Der Moloch. Jakob Wassermann

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Der Moloch - Jakob Wassermann

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erzählte, dass ihn der Lehrer in Podolin angesprochen und ihm mit allerlei wunderlichen Ausdrücken von dem Leben in der Stadt vorgeschwärmt habe.

      Frau Ansorge runzelte finster die Stirn. „Der Windbeutel“, sagte sie; „er soll seine Weisheit für sich behalten.“

      Sie stellte sich ans Fenster und blickte gegen den Himmel, wo ein Regenbogen stand.

      „Komm einmal her, Arnold“, sagte sie.

      Arnold trat an ihre Seite.

      „Siehst du den Regenbogen? Jetzt steht er schön und gross vor dir. Kommst du zwischen Gassen und Häuser, so bleibt nicht mehr viel von ihm übrig. Und soviel deine Augen davon verlieren, so viel Glück und Ruhe verlierst du selber. Und die Stadt, das ist nichts anderes als eine Unmenge von Gassen und Häusern. Sie verwirren dich nur, die Windbeutel, sie sind leer wie gedroschenes Stroh.“

      Fünftes Kapitel

      Hankas, die neuen Bewohner von Podolin, hatten Besuch. Der Bruder von Agnes Hanka, Alexander, war aus Wien gekommen. Er wollte nur drei Tage bleiben; Erbschaftsangelegenheiten waren zu besprechen. Auch wegen Beate kam er, die seine Schussbefohlene war. Agnes hatte sie einst auf seinen Wunsch zu sich genommen. Vor Jahren hatte er die arme Waise den Händen böswilliger Verwandten entrissen, der Familie seines Gutsinspektors in Böhmen. Alexander Hanka, den alle Welt für die Vernunft und Hausbackenheit selber hielt, hatte damals phantastische Pläne gefasst. Ein Ideal schwebte ihm vor: ein von der Gesellschaft losgelöstes Weib, innerlich frei und kräftig, unverblendet und natürlich, das er für sich, für ein von der Gesellschaft losgelöstes Leben auferziehen wollte. Seitdem waren acht Jahre verflossen, und er sah auf sein ehemaliges leichtgläubiges Ich etwas gelangweilt herab. Beate selbst fand die gleichmütige Gesinnung bequem. Wer nicht dankbar zu sein braucht, ist wenigstens ehrlich; sie schäfte den Beschützer, denn sie wusste, was sie an ihm hatte, und war zutraulich gegen ihn.

      Als Doktor Hanka in Podolin ankam, stand die Sonne schon tief im Westen. Harzgeruch würzte die Luft, Bauern gingen vorbei und grüssten. Am Rain weideten Kühe und blickten mit Ruhe und Missbilligung auf den städtischen Ankömmling.

      Agnes und Beate waren nicht zu Hause. Hanka erfuhr, dass seine Schwester beim Pfarrer, Beate man wisse nicht wo sei. Damit gab er sich zufrieden, setzte sich auf die Bank vor dem Haus, rauchte, schlug die langen Beine übereinander und wartete. Die Stille und der grosse Himmel, dessen Anblick in solchem Umfang ihm ungewöhnlich war, liessen ihn seine anfängliche Verdriesslichkeit über den Landausflug vergessen.

      Während er noch in Nachdenken versunken war, es fing schon an zu dämmern, klang ein überraschtes Ach an seine Ohren. Beate stand hinter ihm, und mit ihr war Maxim Specht gekommen. Beate, indem sie eine ungeschickte Tanzstundenhöflichkeit annahm, machte die beiden Männer miteinander bekannt. Der Lehrer und Beate sahen belustigt und aufgeräumt aus. Mit offenbarem Vergnügen an seinem Talent, Erlebtes wiederzugeben, erzählte Specht, dass sie auf der Lomnitzer Strasse Arnold Ansorge begegnet seien und sich gut dabei unterhalten hätten.

      „Er fragte, ob ich schon einen Liebhaber hätte“, platte Beate lachend heraus.

      „Nicht was er sagt, ist so amüsant,“ erklärte Specht, „sondern wie er zuhört, wie er verwundert ist, wie er jedes Wort bedenkt. Er ist nicht dumm.“

      „Wer ist Arnold Ansorge?“ fragte Hanka kühl, dem die Art Spechts nicht sympathisch war. Indes kam auch Agnes Hanka. Bruder und Schwester begrüssten einander herzlich, Alexander mit der ihm eigenen Gravität und spöttischen Zurückhaltung, Agnes mit einem Ausdruck unbegrenzter Hochachtung vor dem Bruder. Da sie schwerhörig war, redete sie wenig, aus Furcht, misszuverstehen, und aus noch grösserer Furcht, den zu bemühen, mit dem sie sich unterhielt.

