Der Moloch. Jakob Wassermann

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Der Moloch - Jakob Wassermann

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zugemacht haben die ganze Nacht, und in der Früh um sechs bin ich abermals wieder gegangen mit dem Herrn Wachtmeister und verlang’ zu sprechen die Oberin. Un sie kommt, und ich verlang’ zu haben mein Kind. Und, gnädiger Herr, glauben Se mir, mein Herz is still gestanden, sie sagt, ich soll kommen in fünf Tagen, bis sich das Mädchen besser gewöhnt haben wird an die neue Umgebung.“

      Elasser wand sich, als ob ihn die Eingeweide brennten. „Un so bin ich fortgegangen“, schloss er und atmete tief.

      „Und der Wachtmeister?“ fragte Arnold, dessen Gesicht sich verfärbt hatte.

      „Der Herr Wachtmeister is ein freundlicher Herr, aber er hat gesagt, leider, es ist vorläufig nichts zu machen. Man muss warten. So wart’ ich.“

      Der Säugling auf der Ofenbank erwachte und begann ein dünnes Geheul, bis die Mutter hinging und ihm ein in Honig getauchtes, kugelartiges Leinwandstück in den Mund steckte. Auch das auf dem Boden kriechende Kind fing an zu weinen. Die Frau blickte gleichgültig herab, gab ihm mit dem Bein einen leichten Stoss, und als es platt auf der Erde lag, rollte sie es mit dem Fuss gleich einem Fässchen hin und her. Das Kind lachte, während die Mutter leise summte und mit der Hand den Säugling wieder in Schlaf schüttelte.

      Elasser erhob sich, nachdem er lange vor sich hingebrütet hatte, und blickte Arnold ohne jede Schüchternheit mit funkelnden Augen an. „Was soll ich tun, lieber Herr?“ sagte er dumpf, und sein demütiger Tonfall wirkte sonderbar im Gegensatz zu seinem Aussehen. „Kann ich mir helfen, sagen Sie selber? Wenn sie sagt, ich soll kommen in einem Jahr, kann ich mir helfen? Und wenn ich keine Nacht mehr schliess’ ein Auge, kann ich mir helfen, lieber Herr?“ Er ging auf und ab.

      Arnold verfolgte ihn mit den Blicken. Er begriff nicht, begriff nichts. Diese Verzweiflung schien ihm unverständlich.

      „Papa,“ rief jetzt der älteste Knabe mit finsterer Entschlossenheit, „hör’ auf zu reden, bitt’ dich, vor dem Soi.“

      „Keine Ruh’ will ich haben, keine ruhige Stunde, bis sie mir nicht mein Kind gegeben haben!“ rief Elasser mit scheuer Leidenschaftlichkeit. „Und wenn ich bis Wien zum Herrn Kaiser gehen muss, un wenn ich hungern un dürsten muss.“

      „Und sollen Weib und Kinder gleichfalls hungern?“ fragte die Frau mit streng zusammengezogenen Brauen.

      „Schämen Sie sich doch,“ sagte Arnold laut und blickte verdriesslich von einem zum andern, „gibt es denn kein Gericht? Jeder Richter muss Ihnen das Kind zurückgeben, sobald es das Gesetz verlangt.“

      Draussen wurden Schritte laut, und drei jüdische Männer betraten den Raum, wobei sie Gebete murmelten.

      Arnold ging. Er war kaum bis zur Ecke des Hauptplatzes gelangt, als ihm Specht begegnete. Der Lehrer schien die grösste Eile zu haben, blieb aber doch bei Arnold stehen, fing von der Klostergeschichte an und meinte, es sei sonderbar, dass sie beide gerade gestern abend vor dem Kloster geweilt hätten. „Und was sagen Sie zu alledem? Klingt es nicht fabelhaft, dass dergleichen noch vorkommt?“ Leise und geheimnisvoll fügte er hinzu: „Ich berichte alles an eine Wiener Zeitung. Übrigens könnten wir eine halbe Stunde miteinander plaudern; kommen Sie mit ins Wirtshaus.“

      Arnold folgte zögernd, nahm schweigend neben Specht Platz und nickte, als der Wirt ein Glas Bier vor ihn hinstellte.

      Niemand war hier ausser den beiden. Ein kleiner Rattenpinscher lag neben Specht auf der Bank, erhob den Kopf, knurrte und schlief bald weiter. Specht schien lange innerlich zu kämpfen, endlich sagte er: „Heute ist es mir schlimm ergangen; heute hab’ ich was Schlimmes erfahren. Hören Sie nur . . . Vielleicht bereu’ ich einmal, dass ich schwatzhaft war, aber der Teufel kann ewig schweigen.“

      Arnold horchte hoch auf und schaute erwartungsvoll auf den Mund des Lehrers.

