Der Moloch. Jakob Wassermann

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Der Moloch - Jakob Wassermann

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Sie, ich nehme mir doch ein Stückchen Käse!“ rief Specht, zu Agnes gewandt, die ihm erfreut Butter, Brot, die Weinflasche und den Wurstteller hinschob. Sie klagte dem Lehrer, dass sie Sorge um ihren Bruder Alexander habe; sie fürchte für seine Gesundheit, er sehe so schlecht aus. Übrigens habe er heute in einem Brief versprochen, gegen Weihnachten längere Zeit in Podolin zuzubringen.

      Specht fragte, was Alexander Hanka eigentlich treibe.

      Agnes besann sich, ob es nicht doch vielleicht etwas gab, das Hanka „trieb“. „Nichts“, erwiderte sie endlich scheu.

      Der Lehrer lächelte sarkastisch.

      „Er lebt von seinem Seld“, sagte Beate stirnrunzelnd. „Er ist reich genug. Ist das vielleicht nicht erlaubt?

      „Es ist leider nicht nur erlaubt, es wird gern gesehen“, antwortete Specht.

      Agnes gab dem Lehrer ihres Bruders Brief zu lesen. Es war, als suche sie über etwas Beunruhigendes in Hankas Leben Aufschluss und Trost, naiv dem Fremdesten vertrauend. Specht betrachtete zerstreut die ungefügen Schriftzeichen; unter dem Tisch suchte er Beates Hand zu ergreifen.

      Zehntes Kapitel

      Frau Ansorge erhielt aus Wien die Nachricht, dass ihr Bruder Borromeo sich wieder verheiratet habe. Die Photographie der neuen Schwägerin zeigte eine üppige Gestalt mit regelmässigen Zügen, die einen herrischen und kalten Ausdruck hatten. „Friedrich tut nichts Gutes in seinem Schwabenalter“, sagte Frau Ansorge zu Arnold, der das Bild der schönen Frau mit Vergnügen betrachtete.

      An demselben Morgen schickte Maxim Specht einen Brief und eine Zeitung. Die Zeitung enthielt Spechts Bericht über den Raub der Jutta Elasser. Arnold las, und es wirkte erstaunlich auf ihn, nicht gerade wie eine Lüge, sondern wie Schiefheit, wie Backenaufblasen. Aus dem Nahen und Wahren war etwas Fernes, Sespreiztes und Lärmendes geworden.

      Der Brief lautete: „Wenn es Ihnen passt, holen Sie mich morgen früh um sieben Uhr ab. Der Polizeihauptmann hat mit der Glasserschen Angelegenheit einen Kommissar beauftragt, der ein guter Bekannter von mir ist. Er erlaubt mir und Ihnen, dabei zu sein, wenn Elasser im Kloster seine Tochter zu sehen bekommt. Davon darf man die Entscheidung erwarten, denn es ist nicht einzusehen, wie sie ihm dann noch das Kind verweigern wollen, was doch zweifellos geschehen wird. Der Zweck ist, die Sache hinzuziehen, bis Jutta das religionsmündige Alter von vierzehn Jahren erreicht haben wird. Dann wird dem Samuel Glasser die väterliche Gewalt durch die Vormundschaftsbehörde abgesprochen, und der Taufe steht kein. Hindernis im Wege; denn über das, was das Mädchen selbst will oder nicht will, wird ja die Öffentlichkeit getäuscht. Also nicht ich bin dumm oder boshaft, lieber Freund, sondern die Ereignisse sind es. Und dumm bin ich vielleicht nur deshalb, weil ich mich darum kümmere und die Welt, gemein wie sie ist, ändern möchte. Das ist nicht nur Dummheit, sondern Irrsinn. Bleiben Sie gut Ihrem Specht.“

      Arnold hatte das Gefühl eines Hinterhaltes. Er las den Brief nicht nur, sondern er studierte ihn, drehte ihn um und um und zerriss ihn schliesslich. Den ganzen Tag über vermochte er nichts Rechtes anzufangen.

      In der Nacht hatte er einen seltsamen Traum. Er kam von einer langen Landstrasse an eine hohe Gartenmauer. Vor der Mauer standen zwei Pferde einander gegenüber, ein kleines und ein grosses Pferd. Beide Tiere sahen aus, als ob sie mit Grünspan überzogen wären. An Hals, Kopf, Rücken und Bauch trugen sie allerlei Zieraten, die, ebenfalls grünspanfarben, aus der Haut hervorragten, als ob es nur künstliche Tiere wären. Aber beide Pferde lebten. Nun stand an der Mauer eine Tafel, welche die Inschrift trug: Diese Pferde können sprechen. Nachdem er eine Weile unschlüssig und doch höchst begierig gestanden war, warf er ein Geldstück hin. Darauf ertönte ein langsames Glöckchen über der Mauer; das grössere Pferd erhob den Kopf und öffnete weit das Maul, um zu sprechen. In diesem Augenblick wurde Arnold von einem so furchtbaren Schrecken ergriffen, dass er in der grössten Sile über die Landstrasse Reissaus nahm. Als er aufswachte und den Traum überlegte, kam er ihm recht albern vor; dennoch, die dünne Luft, die Mauer, die einsame Strasse, die schwermütige Miene des grünen Gauls, der sich anschickte zu sprechen, das alles hatte etwas Unvergessliches in sich.

