Mut braucht eine Stimme. Peter Holzer

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Mut braucht eine Stimme - Peter Holzer Dein Erfolg

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doch recht zwielichtigen Büros wiederfand, aus denen ich in erster Linie nur so schnell wie möglich wieder rauswollte. So war ich damals – ich dachte vollkommen Input-zentriert. »Wir brauchen Umsatz, also fahre ich überall hin«, statt den Output zu prüfen: »Was kann ich mit dem Termin erreichen? Ist es wirklich notwendig, dorthin zu fahren? Oder reicht auch ein Telefonat aus?«

      Keine Sorge: Meine Akquisetätigkeit hat sich vollkommen verändert, und heute überlege ich mir sehr genau, wie ich mit meiner Zeit umgehe. Doch ich kann es immer noch nicht lassen, mir einen Meter Bücher zu bestellen, wenn mich ein bestimmtes Thema interessiert. Wirklich lesen tue ich zwar erst mal nur ein Drittel davon. Für den Output, den ich brauche – etwa meinen Vortrag anzupassen oder eine neue Idee zu entwickeln –, würden mir sogar schon zwei, drei Titel reichen. Aber ich erliege meiner Neugier und den Verlockungen des riesigen Angebots von jährlich rund 70 000 Neuerscheinungen in Deutschland; so hole ich mir den gesamten verfügbaren und möglicherweise relevanten Input ins Haus und verliere mich gerne darin.

      Stellen Sie sich vor, Sie besuchen eine Veranstaltung, einen Kongress oder ein Seminar. Ohne ein konkretes Ziel. Stattdessen denken Sie »Mal schauen, was es dort gibt; ich lasse mich überraschen« oder »Networking ist immer gut« oder »Nicht dass ich etwas Wichtiges verpasse«. Das wäre so, als würden Sie in eine Kiste mit 3000 Puzzleteilen greifen, in der Hoffnung, dass das herausgezogene Teil schon irgendwie ins Gesamtbild passt. Um ein Puzzle zusammenzusetzen, brauchen Sie eine Vorlage. Ein Gesamtbild, das Ihnen zeigt, wozu Sie das einzelne Puzzleteil brauchen. Doch wenn Sie ohne konkrete Output-Erwartung auf Ihre Veranstaltung gehen – wie wollen Sie dann sinnvollen Input bekommen? Schlimmstenfalls ist es zielloser Input, der Sie weiterhin dadurch beschäftigt hält, dass Sie Energie aufwenden, um zu überlegen, was Sie denn damit bloß machen könnten.

      Selbst produzierter, nicht verwertbarer Input hat nämlich die fiese Eigenschaft, noch mehr nicht verwertbaren Input nach sich zu ziehen. Er sprießt wie Pilze aus dem Waldboden, nachdem es geregnet hat. Denn wenn Sie schon in eine Sache investiert haben, wollen Sie auch, dass etwas dabei herumkommt. Also werden Sie der verlorenen Zeit und dem schlechten Geld weitere Zeit und weiteres Geld nachwerfen – in der Hoffnung, dass dann ein vernünftiger Output herauskommt. Erfahrungsgemäß passiert das allerdings selten. Der Grund dafür liegt schlicht darin, dass all diesen Aktionen eine Grundidee fehlt. Eine Daseinsberechtigung. Eine Vorstellung davon, wozu sie existieren. Eine Richtung.

       Der Tornado ist ein prima Betäubungsmittel.

      Indem wir ständig ziellos unnötigen Input produzieren, tragen wir zu dem Tornado, der uns umtost, aktiv bei. Interessanterweise ist es in diesem Fall zunächst einfacher, den Tornado aufrechtzuerhalten, als ihn zu stoppen. Schließlich ist er ein prima Betäubungsmittel.

      Bestes Beispiel ist mein Kumpel Jens. Jens hat ungefähr mein Alter, einen sehr guten Job und ist Single. Seine durchschnittliche Beziehungsdauer beträgt zwei Monate. Mit der hohen Frauenfluktuation in seinem Leben kommt er gut zurecht. Und der Akquiseaufwand ist aufs Äußerste optimiert. Um auf Jagd zu gehen, muss er sich nicht einmal physisch bewegen. Er erledigt das über eine der vielen Onlineplattformen. Die wiederum bedient er wie eine hocheffiziente Vertriebsmaschine. Hat er einmal eine gute Anmache formuliert, kann er sie kopieren und in Serienproduktion in allen attraktiven Damenprofilen hinterlassen. Dazu noch ein paar Photoshop-optimierte Fotos. Fertig. Mehr Arbeit erfordert das Dating nicht. Seitdem er jetzt zusätzlich eine der neuen Dating-Apps auf sein Handy geladen hat, muss er nicht einmal mehr schreiben. Er schaut sich nur noch die Bilder der Frauen an und wischt über den Screen: Nach rechts heißt daten, nach links heißt ablehnen.

