Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
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Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Die Reproduktion des Kapitals und ihr Milieu
Das Marxsche Schema der erweiterten Reproduktion vermag uns also den Prozeß der Akkumulation, wie er in der Wirklichkeit vorgeht und sich geschichtlich durchsetzt, nicht zu erklären. Woran liegt das? An nichts anderem als an den Voraussetzungen des Schemas selbst. Dieses Schema unternimmt es, den Akkumulationsprozeß unter der Voraussetzung darzustellen, daß Kapitalisten und Arbeiter die einzigen Vertreter der gesellschaftlichen Konsumtion sind. Wir haben gesehen, daß Marx konsequent und bewußt als die theoretische Voraussetzung seiner Analyse in allen drei Bänden des "Kapitals" die allgemeine und ausschließliche Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise annimmt. Unter diesen Bedingungen gibt es freilich, wie im Schema, keine anderen Gesellschaftsklassen als Kapitalisten und Arbeiter - alle "dritten Personen" der kapitalistischen Gesellschaft: Beamte, liberale Berufe, Geistliche usw., sind als Konsumenten jenen beiden Klassen und vorzugsweise der Kapitalistenklasse zuzuzählen. Diese Voraussetzung ist theoretischer Notbehelf - in Wirklichkeit gab und gibt es nirgends eine sich selbst genügende kapitalistische Gesellschaft mit ausschließlicher Herrschaft der kapitalistischen Produktion. Sie ist aber ein vollkommen zulässiger theoretischer Notbehelf dort, wo sie die Bedingungen des Problems selbst nicht alteriert, sondern sie bloß in ihrer Reinheit darstellen hilft. So bei der Analyse der einfachen Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Hier beruht das Problem selbst auf folgender Fiktion: In einer kapitalistisch produzierenden, also Mehrwert erzeugenden Gesellschaft wird der ganze Mehrwert von seinen Aneignern, der Kapitalistenklasse, konsumiert. Es ist darzustellen, wie sich unter diesen Bedingungen die gesellschaftliche Produktion und Reproduktion gestalten muß. Hier setzt die Stellung des Problems selbst voraus, daß die Produktion keine anderen Konsumenten als Kapitalisten und Arbeiter kennt, sie befindet sich also in völliger Übereinstimmung mit der Marxschen Voraussetzung: allgemeine und ausschließliche Herrschaft der kapitalistischen Produktionsweise. Die eine Fiktion deckt sich theoretisch mit der anderen. Ebenso zulässig ist die Annahme der absoluten Herrschaft des Kapitalismus bei der Analyse der Akkumulation des Einzelkapitals, wie sie im ersten Bande des "Kapitals" gegeben ist. Die Reproduktion des Einzelkapitals ist das Element der gesellschaftlichen Gesamtreproduktion. Aber ein Element, dessen Bewegung selbständig verläuft, im Widerspruch mit den Bewegungen der übrigen, und wobei die Gesamtbewegung des gesellschaftlichen Kapitals nicht etwa eine mechanische Summe der Einzelbewegungen der Kapitale, sondern ein eigenartig verschobenes Resultat ergibt. Stimmt auch die Wertsumme der Einzelkapitale sowie ihrer respektiven Teile: konstantes Kapital, variables Kapital und Mehrwert, mit der Wertgröße des gesellschaftlichen Gesamtkapitals, seiner beiden Bestandteile und des Gesamtmehrwerts aufs genaueste überein, so fällt doch die sachliche Darstellung dieser Wertgröße in den respektiven Teilen des gesellschaftlichen Produkts mit der Sachverkörperung der Wertverhältnisse der Einzelkapitale völlig auseinander. Die Reproduktionsverhältnisse der Einzelkapitale decken sich somit in ihrer sachlichen Gestalt weder miteinander noch mit denen des Gesamtkapitals. Jedes Einzelkapital macht seine Zirkulation, also auch Akkumulation völlig auf eigene Faust durch und ist darin - bei normalem Verlauf des Zirkulationsprozesses - nur soweit von anderen abhängig, als es sein Produkt überhaupt realisieren und die für seine individuelle Betätigung erforderlichen Produktionsmittel vorfinden muß. Ob jene Realisierung und diese Produktionsmittel selbst an kapitalistisch produzierende Kreise gebunden sind oder nicht, ist für das Einzelkapital völlig gleichgültig. Umgekehrt ist die günstigste theoretische Voraussetzung für die Analyse der Akkumulation des Einzelkapitals die Annahme, daß die kapitalistische Produktion das einzige Milieu dieses Prozesses darstellt, d.h. allgemeine und ausschließliche Herrschaft erreicht hat.192
Nun entsteht aber die Frage, ob wir die Voraussetzungen, die für das Einzelkapital maßgebend sind, auch bei dem Gesamtkapital als zulässig betrachten dürfen.
