Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
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Wohlgemerkt muß hervorgehoben werden, daß, wenn wir oben annahmen, die erste oder die zweite Abteilung realisiere im nichtkapitalistischen Milieu nur ihr Mehrprodukt, wir dabei den für die Nachprüfung des Marxschen Schemas günstigsten Fall nahmen, der die Beziehungen der Reproduktion in ihrer Reinheit zeigt. In Wirklichkeit zwingt uns nichts zu der Annahme, daß nicht auch ein Teil des konstanten und variablen Kapitals im Produkt der entsprechenden Abteilung außerhalb der kapitalistischen Kreise realisiert wird. Hintennach mag sowohl die Erweiterung der Produktion wie auch zum Teil die Erneuerung der verbrauchten Produktionselemente in ihrer Sachgestalt durch Produkte nichtkapitalistischer Kreise vorgenommen werden. Was durch die obigen Beispiele klargemacht werden sollte, ist die Tatsache, daß zum mindesten der zu kapitalisierende Mehrwert und der ihm entsprechende Teil der kapitalistischen Produktenmasse unmöglich innerhalb der kapitalistischen Kreise realisiert werden kann und unbedingt außerhalb dieser Kreise, in nichtkapitalistisch produzierenden Gesellschaftsschichten und -formen, seine Abnehmer suchen muß.
So liegen zwischen je einer Produktionsperiode, in der Mehrwert produziert, und der darauffolgenden Akkumulation, in der er kapitalisiert wird, zwei verschiedene Transaktionen - die Verwandlung des Mehrwerts in seine reine Wertform, die Realisierung, und die Verwandlung dieser reinen Wertgestalt in produktive Kapitalgestalt -, die beide zwischen der kapitalistischen Produktion und der sie umgebenden nichtkapitalistischen Welt vor sich gehen. So ist von beiden Standpunkten: der Realisierung des Mehrwerts wie der Beschaffung der Elemente des konstanten Kapitals, von vornherein der Weltverkehr eine historische Existenzbedingung des Kapitalismus, Weltverkehr der in den gegebenen konkreten Verhältnissen wesentlich ein Austausch zwischen der kapitalistischen und den nichtkapitalistischen Produktionsformen ist.
Bis jetzt haben wir die Akkumulation nur vom Standpunkt des Mehrwerts und des konstanten Kapitals betrachtet. Das dritte grundlegende Moment der Akkumulation ist das variable Kapital. Die fortschreitende Akkumulation ist begleitet von zunehmendem variablem Kapital. Im Marxschen Schema erscheint als seine entsprechende sachliche Gestalt im gesellschaftlichen Produkt eine wachsende Menge von Lebensmitteln für die Arbeiter. Das wirkliche variable Kapital sind aber nicht die Lebensmittel der Arbeiter, sondern die lebendige Arbeitskraft, für deren Reproduktion die Lebensmittel notwendig sind. Zu den Grundbedingungen der Akkumulation gehört also eine ihren Bedürfnissen angepaßte Zufuhr lebendiger Arbeit, die vom Kapital in Bewegung gesetzt wird. Zum Teil wird die Vergrößerung dieser Menge - soweit die Verhältnisse erlauben - durch Verlängerung des Arbeitstages und Intensivierung der Arbeit erreicht. Allein in beiden Fällen äußert sich diese Vermehrung der lebendigen Arbeit nicht oder nur in geringem Maße (als Überstundenlohn) im Wachstum des variablen Kapitals. Beide Methoden linden außerdem teils in natürlichen, teils in sozialen Widerständen ihre bestimmten, ziemlich engen Schranken, über die sie nicht hinausgehen können. Das fortschreitende Wachstum des variablen Kapitals, das die Akkumulation begleitet, muß also in einer zunehmenden Zahl beschäftigter Arbeitskräfte Ausdruck finden. Wo kommen diese zuschüssigen Arbeitskräfte her?
