Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen. Hermann Stehr

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Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen - Hermann Stehr

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was an dem bunten Spiel verheimlichter Liebe herumtasten! An einem Abende, eben als ich an den beiden wieder vorüberging, ließ sie Kinzel brüsk stehen und entfernte sich von ihm nach der Kirchstraße hin. In einer dunklen Nebengasse holte ich sie ein und sagte ihr all die schönen Worte, die ich mir seit langem ausgesonnen hatte. Das Städtchen lag still. Die Laternen blinzelten, und wir gingen bald Hand in Hand wie Kinder, die sich verloren und endlich wiedergefunden haben. Wir kamen bis hinaus zwischen die Gärten, und wie unsere Schritte in dem Laube unhörbar wurden, verstummten wir auch. Durch das Gewirr der fast kahlen Äste sahen wir die fadendünne Mondsichel hinter den Bergen heraufschwimmen, und aus dem Seminar klang heiser und schwach der Diskant einer Orgel, als zirpe eine letzte Grille im schwarzen Felde draußen. Wir hatten uns losgelassen und horchten in das Dunkel. Die dumpfen, großen Laute der Nacht, die Last der unbarmherzigen Einsamkeit drangen auf uns ein, und ich weiß nicht, wie es kam: ich hatte Wally an mich gezogen. Wir standen aneinandergelehnt: das unnennbare Bangen, das uns eben noch getrennt, vor dem wir mit den Augen ins Dunkel hinausgeflüchtet waren, wuchs nicht mehr aus der Erde. Das Gefühl tiefster Geborgenheit erfüllte uns. Aber als sich in verschwiegenem Rausch unsere Stirnen berührten, durchzuckte mich ein so schmerzvolles Beben, daß ich erschrak. Auch Wally trat hochaufatmend von mir weg und sagte mit erstickter Stimme, sie habe Furcht und wolle nach Hause gehen. Ich lachte sie zwar tapfer aus; aber mir war doch auch wieder so seltsam bange, und so wandelten wir zurück. Unterwegs sprach sie von Kinzel: Das sei gewiß kein guter Mensch. Er rede wohl ganz amüsant, immer vergnügt und nett, daß sie ihm gern zuhöre. Allein es liege etwas hinter seinen Worten, mehr im Klang der Stimme und in seinen Augen, das ihr Furcht einflöße und sie zugleich schwach und willenlos mache. Immer, wenn er ihr nahe, bringe sie es nicht fertig, davonzugehen. Und wenn ich nicht gut aufpasse, dann könne es vielleicht wirklich noch dahin kommen, daß er sie einmal küsse. Scherzend und glücklich trennten wir uns.

      In der Nacht brach ein starker Wind los. und am Morgen waren die Astern über der Wehrmauer des Wartturms verschwunden. Willmanns blasse Hand hatte mir den Weg ins Licht gewiesen und war nun auf ewig in die Luft verweht. Ich hielt mich wirklich für einen jener Glücklichen, denen alles Harte des Daseins überreich durch Liebe vergolten wird.

      Alle Tage blühte mir wieder das seine, lange Gesicht des lieben Mädchens aus dem Fenster der Stadtmauer, und ich war reicher als je. Singend spielte ich mich in meine Arbeit und sah mit leichtem Wut auf den Berg der Wiederholungen zur Entlassungsprüfung.

      Manchmal war Wally durch Arbeiten im Hause an dem Zusammensein mit mir verhindert. Dann ließ sie ein weißes Tuch vom Fenster flattern, und wir tauschten aus der Entfernung Zärtlichkeiten, denen ich, wieder mit mir allein im Stübchen, Worte verlieh. Erregt zwischen Tür und Tisch auf- und abschreitend, redete ich das Stürmen meiner Verliebtheit vor mich hin. Ich sah Wally leibhaftig um mich, und die Worte, die ich zu ihr sprach, klangen mir oft so schön, daß ich sie mir zur Erinnerung aufschrieb. Auf diese Weise wurde ich fast so etwas wie ein Dichter. Wirklich! Und mochte alles, was ich zu Papier brachte, auch nur krauses Stammeln sein, ich kostete doch den Zauber, mich in ein unaussprechlich anderes Leben zu erhöhen, das mein Glück und meinen Schmerz tiefer befreite und tiefer belud. Die Unbegreiflichleiten der Wirklichkeit wurden mir zu Unbegreiflichleiten des Traumes, und alle Dinge umwitterte oft ein Klang von ferner her, daß ich kaum den Sinn meiner Worte verstand oder über die Tatsache eines weitschauenden Wissens hinter der Erkenntnis betroffen war, wenn die Nüchternheit wieder um mich klapperte. Geradezu schmerzhaft war mein Erstaunen, als ich einst den Vers gedichtet hatte:

      Auf bleicher Stirn wohnt deiner Schönheit Glanz,

       in schweren Augen trägst du all mein Glück:

       Und seh ich dies und deines Goldhaars Kranz,

       ergreift mich Bangigkeit um dein Geschick.

