Der Moloch. Jakob Wassermann

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mit ganz anderm Ohr das Rauschen, das der Wind in den Baumkronen verursachte. Seine Qualen rückten auf ein anderes Ufer, vor ihm floss ein Strom der Einsamkeit.

      Sie gingen ein Stück weiter bis zum Fusse der Klostermauer. Dort setzte sich Specht auf eine Steinbank und erzählte von seiner Tätigkeit als Lehrer, von seinen Wünschen und Träumen, von seinem sozialen Ideal, das ihn anderswo hinweise als in mährische Einöden. Er erzählte von seiner Bibliothek, von seinen mit Studien verbrachten Nächten, und deutete dumpf und schamvoll sein kümmerliches Auskommen an. Sein Ton war einfach, wenn auch durch die Nacht etwas gedrückt. Ihm war, als müsse er diesem Menschen beichten, und er vergass die jüngeren Jahre Arnolds. Leicht erzeugt ohnedies eine solche Stunde festere Brücken zwischen Männern, als etwa ein Beisammensitzen im Sonnenschein. Freilich nicht bei Arnold, den keine innere Enge trieb, sich mitzuteilen. Aber da es für ihn nichts Längstbekanntes gab, kein alltägliches Schicksal, lauschte er dem Lehrer mit Interesse.

      Endlich erhob sich Specht und meinte, es sei doch Zeit, nach Hause zu gehen. Während des Heimwanderns brachte er noch vielerlei vor, denn er hatte einen regen Geist, und mit Unrast suchte er Beziehungen und wünschte Sympathien.

      Achtes Kapitel

      Am andern Morgen, als Arnold und Frau Ansorge beim Frühstück waren, kam Ursula und erzählte, die Felizianerinnen hätten die Tochter des Juden Elasser zu sich ins Kloster gebracht.

      „Vierzehn Stunden haben die Leute nicht gewusst, wo ihr Kind ist“, sagte sie. „Erst heut nacht haben sie es durch Zufall erfahren.“

      „Und was ist dann geschehen?“ fragte Arnold.

      „Der Jud ist mit dem Gendarmeriewachtmeister Wittek ins Kloster gegangen. Man hat sie aber nicht hineingelassen.“

      „Eine wunderbare Geschichte“, bemerkte Frau Ansorge spöttisch.

      Arnold erinnerte sich seiner gestrigen Begegnung mit dem Hausierer und an dessen beklommenes Wesen. „Man kann doch nicht ohne weiteres ein Mädchen rauben“, sagte er verwundert.

      „Wahrscheinlich soll das Judenkind getauft werden“, antwortete Ursula.

      Der Bäcker aus Podolin, der gleich darauf kam, bestätigte das Vorgefallene.

      „Ich versteh’ das nicht“, sagte Arnold in wachsender Verwunderung zu seiner Mutter. „Können die vom Kloster ein Kind einfach stehlen?“

      Frau Ansorge zuckte die Achseln.

      „Man kann es doch nicht taufen, wenn die Eltern nicht wollen.“

      „Vielleicht will das Mädchen selber. Wenn es vierzehn Jahre alt ist, braucht man die Einwilligung der Eltern nicht.“

      „Wenn es aber nicht will? Dann müssen Sie es wieder entlassen, wie?“

      Frau Ansorge zuckte abermals die Achseln. „Was gehen uns die fremden Leute an“, entgegnete sie gleichgültig.

      Gegen Mittag machte sich Arnold auf den Weg nach dem Dorf. Auf dem Hauptplatz blieb er eine Weile unschlüssig stehen. Dann, fast wider Willen, trat er in den Ullmannschen Schnapsladen an der Ecke. Bauern, Knechte, Tagelöhner, Unterstandslose, ja sogar ein paar Weiber sassen dort und machten Lärm. Arnold liess sich ein Glas Tschai geben. Ein alter, dicker, gichtischer Bauer, der weithin nach Schnaps roch und dessen Mund verzogen war, als hätte er Zitronensaft auf der Zunge, sagte, jetzt sei die Zeit gekommen, endlich werde dem Juden der Garaus gemacht. Getauft oder verbrannt, schrie ein Bursche, dem die blosse Brust durch das zerrissene Hemd schien. Der Ladenbesitzer, selber ein Jude, mit einem Bart, der dünn und kranzartig um das ganze Gesicht lief, lachte mit weit aufgerissenem Mund. Eine pockennarbige Bäuerin behauptete, der Papst und der Erzbischof hätten den Felizianerinnen befohlen, alle Judenkinder zu taufen.

      Arnold fragte den geleckt und hungrig aussehenden Geschäftsgehilfen nach der Wohnung Elassers und verliess dann den Laden.

