Nebra. Thomas Thiemeyer

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Nebra - Thomas Thiemeyer Hannah Peters

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Wüste trennte. Hier endete jegliche Vegetation. Die wenigen Felder oberhalb des Plateaus waren nicht der Rede wert. In Hannahs Augen wirkte ihre Anwesenheit ohnehin unpassend. Sie waren Teil eines Projekts zur Neuerschließung von Land, das jedoch aus Kostengründen nur halbherzig verfolgt wurde. Pumpen kosteten Geld, und wenn man sie abschaltete, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Wüste sich ihr Territorium zurückeroberte. Der Felsen, der sich wie eine Nase vorwölbte, beherbergte eine der schönsten ägyptischen Tempelanlagen überhaupt. Eine Anlage, deren Geheimnisse erst in den sechziger Jahren vollständig entschlüsselt wurden. Es war die Zeit, in der das gesamte obere Niltal dem Assuanstaudamm zum Opfer fiel. Weniger eine Zeit der Archäologen denn eine Zeit der Architekten und Ingenieure. Immerhin ging es darum, einige der bedeutendsten Baudenkmäler der Welt zu versetzen. Die Verlegung von Abu Simbel oder Sakkara verschlang Unsummen und erforderte den Sachverstand eines ganzen Heeres von Technikern. Es war nur natürlich, dass sich das Interesse der Weltöffentlichkeit auf diese Mammutprojekte richtete und dabei übersah, dass nebenan weiterhin interessante Neuentdeckungen gemacht wurden. Eine dieser Entdeckungen betraf den Tempel der Hatschepsut in Deir el-Bahari. Die gewaltige Anlage lag im Westteil von Theben, das dem berühmten Tal der Könige vorgelagert ist. Für Hannah war dieser Tempel so interessant, weil er einige Darstellungen enthielt, die ihr bei der Lösung eines aktuellen Problems helfen sollten. Ein Problem, das nur am Rande mit Ägypten oder der Wüste zu tun hatte. Ein Problem, bei dem sie Hilfe brauchte.

      John Evans erwartete sie am obersten Absatz der Tempelanlage. Der Wind zauste seine Haare, während er da stand, die Hände in die Hosentaschen gesteckt, und beobachtete, wie sie die zweimal einhundertzwanzig Stufen zu ihm hinaufstieg. Sein Gesicht lag im Schatten, doch sie konnte erkennen, dass er lächelte. Die Monate in der Wüste hatten ihm gutgetan. Braun und schlank war er. Welch ein Gegensatz zu ihr, die sie das letzte Jahr in Deutschland verbracht hatte. Wehmütig dachte sie an die Zeit zurück, als sie selbst in der Sahara geforscht hatte, auf der Suche nach urzeitlichen Felsmalereien.

      »Guten Morgen«, sagte er, als sie nur noch wenige Meter entfernt war. Er streckte ihr seine Hand entgegen, die sie nur kurz ergriff und schnell wieder losließ. Wenn er enttäuscht war, ließ er es sich nicht anmerken.

      »Ist das nicht herrlich hier, zu so früher Stunde?«, fragte er, die Hände wieder in den Hosentaschen vergrabend. »Wie du siehst, habe ich eine Sondergenehmigung zum Betreten der Anlage bekommen. Keine Touristen, keine Fremdenführer, kein Gerenne, kein Geschrei – nur wir beide. Nicht schlecht, oder?« In seinen mandelbraunen Augen blitzte es auf. »Fast wie in alten Zeiten.«

      Hannah überging den Kommentar mit einem kurzen Lächeln. Sie hatte nicht vor, sich von ihrem ehemaligen Lebensgefährten aus der Reserve locken zu lassen. John und sie hatten sich vor über einem Jahr während einer Expedition in der Sahara kennengelernt. Damals hieß er noch Chris Carter, doch das war nur ein Deckname gewesen. John gehörte zu jenem Menschenschlag, der nichts dem Zufall überließ, nicht mal seine Identität. Er war ein Allroundtalent. Promovierter Klimatologe, Spezialist für Astroarchäologie und bewandert in sämtlichen Naturwissenschaften. Vor allem aber war er Jäger. Ein moderner Schatzsucher, der sich fortwährend auf der Jagd nach archäologischen Relikten befand. Sein Chef war der Milliardär Norman Stromberg, eine Größe in der internationalen Wirtschaft und ein Mann, dessen Ruf ebenso legendär war wie der des berühmten Howard Hughes. Strombergs Gespür für seltene Funde war beinahe ebenso phänomenal wie sein Riecher für gute Geschäfte. Er war nicht nur einer der wohlhabendsten und einflussreichsten Männer der Welt, sondern auch einer der bedeutendsten Kunstsammler. Und genau darum ging es bei Johns Arbeit, um das Aufspüren von Kunstschätzen. Er war Strombergs Spürhund, sein Scout, wie man diese Leute in der Branche auch nannte.

