Der Moloch. Jakob Wassermann
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Bald verging das aufgeregte Wesen wieder und kehrte sich fast in sein Gegenteil, so dass er den Eindruck eines mürrischen und phlegmatischen Burschen machte. Ohne sichtbare Freude der Wahrnehmung, ja sogar ohne Frohsinn, liess er Sommer und Winter und wieder Sommer und Winter vorbeiziehen, denn dieser Wechsel und nicht die Ereignisse der Welt war für ihn das bedeutendste Schauspiel auf dem Zifferblatt der Zeit, das er mit trockener Selbstgenügsamkeit verfolgte. Er war träg und schwieg gern aus Trägheit, auch gegen die Mutter. Es bestand zwischen ihnen kein gefühlvolles Streben nach Annäherung, auch keine geheimnisvolle Abgeschlossenheit. Jeder schien in einem eigenen Land, nach eigenen Gesetzen zu leben. Die Einfachheit der Tage und der Beschäftigungen bestimmte den Charakter ihres Verhältnisses. Arnold war nie trotzig oder aufgeblasen gegen die Mutter, aber sie war für ihn mehr eine ältere Genossin als eine Achtungsperson. Später zeigte er in den kurzen Gesprächen mit ihr eine spöttische Aufmerksamkeit, die ihm nicht übel zu Gesichte stand und die Frau Ansorge vielleicht nur darum ein wenig ängstigte, weil sie etwas an sich hatte, was wie ein Zeichen geistiger Überlegenheit aussah. Aber die Sache war einfach die, dass Arnold nicht mehr ausschliesslich die Mutter, sondern auch die Frau in ihr erblickte, die er, in komischem Männlichkeitswahn, sich untergeordnet glaubte.
Die Beziehung zwischen den Geschlechtern war nie ein schwüles Mysterium für ihn gewesen. Seine früh erwachte Sinnlichkeit, abgelenkt durch körperliche Arbeit, hatte keinen Anlass zu dunklen Träumereien gefunden. Als er mit sieben Jahren zum erstenmal das Belegen einer Stute mit ansah, da begriff er das gewaltige Weben, welches scheinbar aus dem Nichts eine neue Kreatur erschafft. Obwohl sich sein Blick langsam für dergleichen Schauspiele abstumpfte, so vergass er doch niemals den herrlichen Anblick des sich bäumenden Hengstes, sein schaumtriefendes Maul, die geblähten Nüstern, die feurig lohenden Augen, die schweissbedeckte dampfende Haut.
Nun war er zwanzig; es ging auf den Sommer zu, und ein wunderliches Drängen und Wühlen meldete sich bisweilen in seinem Innern. Oft war es, als ob das Herz aufgeschwellt wäre durch einen schrecklichen Überschwang zielloser Kräfte, die des Nachts, in einem Traum etwa, den eigenen Körper, in dem sie wohnten, zu erschüttern und zu verwunden trachteten.
Da heiratete die Kleinmagd auf einen fremden Bauernhof fort, und die neuankommende war in ihrer Art eine Schönheit, braun wie eine Kastanie, frisch und voll Rasse. Sie war aus dem Polnischen und hiess Salscha. Als Arnold sie gewahrte, sie stand am Brunnentrog und wusch, ihre Bewegungen hatten etwas Rauhes und Herausforderndes, da besann er sich lange, schaute gegen das sonnenbeschienene Gelände und blinzelte mit den Augen. Aber er konnte nicht helfen, es zog ihn hin. Er machte nicht viel Umstände; als er vor Salscha stand, fragte er einfach, ob sie ihn haben wolle, und zwar hatte er dabei einen strengen Ton und sah finster aus, als fordere er etwas, das ihm seit langem gehörte und unrechtmässig vorenthalten war. Die Magd lachte und liess ihn stehen. Aber zwölf Stunden darauf war sie die seine. Ohne zu schleichen, ohne Belauern und Überlisten, das war seine Sache nicht, nahm sie Arnold und war bei ihr nachts in der Kammer oder mittags im Heu, wenn alles auf dem Hof unter der senkrechten Sonne schlief. Kurze Zeit glaubte Salscha guter Hoffnung zu sein, doch damit war es nichts. Und als die Glut des Sommers abnahm, verschwand plötzlich Arnolds hastiges Liebesfeuer, und Salscha war ihm nichts mehr denn ein leeres Gefäss, dessen Inhalt er hatte trinken müssen, um den eigenen Körper vor Verderben zu bewahren. Sein Herz wurde wieder ruhig.
Zweites Kapitel
Das Laub zeigte schon alle herbstlichen Farben. Gelb, violett, purpurn und zinnoberrot wogte es in der abendlichen Luft. Ferne Waldstände glichen einem Girlandenbehang in der tiefen Sonne, der Arnold langsam entgegenging. Aus der Ebene ertönte bäuerlicher Gesang, vom leise sausenden Oktoberwind bald verweht, bald überdeutlich gemacht. An einem Tümpel in den Wiesen stand Maxim Specht, der Podoliner Lehrer, und plätscherte mit einem Baumzweig im Wasser. Bisweilen blickte er gegen den Ansorge-Hof, als ob er von dort jemand erwarte. Er war erst seit zwei Monaten in Podolin; Arnold hatte noch nicht mit ihm gesprochen.