      Podolin, aus einer langgestreckten Reihe niedriger

      Häuser bestehend, hatte nur eine einzige Seitengasse, und dort, dicht am Flussufer, wohnte Elasser. Die abschüssige Gasse war fast ungangbar durch Misthaufen, Kotpfützen, Schottergestein und umhergackerndes Geflügel. Von den Mauern des Elasserschen Häuschens war der grösste Teil der Mörtelbekleidung abgefallen. Arnold ging durch die offene Haustüre in ein gleichfalls offenes Zimmer zur Rechten, wo sich ihm ein ebenso wunderbarer als trauriger Anblick bot.

      Neuntes Kapitel

      Samuel Elasser hockte zusammengekauert, die Knie fast bis zur Brust emporgezogen, im Winkel eines schmutzigen Kanapees. Er hatte mit beiden Händen das Gesicht so vollständig bedeckt, dass darunter nur der braune Bart hervorquoll. Auf dem Kopf trug er ein altes, hintübergeschobenes Seidenkäppchen mit einer Quaste. Um ihn herum standen wie in einem abgemessenen Halbkreis sechs Kinder und blickten regungslos auf die kauernde Gestalt ihres Vaters. Eines von zwei Jahren kroch halb spielend, halb winselnd über die Dielen, und ein Neugeborenes lag eingehüllt in bunte Lappen, die wiederum durch einen grünen Gürtel zusammengehalten waren, auf einer breiten Bank neben dem Ofen. Die Frau stand vor dem Fenstersims und bewegte betend die Lippen und den Oberkörper. Ausser dem Gelalle des kleinen Halbnackten war kaum ein deutlicher Laut vernehmbar. Auf dem Tisch standen acht blecherne Kaffeetassen, an einem Strick vom Ofen zur Wand hingen rote Windeln zum Trocknen, und der Türe gegenüber nahm ein uralter Schrank den fünften Teil des Raumes ein.

      Nachdem Arnold einige Minuten ruhig auf der Schwelle geblieben war, trat er ins Zimmer. Sogleich drängten sich die sechs Kinder in einen Knäuel zusammen. Glasser liess die Hände vom Gesicht fallen und blickte den Fremdling mit glasigen Augen an. Arnold war etwas verdutzt über die gepresste Trauer und düstere Niedergeschlagenheit, die hier herrschten. Er forschte unter den Gesichtern der Kinder, und als er das ihm bekannte der kleinen Jutta nicht erblickte, fragte er: „Ist sie noch nicht zurück aus dem Kloster?“

      Die Frau drehte sich um und heftete aus ihren hervorquellenden, ermüdeten Augen einen ungewissen und furchtsamen Blick auf Arnold. „Weiss der Herr nicht, dass unsere Jutta geschleppt worden ist mit Gewalt ins Nonnenkloster?“ rief sie mit einer überscharfen Stimme. Ihre Züge, obwohl alt und hässlich, entbehrten nicht des Reizes, den das Leiden in jeder Form zu erteilen vermag.

      Arnold blickte die Frau aufmerksam an. „Ja ja,“ erwiderte er, „aber das ist doch gegen das Recht.“

      „Sehn Sie nur an,“ fuhr die magere Jüdin fort und hob sibyllenhaft den Kopf, „wie es bestellt ist mit dem Recht. Für die armen Leute gibts kein Recht, für arme Juden gibts kein Recht. Und mit was kann ich dienen? Mit wem hab’ ich das Vergnügen?“

      „Es ist der gnädige Herr Ansorge“, klärte Elasser auf, mit einer Gebärde, die ebensowohl für ehrfürchtig als für kummervoll gelten konnte. „Der Herr kommt nicht in schlechte Absichten, Mutter. Erinnern Sie sich, gnädiger Herr, wie ich meine Jutta hab’ gesucht Sonntag? Wir haben gewartet und gewartet, und wer nicht gekommen is, war unsere Jutta. Und der ganze Abend ist geflossen, und endlich gegen elf is gekommen der Gehilf vom Uravar und klopft da draussen und meint, wir sollen doch einmal nachfragen im Kloster. Und ich denk’ mir noch und denk’ mir noch, ’s ist wahr, sie kann sein gegangen mit die Bänderchen zu die Nonnen, denn sie ist allein hausieren gegangen, und solche Sachen sind schon bereits vorgekommen, und der Gehilfe, der ’s Fleisch bringt ins Kloster, kann sie dort gesehn haben. Gnädiger Herr, meine Tochter ist eine gute Jüdin, warum soll sie bei den Nonnen geblieben sein? Und es war Mitternacht, bin ich noch gegangen, und der Herr Wachtmeister, ein freundlicher Herr, ist mit mir gegangen ins Kloster. Und wir verlangen

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