      Stromberg hatte seine Leute rund um den Erdball im Einsatz. Wo immer Gerüchte von neuen Funden die Runde machten, waren sie zuerst da. Manchmal sogar, ehe die zuständigen Behörden davon Wind bekamen. Sie waren autorisiert, Kunstwerke aufzukaufen oder sich auf irgendeine andere Art die Besitzrechte zu sichern. Und ihre Mittel waren unerschöpflich. Inzwischen gehörten dem Milliardär Höhlen in Südfrankreich, Paläste in Indien, Tempel in Japan sowie Schiffe, die mitsamt ihren Schätzen in den Tiefen des Meeres versunken waren. Sein Hunger auf Relikte mit geheimnisvoller Vergangenheit war ebenso groß wie sein Bankkonto, und das wollte bei diesen Dimensionen schon etwas heißen.

      Hannah war fest entschlossen, sich von Johns Charme und seinem guten Aussehen nicht einwickeln zu lassen. »Es ist viel geschehen im letzten Jahr«, sagte sie. »Ich stecke bis über beide Ohren in Arbeit und werde deshalb nicht lange bleiben können. Nur eine schnelle Information, dann bin ich auch schon wieder weg.« Sie merkte, dass ihr Ton ein wenig zu schroff war, und fügte etwas milder hinzu: »Danke, dass du gekommen bist. Ich weiß das wirklich zu schätzen.«

      »Ich bin es, der zu danken hat«, sagte John, und Hannah meinte einen rosigen Schimmer über seine Wangen huschen zu sehen. »Du weißt gar nicht, wie sehr ich mich auf diesen Moment gefreut habe. Tausend Dinge wollte ich dir sagen, tausend Fragen stellen. Aber kaum stehst du vor mir, ist alles wie weggeblasen. Verrückt, oder? Ich hatte gehofft, dass wir vielleicht reden könnten …«

      »Tun wir das nicht gerade?« Hannah wusste genau, worauf er hinauswollte. Seit einem Jahr herrschte Funkstille zwischen ihnen. Er war damals von Washington aus in die Sahara gereist, um für Stromberg Ausgrabungen im nigerianischen Aïr-Gebirge zu leiten, sie hingegen war – nach einer kurzen Phase, in der sie feststellen musste, wie sehr sich die USA in den Jahren nach dem elften September verändert hatten – nach Deutschland zurückgekehrt. Sie folgte damit einer Einladung des Museums für Ur- und Frühgeschichte des Landes Sachsen-Anhalt, dessen Direktor Hannahs Verdienste um die außergewöhnlichen Saharafunde zu Ohren gekommen waren. Kaum in Halle angekommen, hatte er ihr ein Projekt angeboten, das sie unmöglich ausschlagen konnte. Ein Projekt, das so einzigartig war, dass die Forschung sich über dessen wahre Dimensionen immer noch nicht im Klaren war. Die Himmelsscheibe von Nebra. Der aufregendste Fund der letzten hundert Jahre für die europäische Frühgeschichte.

      Welcher Archäologe bekam keine glänzenden Augen, wenn die Sprache auf dieses annähernd viertausend Jahre alte Fundstück kam? Wer hätte bei einem solchen Angebot nicht gleich zugegriffen? Doch hätte sie jemals ahnen können, dass sich die Entschlüsselung dieses kleinen Blechtellers als dermaßen schwierig erweisen würde. Ein Dreivierteljahr zäher Forschung lag hinter ihr. Verbittert hatte sie irgendwann einsehen müssen, dass sie allein nicht weiterkam. Sie brauchte Hilfe. Und der Einzige, der über das nötige Fachwissen verfügte und verfügbar war, war John.

      Ausgerechnet!

      Sie musste daran denken, wie sie sich kennengelernt hatten, gar nicht weit von hier, in Algerien. Die Erinnerung tat weh.

      »Ich habe bis heute nicht verstanden, warum du damals so sang- und klanglos gepackt hast und abgereist bist«, sagte John, als habe er ihre Gedanken erraten. »Es gab nicht den geringsten Grund dafür.«

      Hannah verdrehte die Augen. Ihr hätte klar sein müssen, dass er nicht aufgeben würde. Nicht John. »Ich habe es dir doch erklärt«, sagte sie. »In E-Mails, in Briefen und am Telefon. Über Seiten hinweg habe ich dir meine Beweggründe zu erklären versucht. Wenn dir das immer noch nicht reicht, kann ich dir auch nicht helfen.« Sie spürte, wie das schlechte Gewissen sich in ihr meldete.

      »Nein, du hast recht«, sagte er, und seine Stimme bekam einen traurigen Tonfall. »Ich habe es wirklich nicht verstanden. Aber nur, weil du nie über Gefühle gesprochen hast. Du hast mir erklärt, dass wir zu verschieden seien, um eine dauerhafte Beziehung zu haben. Du sagtest, du würdest mein Verlangen spüren, nach Afrika zurückzukehren, und wärst der Meinung, ich würde nur dir zuliebe in Washington bleiben. Ein Almosen sozusagen, ein Opfer aus Mitgefühl. Und du hast gesagt, dass du unter diesem Druck keine Beziehung führen könntest. Das alles hast du mir mitgeteilt, ohne mir eine Chance zu einer Erwiderung zu geben. Du hast diese Dinge in mich hineininterpretiert, ohne mich jemals zu fragen, wie ich dazu stehe. Wahrscheinlich hast du

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