      Punkt sieben Uhr stellte sich Arnold bei Maxim Specht ein. Es war noch halb dunkel, als sie sich auf den Weg machten. Arnold verzehrte sein Frühstück unterwegs. Specht war schweigsam.

      Vor dem Klostertor warteten sie. As die ersten Wolken vom Frührot glühend wurden, traf der Kommissar mit einem Gendarmen ein. Sin wenig davon entfernt gingen Glasser und der Rabbiner aus Lomnitz. Der Kommissar zog die Glocke. Die Schwester Pförtnerin öffnete, deutete gegen eine schmale Türe zur Linken und hinkte auf einer Krücke davon. Als die Tür geöffnet war, wurde ein langer Gang sichtbar, an dessen Ende ein Windlicht brannte, das nur mühsam die Finsternis verringerte. Darnach kam ein weiter, flurartiger Raum. Auf einem Schemel hockte schlaftrunken eine Laienschwester und zeigte stumm auf die zur Linken befindliche Glastür. Die Männer betraten ein saalartiges Gemach, dessen Decke durch ein gekreuztes Tonnengewölbe gebildet wurde. Auf einer langen Bank standen zwei dreiarmige silberne Leuchter, darüber hing ein ehernes Kreuz mit dem Heiland. An der hinteren Wand öffnete sich ein dunkles Loch, vor dem sich ein aus weissen Stäben bestehendes Gitter befand. Elasser und der Rabbiner standen schweigend abseits; sie starrten vor sich nieder.

      Nach einigen langen Minuten, während welcher Arnold seine Uhr in der Tasche ticken hörte, knarrte eine zweite Tür in der Ecke, und vier Nonnen traten herein. Elasser reckte den Kopf auf — Arnold gedachte seines Traumpferdes, das sprechen wollte — und blickte nach der Tür, die sich indes wieder schloss, ohne dass seine Tochter eingetreten wäre. Plötzlich war das finstere, vergitterte Loch durch eine Kerzenflamme erleuchtet. Eine Gestalt bewegte sich vorbei, eine andere folgte. Die erste kehrte zurück, streckte die Arme aus, als wolle sie einen schweren Gegenstand ans Licht ziehen. Darauf wurde das Öffnen einer knarrenden Türe hörbar, und in demselben Augenblick begann ein Weinen und Schluchzen, das um so schauerlicher wirkte, als es wie durch das Fallen einer Wand mit einem Male hervorgebrochen schien. Die Arme regten sich geschäftiger, noch ein paar Arme und ein Kopf schienen Beistand zu leisten, aber das nicht zu beschwichtigende Weinen und Schluchzen erfüllte nach wie vor anschwellend den Raum. Die Kerze wurde ausgelöscht; das Gitter wurde wieder finster, die knarrende Türe liess sich von neuem hören; Füsse scharrten wie auf sandbestreuten Brettern, und mit einem Schlag war es wieder still.

      Elasser war einen Schritt vorwärts gegangen. Der ganze Mann zitterte, und seine Stirn glänzte von Schweiss. Ein gurgelndes Geräusch kam von seinen Lippen. Er schwenkte die Arme hin und her; der Rabbiner und der Sendarm mussten ihn bei den Schultern zurückhalten. Als es hinter dem Gitter finster und ruhig wurde, war auch er wieder still. Einige Minuten lang hörte man das leise Aufprasseln der Kerzenflammen auf der Bank. Die frommen Schwestern zeigten eine durch Gewohnheit und Übung erlernte und befestigte Gleichgültigkeit. Ihr inneres Leben schien sich zu einem verheimlichten Lauschen gesammelt zu haben, wovon allein die Bewegung der Augenlider Zeugnis ablegte. Specht stand mit bleichem Gesicht. Arnold betrachtete auch ihn; sämtliche Gestalten erschienen im trüben Zwielicht wie Phantome. Es war kaum zu unterscheiden, ob sie schliefen oder wachten.

      Jetzt öffnete sich zum zweitenmal die seitliche Tür, und die Oberin trat ein. Specht, der Kommissar und der Gendarm verbeugten sich ehrerbietig. Die Oberin streifte die Männer mit einem eisigen Seitenblick und richtete die Augen befremdet und fragend auf Arnold, der sich nicht rührte, nicht grüsste und mit verhängten Augen auf das eherne Christuskreuz sah. Indessen wandte sich die Dame ab, trat mit festem Schritt auf den Kommissar zu und sagte: „Herr Glasser kann leider seine Tochter nicht sehen. Das Mädchen ist krank.“

      Elasser hob blitzschnell beide Hände, zog sie rasch gegen sein Herz und schien reden zu wollen. Ja, er schien gewaltsam bemüht, die ränkevolle Finsternis, die er um sich gewahren musste, wenigstens durch Worte zu zerstören; der Polizeikommissar nahm seine Partei,

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