit diesem betrüblichen Unsinn.«

      Hätte mein Vater statt jener Bemerkung sich die Mühe gemacht, mir zu erklären, daß die Thesen Agrippas völlig überholt sind, daß es nun ein modernes, wissenschaftliches System gibt, welches eine ungleich größere Geltung als das alte hat, weil die Leistungen des letzteren bloße Einbildung, die des ersteren aber real und praktisch erprobt sind, dann hätte ich auf solche Argumente hin den Agrippa sicher beiseite geworfen. Ich hätte meine bereits erwärmte Phantasie zufriedengestellt, indem ich mit um so größerem Eifer zu meinen früheren Studien zurückgekehrt wäre. Vielleicht hätte die Kette meiner Ideen niemals den fatalen Anstoß erhalten, der zu meinem Ruin führte. Aber der flüchtige Blick, den mein Vater dem Buch gewidmet hatte, versicherte mir keineswegs, daß er seinen Inhalt kannte; ich fuhr fort, mit der größten Begierde darin zu lesen.

      Als ich nach Hause zurückgekehrt war, galt meine erste Sorge der Beschaffung der gesammelten Werke dieses Autors und später der Werke von Paracelsus und Albertus Magnus. Ich las und studierte die wilden Phantastereien dieser Schriftsteller mit Entzücken; sie waren mir Schätze, die außer mir nur wenige Leute kannten. Ich habe mich als einen Menschen geschildert, den immer ein heißes Verlangen beseelte, in die Geheimnisse der Natur einzudringen. Trotz der intensiven Arbeit und den wunderbaren Entdeckungen der modernen Naturforscher blieb ich bei meinen Studien stets enttäuscht und unbefriedigt. Isaac Newton wird das Bekenntnis zugeschrieben, er fühle sich wie ein Kind, das angesichts des großen und unerforschten Ozeans der Wahrheit Muscheln sammle. Seine mir bis dahin bekannten Nachfolger in jedem Zweig der Naturwissenschaft erschienen meiner knabenhaften Fassungskraft wie Anfänger, die dasselbe Ziel verfolgten. Der ungelehrte Bauer sah die Elemente um sich und war mit ihrem praktischen Gebrauch vertraut. Der gelehrteste Philosoph wußte kaum mehr. Er hatte teilweise das Antlitz der Natur entschleiert, aber ihre unsterblichen Züge bedeuteten noch immer ein Wunder und ein Geheimnis. Er konnte sezieren, zergliedern und bezeichnen; aber – von einer endgültigen Ursache ganz zu schweigen – es waren ihm sogar die Ursachen zweiten und dritten Grades völlig unbekannt. Ich hatte einen Blick auf die Verschanzungen und Sperrmauern geworfen, die den Menschen daran hindern, die Festung der Natur zu betreten, und mich schnell und ohne Erkenntnis zurückgezogen.

      Aber hier fand ich Bücher und Männer, die tiefer eingedrungen waren und mehr wußten. Ich glaubte ihnen alles, was sie versicherten, und wurde ihr Schüler. Es mutet gewiß seltsam an, daß derartiges im 18. Jahrhundert möglich war. Während ich die übliche Erziehung in den Schulen Genfs über mich ergehen ließ, eignete ich mir mein Wissen hinsichtlich meiner Lieblingsthemen ausschließlich selbst an. Mein Vater war kein Wissenschaftler, und ich mußte mich allein mit dem Bildungshunger eines Studenten und der Blindheit eines Kindes vorwärtskämpfen. Unter der Führung meiner neuen Lehrer begann ich mit dem größten Eifer die Suche nach dem Stein der Weisen und dem Lebenselixier; das letztere zog bald meine ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich. Der Reichtum war mir ein unwichtiges Ziel; doch welchen Ruhm würde eine Entdeckung mit sich bringen, die es ermöglichte, alle Krankheiten zu verbannen und den Menschen gegenüber dem Tod (einen jähen ausgenommen) unverletzlich zu machen!