An der Zauntür des Hofes angelangt, lehnte sich Arnold lässig an den Pfosten und betrachtete die ruhig vorbeitrippelnden Hühner, die sich langsam nach ihrer Schlafstätte in der Scheune aufmachten und bisweilen leise gackerten, als ob sie einander gute Nacht wünschten. Draussen schob sich Maxim Spechts Gestalt schwarz und scharf zwischen die Ebene und den flammenden Himmel.
Kleiderrauschen veranlasste Arnold, sich umzudrehen. Zu seinem Erstaunen bemerkte er zwei Frauen, die, aus dem Tor tretend, an ihm vorübergingen. Die eine der beiden, ein junges Mädchen, lächelte verlegen und verschmitzt mit halbabgewandtem Gesicht. Während er ihnen nachschaute, kam der Lehrer voll Eile den beiden Frauen entgegen und schlug mit ihnen die Richtung nach dem Dorf ein.
Als Arnold in die Stube trat, fragte er, wer dagewesen sei. Frau Ansorge wandte ihm langsam das Gesicht zu, das so viele Falten zeigte wie ein Baumblatt Adern. „Sie machen Besuche,“ erwiderte sie vorsichtig, „Nachbarsvisite; sie glauben, das muss so sein. Sie haben das Haus des verstorbenen Michael Becker geerbt und sind nach Podolin übersiedelt. Hanka heissen sie.“
Ursula brachte das Abendessen, und Arnold setzte sich hungrig zu Tisch. Seine Wissbegierde war befriedigt. Er bemerkte nicht, dass die Mutter durch die neuen Ansiedler nachdenklich geworden war, denn ein neuer Mensch war ihr eine neue Gefahr. Der Pfarrer, der Doktor, die Post- und Gerichtsbeamten waren ausser den Bauern die einzigen, die man hier zu Gesicht bekam.
Kaum war die Lampe angezündet, als es an die Tür klopfte und Maxim Specht eintrat. „Ich bitte vielmals um Entschuldigung,“ sagte er gewandt und liebenswürdig, „das Fräulein hat einen Schal hier vergessen.“ Er lächelte, wobei das Liebenswürdige, Gesellschaftliche noch stärker hervortrat und daneben etwas Überlegenes wie bei jemand, der zu beobachten fähig ist und sich dessen freut.
Das Tuch hing über einem Stuhl, und Arnold gab es dem Lehrer, „Es ist sehr gelb, das Ding“, meinte er lachend. Er schnupperte und steckte die Nase in den gestrickten Stoff. „Pfui!“ rief er.
„Es ist parfümiert“, sagte Specht verwundert. „Finden Sie das schlecht?“ Er sah Arnold an wie einen jungen Bären, dessen Kraft und Dressur zu allerlei geschäftlichen Unternehmungen locken. Er hatte in Podolin viel reden hören von dem Leben auf dem Ansorge-Hof. Arnold seinerseits betrachtete das Gesicht des Lehrers, das im Lampenlicht ihm zugewandt war, mit spöttischer Aufmerksamkeit. Er empfand Misstrauen und zugleich eine unklare Regung der Kameradschaft.
Dem Lehrer, der den abweisenden Blick Frau Ansorges auf sich ruhen fühlte, geboten Takt und Bescheidenheit, sich zu entfernen. Mit einer leichten Bewegung warf er das gelbe Tuch über die Schulter, verbeugte sich galant und wünschte gute Nacht.
Drittes Kapitel
Vor Aufgang der Sonne erwachte Arnold. Als er gewaschen und angekleidet war und in den Stall hinüberging, leuchtete schon der frühe Tag. Er liebte diese Stunde, besonders jetzt, in der Oktoberklarheit und -frische. Die Waldränder am Horizont waren rosig bemalt. Die Rinder wurden zur Tränke geführt, sie blökten freundlich.
Ehe Arnold nach Podolin ging, wo er mit dem Fleischer Uravar wegen einer Kuh unterhandeln sollte, kehrte er ins Haus zurück, um zu frühstücken. Er fand Elasser, einen Hausierer aus dem Dorf, bei Frau Ansorge. Der Jude kam jeden Monat zwei- bis dreimal, um Stoffe und Wolle, auch sonstige Gegenstände für den Haushalt zu verkaufen.
Glasser begrüsste Arnold buckelnd, während er Stirn und Glatze, die trotz des kühlen Morgens schon schweissbedeckt waren, mit einem blauen Tuch trocknete. Sein langhängender brauner Bart verhüllte fast den Ausdruck eines ziemlich gutmütigen Gesichts. Er steckte das Geld, das er empfing, mit liebevoller Sorgfalt