Daß Marx tatsächlich die Akkumulationsbedingungen des Gesamtkapitals mit denen des Einzelkapitals identifizierte, bestätigt er selbst ausdrücklich an folgender Stelle:
"Die Frage ist jetzt so zu formulieren: Allgemeine Akkumulation vorausgesetzt, d.h. vorausgesetzt, daß in allen trades das Kapital mehr oder minder akkumuliert, was in fact Bedingung der kapitalistischen Produktion und was ebensosehr der Trieb des Kapitalisten als Kapitalisten, wie es der Trieb des Schatzbildners, Geld aufzuhäufen (aber auch notwendig ist, damit die kapitalistische Produktion vorangehe) - was sind die Bedingungen dieser allgemeinen Akkumulation, worin löst sie sich auf?"
Und er antwortet: "Die Bedingungen für die Akkumulation des Kapitals also ganz dieselben, wie für seine ursprüngliche Produktion oder Reproduktion überhaupt.
Diese Bedingungen aber waren, daß mit einem Teil des Geldes Arbeit gekauft wurde, mit dem andern Waren (Rohmaterial und Maschinerie etc.)." "Die Akkumulation von neuem Kapital kann also nur unter denselben Bedingungen vor sich gehn wie die Reproduktion des schon vorhandnen Kapitals."193
In Wirklichkeit sind die realen Bedingungen bei der Akkumulation des Gesamtkapitals ganz andere als bei dem Einzelkapital und als bei der einfachen Reproduktion. Das Problem beruht auf folgendem: Wie gestaltet sich die gesellschaftliche Reproduktion unter der Bedingung, daß ein wachsender Teil des Mehrwerts nicht von den Kapitalisten konsumiert, sondern zur Erweiterung der Produktion verwendet wird? Das Draufgehen des gesellschaftlichen Produkts, abgesehen von dem Ersatz des konstanten Kapitals, in der Konsumtion der Arbeiter und Kapitalisten ist hier von vornherein ausgeschlossen, und dieser Umstand ist das wesentlichste Moment des Problems. Damit ist aber auch ausgeschlossen, daß die Arbeiter und die Kapitalisten selbst das Gesamtprodukt realisieren können. Sie können stets nur das variable Kapital, den verbrauchten Teil des konstanten Kapitals und den konsumierten Teil des Mehrwerts selbst realisieren, auf diese Weise aber nur die Bedingungen für die Erneuerung der Produktion in früherem Umfang sichern. Der zu kapitalisierende Teil des Mehrwerts hingegen kann unmöglich von den Arbeitern und Kapitalisten selbst realisiert werden. Die Realisierung des Mehrwerts zu Zwecken der Akkumulation ist also in einer Gesellschaft, die nur aus Arbeitern und Kapitalisten besteht, eine unlösbare Aufgabe. Merkwürdigerweise gingen sämtliche Theoretiker, die das Problem der Akkumulation analysierten, von Ricardo und Sismondi bis Marx, gerade von dieser Voraussetzung aus, die die Lösung des Problems unmöglich machte. Das richtige Gefühl für die Notwendigkeit "dritter Personen", d.h. Konsumenten außerhalb der unmittelbaren Agenten der kapitalistischen Produktion: der Arbeiter und Kapitalisten, zur Realisierung des Mehrwerts, führte zu allerlei Ausflüchten: zu der "unproduktiven Konsumtion", die bei Malthus in der Person des feudalen Grundbesitzers, bei Woronzow in dem Militarismus, bei Struve in den "liberalen Berufen" und sonstigem Anhang der Kapitalistenklasse verkörpert ist, ferner zur Heranziehung des auswärtigen Handels, der bei allen Skeptikern der Akkumulation von Sismondi bis Nikolai-on als Sicherheitsventil eine hervorragende Rolle spielte. Zum andern Teil führte die Unlösbarkeit der Aufgabe zum Verzicht auf die Akkumulation, wie bei v. Kirchmann und Rodbertus, oder wenigstens zur angeblichen Notwendigkeit, die Akkumulation möglichst zu dämpfen, wie bei Sismondi und dessen russischen Epigonen, den "Volkstümlern".
Doch erst die tiefere Analyse und die exakte schematische Darstellung des Prozesses der Gesamtproduktion durch Marx, namentlich seine geniale Darstellung des Problems der einfachen Reproduktion, konnte den springenden Punkt des Akkumulationsproblems und die wunde Stelle der früheren Versuche seiner Lösung bloßlegen. Die Analyse