      Das blieb nicht mein einziger Wunschtraum. Die Beschwörung von Geistern oder Teufeln war ein Versprechen, mit dem meine Lieblingsautoren freigebig umgingen und dessen Erfüllung ich erstrebte. Zeigten meine Zaubersprüche keinen Erfolg, dann schrieb ich den Mißerfolg eher meiner eigenen Unerfahrenheit und Fehlerhaftigkeit zu als der mangelnden Geschicklichkeit und Genauigkeit meiner Lehrer. So beschäftigte ich mich eine Zeitlang mit veralteten Systemen, vermischte tausenderlei widersprüchlicher Theorien wie nur je ein Unerfahrener und zappelte verzweifelt in einem wahren Morast von mannigfaltigen Kenntnissen, bis ein neues Ereignis die Zielrichtung meiner Ideen veränderte.

      Ich war fünfzehn Jahre alt geworden; wir hielten uns gerade in unserem Hause nahe Belrive auf. Dort wurden wir Zeugen eines äußerst heftigen, schrecklichen Gewitters. Es zog hinter den Bergen des Jura auf; plötzlich brach es mit fürchterlichem Getöse an verschiedenen Stellen des Firmamentes los. Ich blieb während des Sturmes draußen und beobachtete neugierig und wohlgefällig seinen Fortgang. Ich stand unter der Tür, als ein Feuerstrahl in die alte, prächtige, ungefähr 60 Fuß entfernte Eiche fuhr; so schnell wie das blendende Licht verschwand auch die Eiche, und außer einem verdorrten Stumpf blieb nichts übrig. Am nächsten Morgen suchten wir den Platz auf und fanden den Baum auf einzigartige Weise zerschmettert. Der Blitzschlag hatte ihn nicht gespalten, sondern in dünne Holzbänder zersplittert.

      Bis dahin waren mir die augenfälligen Gesetze der Elektrizität nicht ganz fremd gewesen. Nun weilte bei dieser Begebenheit ein kundiger Naturwissenschaftler bei uns, der, von der Katastrophe angeregt, eine Theorie erklärte, die sich auf den Grundlagen der Elektrizitätslehre und des Galvanismus aufbaute. Das war für mich neu und erstaunlich. Alles, was er sagte, stellte Cornelius Agrippa, Albertus Magnus und Paracelsus, die Vorbilder meiner Träume, in den Schatten. Ihre vom Schicksal bestimmte Niederlage setzte einen Schlußstrich unter meine gewohnten Studien. Es schien mir, als ob nichts je erkannt werden könnte. Alle meine bisherigen Beschäftigungen wurden auf einen Schlag verachtenswert. Durch eine jener Launen des Geistes, der wir meistens in jungen Jahren unterworfen sind, ließ ich meine frühere Vorliebe fahren, schob die Naturgeschichte und alle ihre Zweige als ein form- und fruchtloses Gebilde beiseite und hegte den größten Widerwillen gegen eine Pseudowissenschaft, die nicht einmal die Schwelle des wirklichen Wissens betreten konnte. In dieser Verfassung suchte ich Zuflucht bei der Mathematik und den dazugehörigen Zweigen, weil sie auf sicherer Grundlage errichtet und daher meiner Überlegungen würdig waren.

      Seltsam sind unsere Seelen beschaffen, und an dünnen Fäden hängt unser Gedeihen oder Verderben. Wenn ich zurückblicke, scheint es mir, als ob der fast übernatürliche Wechsel der Neigung und des Willens ein deutlicher Wink meines Schutzengels gewesen wäre, seine letzte Anstrengung, den Sturm abzuwehren, der damals schon in den Sternen auf mich lauerte. Der Sieg des rettenden Geistes kündigte sich durch eine ungewöhnliche Ruhe und Zufriedenheit an, die dem Aufhören meiner alten, letztlich quälenden Studien folgten. Ich hätte begreifen sollen, daß das Unheil mit ihrer Fortführung, das Glück aber mit ihrer Vermeidung verknüpft war.

      Der Geist des Guten hatte sein Werk getan, doch die Wirkung blieb aus. Das Schicksal war übermächtig, und seine unwandelbaren Gesetze drängten auf meine vollständige und schreckliche Vernichtung.

      3. KAPITEL

      Ich war siebzehn Jahre alt, da entschlossen sich meine Eltern, mich zum Studium auf die Universität Ingolstadt zu schicken. Mein Vater hielt es zur Vervollkommnung meiner

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