      Alle vier gingen ins Haus. Specht verabschiedete sich bald. Sein Taktgefühl sagte ihm, dass er übers flüssig, und seine Empfindlichkeit, dass Hansa nicht zufrieden sei mit der Anwesenheit eines Fremden. Als Specht gegangen und Agnes in der Küche beschäftigt war, erkundigte sich Hanka bei Beate nach dem Lehrer.

      Beate blickte den umherstolzierenden Frager mit damenhafter Nachlässigkeit an. Sie hatte die Hände über den Knien verschränkt, sass vorgebeugt und trippelte leise mit den Fussspitzen. Sie begann von Specht zu schwärmen, der arm sei, aber nach ihrer Überzeugung, es zu etwas Grossem bringen würde. Nur die Not habe ihn hierher verschlagen, bald wolle er die Schulmeisterei an den Nagel hängen. „Er ist ein Sozialist,“ fuhr sie flüsternd fort, „aber das sag’ ich dir nur im Vertrauen, es soll Geheimnis bleiben.“

      Hanka blieb mit gespreizten Beinen vor ihr stehen, wiegte sich in den Hüften, schmunzelte gutmütig, und um seinen Mund zuckte die Ironie wie in kleinen Schlänglein. Sogar in den Bewegungen seines hageren Körpers drückte sich Wohlwollen und Spott aus. Zum erstenmal heute sah er Beate voll und deutlich an; sie gefiel ihm, besonders behagten ihm die schmalen, schwarzen Linien der Brauen über den perlmutterglänzenden Augen. Darauf erblickte er sein eigenes Bild, denn hinter dem dunklen Kopf des Mädchens hing der Spiegel. Nie glaubte er Hässlicheres gesehen zu haben, eine dicke, lange Nase, eine niedere Stirn; ein blasses Mephistogesicht. Bestürzt wandte er sich ab. „Wir haben uns ja schon zwei Jahre lang nicht gesehen“, sagte er. „Wie gehts dir denn, Beate? Einmal schrieb mir Agnes, du hättest dich fortgestohlen, um zu tanzen. Wie verhält sich das?“

      Seine vor Fülle vibrierende Stimme mit den tiefen O-Lauten erregte Beates Lachlust. „Es macht mir jetzt gar keine Freude mehr, zu tanzen“, log sie und kettete gleich eine zweite Lüge bequem an: „Ich lese nämlich sehr viel.“

      „Hm—m, Herrn Spechts Einfluss“, sagte Hanka mit hölzerner Würde. Zugleich sah er im Geist den jungen Lehrer mit dem gutrasierten Gesicht und dem flinken Benehmen.

      Die Fenster waren offen, die fühle Herbstluft strich herein, die Lampe brannte freundlich, und altvertraute Bilder schauten von der Wand. Beate nahm fleissigtuend einen Strickstrumpf, und Agnes steckte den vom Herdfeuer erhitzten Kopf durch die Türspalte, um zu erfahren, ob Alexander auch den richtigen Hunger habe. Hanka stellte allerlei Betrachtungen über das Landleben an, rauchte schweigend seine Zigarette und sandte bisweilen einen kurzen Blick nach Beate.

      Agnes trug zu essen auf, wie für eine Soldatenkompanie. Dabei entschuldigte sie sich, dass sie dies oder jenes nicht habe bekommen können. Beate reichte Hanka eine Schüssel um die andere, so dass er sich in eine Art Betäubung hineinass. Er schob die Lippen vor, machte eine Schnauze, drehte den Hals wie eine Ente im Wasser und sagte, es tue ihm leid, dass er morgen schon wieder abreisen müsse. Beate wiederholte es lauter für Agnes, und diese sah ihn vorwurfsvoll an.

      Das junge Mädchen ging bald schlafen, und die Geschwister hatten eine ernsthafte Unterredung. Mitten darin verlor sich Hankas Geist in die Breite und spielte mit den lichten Gestalten eines Traumzustandes. Oben am Haus öffnete sich ein Fenster. Beates Stimme sang ein Lied, das sie von den Tschechinnen gelernt hatte.

      Kudy, kudy, vede cestička

      Pro mého Jenička . . .

      Der Liebste ist zwar in die Ferne gegangen, bedeutet es, um sich eine Reiche zu suchen, aber das kann nicht hindern, ihn noch weiter zu lieben.

      Sechstes Kapitel

      Da in der Nacht leichter Frost eingetreten war, umhüllte Arnold am Morgen die Fruchtstöcke für den Winter mit Stroh. Salscha half ihm, trug das Stroh aus der Scheune und legte es in lange Bündel. Sie war mürrisch und traurig und suchte Arnold durch Gleichgültigkeit aufmerksam zu machen. Er stand auf der Leiter, und während er den Arm hinunterstreckte, um ein Bündel zu ergreifen, begegnete er Salschas Blicken. Die Polin wurde

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