Bei der Analyse der Akkumulation des Einzelkapitals beantwortet Marx die Frage folgendermaßen: "Um nun diese Bestandteile tatsächlich als Kapital fungieren zu lassen, bedarf die Kapitalistenklasse eines Zuschusses von Arbeit. Soll nicht die Ausbeutung der schon beschäftigten Arbeiter extensiv oder intensiv wachsen, so müssen zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt werden. Dafür hat der Mechanismus der kapitalistischen Produktion ebenfalls schon gesorgt, indem er die Arbeiterklasse reproduziert als vom Arbeitslohn abhängige Klasse, deren gewöhnlicher Lohn hinreicht, nicht nur ihre Erhaltung zu sichern, sondern auch ihre Vermehrung. Diese ihm durch die Arbeiterklasse auf verschiednen Altersstufen jährlich gelieferten zuschüssigen Arbeitskräfte braucht das Kapital nur noch den in der Jahresproduktion schon enthaltnen zuschüssigen Produktionsmitteln einzuverleiben, und die Verwandlung des Mehrwerts in Kapital ist fertig."198 Hier wird der Zuwachs des variablen Kapitals lediglich und direkt auf die natürliche Vermehrung der bereits vom Kapital kommandierten Arbeiterklasse durch Fortpflanzung reduziert. Dies entspricht auch genau dem Schema der erweiterten Reproduktion, das nach der Marxschen Voraussetzung die Kapitalisten und Arbeiter als einzige Gesellschaftsklassen, die kapitalistische Produktion als einzige und absolute Produktionsweise kennt. Unter diesen Voraussetzungen ist die natürliche Fortpflanzung der Arbeiterklasse die einzige Quelle der Vermehrung der vorhandenen Arbeitskräfte unter dem Kommando des Kapitals. Indes widerspricht diese Auffassung den Bewegungsgesetzen der Akkumulation. Die natürliche Fortpflanzung der Arbeiter steht weder zeitlich noch quantitativ im Verhältnis zu den Bedürfnissen des akkumulierenden Kapitals. Insbesondere vermag sie nicht, wie Marx das selbst glänzend dargelegt hat, mit den plötzlichen Expansionsbedürfnissen des Kapitals Schritt zu halten. Die natürliche Fortpflanzung der Arbeiterklasse als einzige Basis der Bewegungen des Kapitals würde den Fortgang der Akkumulation in periodischem Wechsel der Überspannung und der Ermattung sowie in sprungweiser Ausdehnung des Produktionsfeldes ausschließen und damit die Akkumulation selbst unmöglich machen. Letztere erfordert ebenso schrankenlose Bewegungsfreiheit in bezug auf das Wachstum des variablen Kapitals wie in bezug auf die Elemente des konstanten Kapitals, also schrankenlose Verfügungsmöglichkeit über die Zufuhr von Arbeitskraft. Nach der Marxschen Analyse findet dieses Erfordernis einen exakten Ausdruck in der Bildung der "industriellen Reservearmee der Arbeiter". Das Marxsche Schema der erweiterten Reproduktion kennt freilich eine solche nicht und läßt auch keinen Raum für sie übrig. Die industrielle Reservearmee kann nämlich durch die natürliche Fortpflanzung des kapitalistischen Lohnproletariats nicht gebildet werden. Sie muß andere soziale Reservoirs haben, aus denen ihr die Arbeitskraft zufließt - Arbeitskraft, die bis dahin noch nicht unter dem Kommando des Kapitals stand und erst nach Bedarf dem Lohnproletariat zugefügt wird. Diese zuschüssigen Arbeitskräfte kann die kapitalistische Produktion nur aus nichtkapitalistischen Schichten und Ländern ständig beziehen. In seiner Analyse der industriellen Reservearmee (Das Kapital, Band I, Kapitel 23, 3) [Karl Marx: Das Kapital, Erster Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S.650-677.] berücksichtigt Marx freilich nur 1. die Verdrängung älterer Arbeiter durch die Maschinerie, 2. den Zuzug ländlicher Arbeiter in die Stadt als Folge der Herrschaft der kapitalistischen Produktion in der Agrikultur, 3. die von der Industrie ausrangierten Arbeitskräfte mit unregelmäßiger Beschäftigung, endlich 4. als den tiefsten Niederschlag der relativen Übervölkerung - den Pauperismus. Alle diese Kategorien stellen in verschiedener Form selbst schon Ausscheidungsprodukte der kapitalistischen Produktion dar, in dieser oder jener Form verbrauchte und überzählig gemachte Lohnproletarier. Auch die in die Stadt ständig ziehenden Landarbeiter sind bei Marx Lohnproletarier, die früher schon unter dem Kommando des agrikolen Kapitals standen und nunmehr bloß unter die Botmäßigkeit des industriellen Kapitals kommen. Marx hatte dabei augenscheinlich englische Verhältnisse auf hoher Stufe der kapitalistischen Entwicklung im Auge. Hingegen behandelt er in diesem Zusammenhang nicht die Frage, woher dieses städtische und ländliche Proletariat beständig zufließt, berücksichtigt nicht die in den europäischen Verhältnissen des Kontinents wichtigste Quelle dieses Zuflusses: die ständige Proletarisierung der ländlichen und städtischen Mittelschichten, den Verfall der bäuerlichen Wirtschaft und des handwerksmäßigen Kleingewerbes, also gerade den ständigen Übergang der Arbeitskräfte aus nichtkapitalistischen Verhältnissen in kapitalistische, als Ausscheidungsprodukt nicht der kapitalistischen, sondern vorkapitalistischer Produktionsweisen in dem fortschreitenden Prozeß ihres Zusammenbruchs und ihrer Auflösung. Hierher gehört aber nicht bloß die Zersetzung der europäischen Bauernwirtschaft und des Handwerks, sondern auch die Zersetzung der verschiedensten