      Die letzte Zeile bohrte sich mir wie ein Drohen ins Ohr. Ich kam nicht darüber hinweg, trotzdem ich diesen ganzen Anfang mehreremal laut las, um von dem Rhythmus der Worte weitergetragen zu werden. Nun hing wohl über Wallys Wesen eine flüchtige, leise Umwölkung; aber nie wäre es mir wachend in den Sinn gekommen, hinter ihrer gedämpften Heiterkeit das steigende Grau eines fernen Schicksals zu wittern. Im Gegenteil schwebte um ihre schlanke, behende Gestalt die Musik des Traumes, den meine Kindheit mit der Schwester Anna erlebt hatte. Irrtümer des Verstandes lassen sich leicht ausmerzen wie Rechenfehler; gegen den sogenannten Wahn der Einbildungen sind die meisten Menschen wehrlos, vor allem aber Liebende. Und während ich ehrlich dagegen kämpfte, verdüsterte sich die Luft um mein geliebtes Mädchen, veränderten geheime Befürchtungen ihr Bild, so daß mir gar ihre rührende, hingebende Schönheit manchmal zuckend zu schimmern schien, wie unter den Schauern eines verborgenen Fiebers. Um mir Wally aus diesen Schatten wieder in sonnige Sicherheit zu bringen, beschloß ich endlich, diese unheilvolle Probe meiner Dichtkunst vor ihr preiszugeben und war schon im voraus froher Hoffnung voll, ihr ausgelassenes Lachen werde mich gründlich von allen Grillen heilen.

      – – – – – – –

      Am Allerheiligentage schritt ich wartend den schmalen, felsigen Steig hin und hei, der, an der Sohle des Florianiberges dem Laufe der Neiße dicht angeschmiegt, über einen sanft gehobenen Wiesenstreifen den Ausblick nach der übereinandergetürmten Stadt freiläßt. Nach Norden zu sieht man einen Zipfel des Kirchhofes über den Abhang gleiten. Die Luft war ein einziges, silbriges Schimmern, kalt und köstlich. Die makellose, winterliche Blässe des Himmels spannte sich still über die Dächer und Türme von Heisterberg. Nur ein Beben schwebte fortwährend ganz schwach in der Höhe wie von eben verklungenem, eben anhebendem Geläut. In mir wurde es ein geruhiges Erwarten und doch auch ein leises, wiewohl verklärtes Zittern. Das Wasser zu meinen Füßen ging lautlos und glänzend über die Steine; die kahlen Zweige der Buchen, Erlen und Ahorne standen unbeweglich über mir und ließen aus tiefem Schlaf noch dann und wann ein vergessenes Blatt sinken, das sich behutsam auf den Wellen niederließ und wie ein rotes oder gelbes Schifflein davongetragen wurde. Ich dachte eben darüber nach, was es doch für einen Zweck habe, mein Mädchen mit törichten Befürchtungen zu betrüben, und daß es vielleicht das beste wäre, ich ließe die Grillen von dem Wasser auf Nimmerwiedersehen fortnehmen wie diese welken Blätter, da stand Wally unvermutet neben mir Versunkenem. Ihr Gesicht war von dem Lauf über den steilen Abhang noch blasser als sonst, die schwarzblauen Augen glühten tiefer, und ihr heißer Atem traf meine Wangen wie reife Sommerluft. Da sah auch schon das geheime Bangen um sie wieder fest in mir, und ich dachte nicht mehr daran, es ungesehen fortschwimmen zu lassen. Ehrliche Verliebte find die ungeschicktesten Heuchler, und es dauerte nicht lange, so hatte es Wally heraus, daß mich etwas bedrücke. Aber ich zögerte, mein Geheimnis mir nichts dir nichts vor ihren ungeduldigen Augen auszubreiten, sondern redete, sie und mich zu versuchen, spielend daran herum, als sei es die ausbündigste Torheit der Welt und zugleich ein schlimmes Verhängnis. Endlich erklärte Wally sehr entschieden, es wissen zu müssen, und weil ich mich immer noch neckend weigerte, kamen wir überein, eine Art Gottesurteil anzustellen. Zwei gleich lange Zweige sollten nebeneinander auf das Wasser gesetzt werden. Wessen Rütlein zuerst an dem kleinen Strudel angelangt sein würde, nach dem mußte es gehen, und der andere durfte kein Wort dawider sagen. Ich wählte die Zweige von der Erle, dem zauberkräftigsten unter den Laubbäumen, und Wally umwand den ihren mit einem roten Faden aus ihrem Hutbande. Die Hände zitterten ihr kaum merklich dabei, und ihr Busen stieg und sank beklommen. Auf herausstehenden Steinen balanzierte ich ein Stück in den Fluß hinein und richtete, ehe ich die Zweiglein dem Wasser übergab, noch einen fragenden Blick nach dem Mädchen, das sich auf einem Stein niedergelassen hatte und mit zusammengezogenen Brauen und harten Augen meine Bewegungen verfolgte. Bald schwammen unsere Schicksalshölzchen auf dem schwarzen, ruhigen Wasser. Erst hielten sie sich zusammen, denn ich hatte sie mit den Knospen aneinandergeklemmt; aber in der Mitte des Weges wurden sie ein paarmal gedreht und dann auseinandergerissen. Mein Zweig taumelte zur Seite und begann sich am Ufer durch welkes Laub zu winden; Wallys Rütlein stellte sich sofort wieder ein und schoß gerade auf den Strudel zu, in dem es, mit dem roten Wimpel voran, verschwand und nicht wieder zum Vorschein kam. Wir waren beide betroffen. Wally hob ein Blatt auf, zerzupfte es versunken und nickte dazu schwer mit dem Kopfe. Dann lehrte sie mir ihr

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