      Wenn Jens von seinen hochoptimierten Eroberungsstreifzügen erzählt, wirkt er auf den ersten Blick tatsächlich wie ein freier, wilder Cowboy. Hört man ihm aber länger zu, wird deutlich: Tief in seiner Seele sieht es düster und traurig aus. Aber er muss sich dieser Traurigkeit nicht stellen. Denn die hohe Aktivität lenkt ihn ab – dem Input-Virus sei Dank. Er versteckt seine innere Stimme vor sich selbst unter dem Deckmantel des Beschäftigtseins und fühlt sich wie ein Held, der im Tornado nicht untergeht.

      Doch am Ende gewinnt der selbst angefeuerte Tornado immer über die Stimme, die sich im Inneren meldet und gehört werden will. Im Getöse, das der Tornado verursacht, hat sie keine Chance mehr, gehört zu werden. Es bleibt ihr auf Dauer nichts anderes übrig, als komplett zu verstummen.

       2. Verschwendete Zeit

      Der Tornado um Sie herum tobt. Sie stehen mittendrin. Sie haben alles und nichts vor Augen. Von allen Seiten prasselt es ständig auf Sie ein und Sie können kaum noch Luft holen. Wie in einem Sandsturm. Die Sandkörner treffen Sie schmerzhaft, sie verstopfen Ihnen Nase und Ohren. Den Mund öffnen Sie besser nicht, sonst werden Sie das Knirschen zwischen den Zähnen nicht mehr los. Schließen Sie besser auch die Augen. Sehen können Sie sowieso nichts.

      Was tun Nomaden in der Wüste, wenn sie vom Sandsturm überrascht werden? Ziehen sie unverdrossen weiter? Ganz bestimmt nicht. Die Gefahr wäre viel zu groß, in die falsche Richtung zu laufen und die Wasservorräte zu verschwenden. Die Nomaden suchen sich deshalb einen geschützten Platz und warten, bis der Sturm sich gelegt hat. Erst dann ziehen sie weiter.

      Und was machen Sie? Sie ziehen trotz des Tornados weiter. Und zwar in einem Affenzahn. In welche Richtung? Na ja, mal in die eine, mal in die andere – wie es sich so ergibt. So genau können Sie die Richtung in dem ganzen Trubel ja auch nicht ausmachen.

      Nein, verdursten werden Sie im alltäglichen Tornado nicht so schnell. Wasser haben Sie ja genug. Wenn Sie blind weiterziehen, verschwenden Sie etwas anderes, etwas viel Kostbareres, von dem Sie auch nur äußerst begrenzte Vorräte haben:

      Sie verschwenden Ihre Zeit.

       Richtung braucht Klarheit

       Der Anzug

      Es sind nur noch wenige Tage bis zum Hochzeitstermin und alle Vorbereitungen bereits getroffen: die Papiere zusammengesucht, das Standesamt gebucht, das Restaurant gefunden, der Blumenschmuck ausgewählt, das Brautkleid geschneidert. Alle Freunde und Verwandten haben schon lange die liebevoll ausgewählten Einladungen vorliegen, fast alle haben zugesagt. Die Liste der Gäste ist lang.

      Ich sitze auf der Kante unseres Doppelbetts, den Kopf in die Hände gestützt. Aus dem Kinderzimmer unserer schicken Wohnung dringt die Stimme meines Sohnes.

      »Alles in Ordnung mit dir?«, fragt meine Freundin, als sie von nebenan hereinkommt. Ich räuspere mich, und doch ist meine Stimme krächzend, als ich sage: »Ich kann nicht … Ich habe keinen Anzug gekauft.« Sie schüttelt einen Moment ungläubig den Kopf und lacht. Doch beim Blick in mein Gesicht erstirbt ihr Lachen.

      Einige Monate später. Wir haben die Hochzeit abgesagt. Meine Freundin ist mit unserem Sohn in eine andere Stadt gezogen, um den Schmerz mithilfe der Distanz zu betäuben.

      Ich habe einen Termin für eine Wohnungsbesichtigung. Die Wohnung, die ich zuvor mit meiner Freundin und unserem Kind hatte, will ich verlassen. Orte haben ein Gedächtnis … Doch ich weiß: Wenn ich mir jetzt eine neue Wohnung anschaue und umziehe, dann ist die Tür zu meiner Familie endgültig zugeschlagen. Auf dem Weg zum Auto durchdringt die Nässe des Kölner Schmuddelwetters meine Sneakers. Eigentlich sollte ich losfahren, stattdessen bin ich wie gelähmt. Ich starre auf das Lenkrad.

       Plötzlich ist die Stimme da. Sie sagt mir, in welche

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