Maigret und die verrückte Witwe. Georges Simenon

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Maigret und die verrückte Witwe - Georges  Simenon Georges Simenon

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wär’s mit einem kleinen Spaziergang?«

      Die untergehende Sonne färbte den Himmel noch rosa, und der Boulevard Richard-Lenoir lag still da. Hier und da lehnten sich Leute aus den Fenstern.

      Sie gingen, um zu gehen, aus Freude, beieinander zu sein, aber sie hatten sich nichts Bestimmtes zu sagen. Sie betrachteten dieselben Passanten, dieselben Schaufenster, und hin und wieder machte einer von ihnen eine Bemerkung. Sie waren über die Place de la Bastille gegangen und kehrten über den Boulevard Beaumarchais zurück.

      »Diese merkwürdige alte Dame, die ich heute empfangen habe … Na ja, eigentlich hat Lapointe sie empfangen. Mich hat sie auf dem Quai abgepasst.

      Nach dem, was sie mir erzählt hat, muss sie verrückt sein. Zumindest ist sie nicht ganz richtig im Kopf.«

      »Was ist ihr passiert?«

      »Nichts. Sie behauptet nur, dass die Dinge bei ihr zu Hause die Position verändern, wenn sie nicht da ist.«

      »Hat sie eine Katze?«

      »Das hat Lapointe sie auch gefragt. Sie hat kein Haustier. Sie wohnt über einer Vogelhandlung, und es genügt ihr, die Vögel singen zu hören.«

      »Glaubst du ihr?«

      »Solange sie vor mir stand, habe ich ihr geglaubt. Sie hat ehrliche, gutmütige hellgraue Augen. Gutgläubig wäre vielleicht passender. Sie ist seit zwölf Jahren Witwe und lebt allein. Außer einer Nichte, die sie nur selten sieht, hat sie keine Angehörigen.

      Morgens macht sie ihre Besorgungen im Viertel, mit einem weißen Hut auf dem Kopf und weißen Handschuhen, und nachmittags setzt sie sich meistens auf eine Bank in den Tuilerien. Sie klagt nicht. Sie langweilt sich nicht. Die Einsamkeit scheint ihr nichts auszumachen.«

      »Das ist bei vielen alten Leuten so, weißt du?«

      »Das glaube ich auch, aber bei ihr ist da noch etwas anderes. Ich weiß nur nicht genau, was.«

      Als sie zu Hause ankamen, war es dunkel und die Luft kühl. Sie legten sich zeitig schlafen, und da das Wetter am nächsten Morgen immer noch schön war, beschloss Maigret, zu Fuß ins Büro zu gehen.

      Wie immer erwartete ihn ein Stapel Post. Er konnte sie noch durchsehen und bei seinen Inspektoren vorbeischauen, ehe er zum Rapport musste. Zurzeit gab es keinen dringenden Fall.

      Er verbrachte einen ruhigen Vormittag und aß an der Place Dauphine zu Mittag, nachdem er seine Frau angerufen hatte, um ihr zu sagen, dass er nicht nach Hause kommen werde. Nach dem Essen wäre er fast über den Pont-Neuf zum Quai de la Mégisserie gegangen. Aber ein Zufall hinderte ihn daran. Er begegnete einem ehemaligen Kollegen, der schon im Ruhestand war, und sie plauderten eine gute Viertelstunde in der Sonne.

      Zweimal dachte Maigret im Laufe des Nachmittags an die alte Dame, der die Inspektoren bereits den Spitznamen »Maigrets Verrückte« gegeben hatten – aber beide Male verschob er seinen Besuch auf später, auf den nächsten Tag zum Beispiel.

      Die Zeitungen würden über ihn spotten, wenn sie von der Geschichte mit den umherspazierenden Dingen Wind bekämen!

      Abends sahen er und seine Frau fern, und am nächsten Tag war er spät dran und nahm den Bus zum Büro. Kurz vor Mittag rief ihn der Kommissar des 1. Arrondissements an.

      »Ich habe hier einen Fall, der Ihre Abteilung interessieren wird. Die Concierge sagt, einer Ihrer Inspektoren sei schon einmal bei ihr gewesen, anscheinend ein sehr hübscher junger Kerl.«

      Maigret ahnte es schon.

      »Am Quai de la Mégisserie?«

      »Ja.«

      »Ist sie tot?«

      »Ja.«

      »Sind Sie vor Ort?«

      »Ich bin in der Vogelhandlung im Erdgeschoss, in der Wohnung gibt es kein Telefon.«

      »Ich bin unterwegs.«

      Lapointe war nebenan.

      »Komm mit!«

      »Was Ernstes, Chef?«

      »Für dich und für mich, ja. Es geht um die alte Dame.«

      »Die mit dem weißen Hut und den grauen Augen?«

      »Ja. Sie ist tot.«

      »Ermordet?«

      »Ich nehme an, sonst hätte der Kommissar mich nicht angerufen.«

      Zu Fuß waren sie schneller als mit dem Auto. Kommissar Jenton, den Maigret gut kannte, wartete auf dem Gehweg neben einem Papagei, der mit einer Kette an seiner Stange festgemacht war.

      »Kennen Sie sie?«

      »Ich bin ihr nur ein Mal begegnet. Ich hatte versprochen, sie bald zu besuchen. Gestern wäre ich fast zu ihr gegangen.«

      Hätte das etwas geändert?

      »Ist jemand oben?«

      »Einer meiner Männer und Doktor Forniaux, der gerade gekommen ist.«

      »Woran ist sie gestorben?«

      »Das weiß ich noch nicht. Eine Nachbarin aus dem zweiten Stock hat gegen halb elf die Tür einen Spaltbreit offen stehen sehen. Sie hat dem keine Bedeutung beigemessen und ist einkaufen gegangen. Als sie um elf Uhr zurückkam, stand die Tür noch immer offen, und da hat sie gerufen: ›Madame Antoine! Madame Antoine! Sind Sie zu Hause?‹

      Da keine Antwort kam, hat sie die Tür aufgestoßen und ist fast über die Leiche gestolpert.«

      »Lag sie auf dem Boden?«

      »Ja. Im Wohnzimmer. Die Nachbarin hat sofort das Kommissariat benachrichtigt.«

      Mit ernstem Gesichtsausdruck stieg Maigret die steile Treppe hinauf.

      »Was hatte sie an?«

      »Sie trug noch einen weißen Hut und Handschuhe.«

      »Äußere Verletzungen?«

      »Ich habe nichts feststellen können. Die Concierge hat mir gesagt, einer Ihrer Männer sei vor drei Tagen da gewesen und habe ihr Fragen über die alte Frau gestellt. Da habe ich Sie gleich angerufen.«

      Doktor Forniaux kniete auf dem Teppich. Als die drei Männer eintraten, richtete er sich auf.

      Sie gaben sich die Hand.

      »Kennen Sie die Todesursache?«

      »Tod durch Ersticken.«

      »Also ist sie erdrosselt worden?«

      »Nein. Jemand hat ihr ein Stück Stoff, eine Serviette oder ein Taschentuch, so lange vor Nase und Mund gehalten, bis der Tod eingetreten ist.«

      »Sind Sie sicher?«

      »Ich

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