      „Sie kennen doch Beate?“

      Arnold wandte den Kopf ab und nickte gleichgültig. Specht legte seine Hand auf Arnolds Schulter und sagte beschwörend und schmerzlich: „Ich übertreibe nicht, mein Lieber, aber wenn es eine verkörperte Ruchlosigkeit gibt, ist es diese siebzehnjährige Hexe. Was ich gelitten habe! Doch es ist vorbei; anderes liegt vor mir.“ Er bedeckte die Stirn mit der Hand; seine Lippen zitterten, und in seinen Augen lag schon jetzt Reue über seine Mitteilsamkeit. Seine Miene wurde plötzlich kalt, und das Gesellschaftliche in seinem Wesen trat mit auffallender Schärfe hervor, als er sagte: „Ich hoffe, Sie können schweigen. Wir dürfen die Frauen nicht einmal ins Gerede bringen, während sie uns ungestraft zum Wahnsinn treiben.“ Er lächelte und zupfte an seinem schmalen blonden Schnurrbart.

      Arnold, der für solche Schmerzen keinerlei Verständnis besass, hatte zerstreut zugehört. Jenes unbedeutende Frauenzimmer erschien ihm keines Wortes wert. Er schämte sich für Specht.

      Über eine Viertelstunde sassen sie schweigend beisammen. Der Wirt hatte die Lampe angezündet. Endlich fragte Arnold, indem er den Kopf ein wenig vorstreckte und das Kinn mit zwei Fingern der linken Hand drückte: „Wann wird man denn befehlen, das Mädchen freizulassen?“

      „Welches Mädchen?“ entgegnete Specht aufschreckend. „Die Glasser meinen Sie? Ich weiss nicht.“ Specht fühlte sich beleidigt, dass Arnold einer so fernen Angelegenheit mehr entgegenbrachte als seiner, Maxim Spechts, persönlich nahen. „Wer, glauben Sie denn, dass hier befehlen wird?“ fragte er ironisch.

      „Das Gericht, denk’ ich“, entgegnete Arnold und wandte sich dem Lehrer völlig zu.

      „Sie ahnen offenbar nicht, um welche Mächte es sich hier handelt?“ Specht lächelte boshaft vor sich hin, als ob er mit diesen Mächten im Bunde sei.

      Mit lachendem Mund und höchst erstauntem Ausdruck sagte Arnold: „Es handelt sich um ein Unrecht.“

      Specht meckerte. „Unrecht hin oder her. Leben wir denn im Paradies? Findet denn jedes Unrecht einen Richter? Und wenn es schon einen Richter findet, findet es dann auch Gerechtigkeit?“

      „Das ist mir zu dumm, was Sie da schwätzen, Sie wollen mich wohl zum Narren halten“, erwiderte Arnold, erhob sich mit blitzenden Augen und schob den Tisch mit dem Oberschenkel von der Bank weg. Der Hund fuhr aus dem Schlaf empor und bellte wütend. Bestürzt blickte der Lehrer Arnold an, der schweigend sein Geld auf den Tisch legte und die Wirtsstube verliess.

      Specht seufzte. Er schloss grübelnd die Augen. Bald machte auch er sich auf den Weg, schlenderte die finstere Dorfstrasse entlang und kam bis zum Hankaschen Zaun. Er lehnte sich an das Gartentor und begann melancholisch zu pfeifen, scheinbar ohne Absicht und nur in sich selbst versinkend. Seltsame Menschen gibt es, dachte er, indem er weiterpfiff, mit Beziehung auf Arnold. Was ficht ihn an? Für ihn ist das Leben ein warmer Pfannkuchen; er braucht sich nur hinsetzen, um zu essen. Will er Rechenschaft haben über die Unbescholtenheit der Henne, von der die Gier kommen?

      Im Haus würde ein Fenster geöffnet, und eine helle Stimme rief: „Specht! Herr Specht! Kommen Sie doch herein! Was stehen Sie denn und pfeifen!“

      Specht folgte der Einladung. Beate und Agnes sassen bei Tisch und schienen soeben mit dem Abendessen fertig geworden zu sein. Beate blickte Specht hochmütig und höhnisch an. Specht verbeugte sich, lächelte flüchtig, nahm Platz und fragte höflich nach Agnes Hankas Befinden. Freundlich und eilfertig bot ihm Agnes von den Überresten der Mahlzeit, und obwohl er hungrig war, schüttelte Specht den Kopf und deutete scherzhaft auf seine Magengegend. Beate hatte nicht aufgehört, den Lehrer fest anzublicken. Sie spielte mit einem Zeitungsblatt und sagte plötzlich vor sich hin, ohne Furcht, dass sie von der halbtauben Agnes gehört werden könne: „Wenn du nicht vernünftig bist —“ .

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