Nebra. Thomas Thiemeyer

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Nebra - Thomas Thiemeyer Hannah Peters

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dir nicht weh tun«, sagte Hannah. Sie hasste es, von John durchschaut zu werden. Er war einer der wenigen, die das konnten. »Ich kannte dich gut genug, um zu wissen, dass du liebend gerne Strombergs Angebot, die Ausgrabungen im Niger zu leiten, angenommen hättest. Du bist nur meinetwegen geblieben.«

      »Es war nicht fair, einfach so zu gehen, und das weißt du«, sagte John mit gepresster Stimme. »Du hast nie offen mit mir darüber gesprochen. Du hast für dich die Karten ausgelegt und danach gehandelt. Mich in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen, dieser Gedanke ist dir wohl nicht gekommen. Wenn du mich fragst, warst du zu lange in der Wüste.«

      Hannahs Augen funkelten. »Was soll denn das wieder heißen?«

      »Das heißt, dass du über Jahre hinweg darauf angewiesen warst, eigene Entscheidungen zu treffen. Und genau das hast du wieder getan. Vielleicht war dir das Leben mit mir zu eng, zu klein, zu bürgerlich – wer weiß? Was immer der Grund war, du hast entschieden, dass du so nicht leben möchtest, und danach gehandelt. Einsam und allein, wie du es immer getan hast. Aber du warst nicht allein, du warst mit mir zusammen. Ich habe dich geliebt, Hannah, und das tue ich immer noch. Was du getan hast, war einfach nicht fair.«

      Die Worte verhallten im Wind, der um die steinernen Pfeiler strich und kleine Staubwolken vor sich herwehte. Von irgendwoher erklang der klagende Schrei eines Falken.

      »Können wir jetzt bitte zur Sache kommen?« Sie hatte einen Kloß im Hals. Ihr war klar, dass er die alte Geschichte aufkochen würde – das war der Preis, den sie für seine Hilfe zahlen musste. Sie hatte nur nicht gewusst, dass es so weh tun würde.

      John zuckte die Schultern und sagte mit einem Seufzen: »Na schön. Du hast mir geschrieben, es ginge um Sterne und dass du meine Hilfe brauchst. Also, hier bin ich. Was genau willst du?«

      Hannah zog eine Abbildung der Sternenkarte aus ihrer Umhängetasche und reichte sie John. Das Foto hatte zwar ein paar Eselsohren abbekommen, aber das Motiv war immer noch beeindruckend schön.

      John stieß einen Pfiff aus. »Ich will verdammt sein. Darum geht es also. Willst du mir etwa erzählen, dass du gerade daran arbeitest?«

      »Ich bin die Projektleiterin«, sagte Hannah, nicht ohne Stolz.

      »Wow!« John warf ihr einen anerkennenden Blick zu. »Du mischst gleich ganz oben mit. Respekt. Und wie geht die Arbeit voran? Ich hoffe, es ist nicht zu einfach für dich.«

      »Du kennst mich doch. Einfach ist nicht mein Stil.«

      »Wohl wahr«, grinste John. »Die Himmelsscheibe ist frühe Bronzezeit, richtig?«

      Hannah nickte. »Eine Kultur, über die wir so gut wie nichts wissen, nicht mal ihren Namen.«

      »Und sie haben nichts Schriftliches hinterlassen.«

      »Der Kandidat hat hundert Punkte.« Hannah war froh, endlich das leidige Trennungsthema hinter sich zu lassen und mit ihrer Arbeit fortzufahren. »Wenn wir wenigstens Tontafeln oder etwas Ähnliches hätten. Aber bisher Fehlanzeige. Wenn in dieser Zeit überhaupt etwas geschrieben wurde, dann auf Material, das die Zeit nicht überdauert hat.«

      »Das Problem haben wir heute auch«, ergänzte John mit einem ironischen Lächeln. »Bücher, CDs, Zeitungen, nichts davon wird in tausend Jahren noch existieren. Wir werden eine Kultur sein, über die sich kommende Generationen gehörig den Kopf zerbrechen werden – wenn es dann überhaupt noch Menschen gibt.«

      »Alles, was wir über sie wissen, müssen wir uns anhand von Grabbeigaben wie Kelchen, Schwertern und Schmuckstücken zusammenreimen. Reichlich wenig, wenn man nicht weiß, wie man diese Objekte interpretieren soll. Stell dir mal vor, in tausend Jahren fände jemand ein Kruzifix. Das Abbild eines Menschen, den man an ein Kreuz genagelt hat. Wahrscheinlich würde man davon ausgehen, einen Verbrecher vor sich zu haben. Warum sonst würde man einen Menschen so leiden lassen? Wer käme schon auf die Idee, dass es sich dabei um Gottes Sohn handelt? Genauso ist es auch bei bronzezeitlichen Abbildungen. Wir können nur raten.«

      Seufzend blickte sie auf die Fotografie. Die etwa dreißig Zentimeter große Himmelsscheibe bestand aus grün oxidiertem Kupfer, und ihre Vorderseite stellte einen stilisierten Sternenhimmel aus Blattgold dar. Die Ränder waren punktiert und an manchen Stellen ausgefranst. Insgesamt ließen sich zweiunddreißig Sterne zählen, die ungeordnet über die gesamte Fläche verteilt waren. Hinzu kamen ein sichelförmiger Mond und eine großflächige Scheibe, bei der es sich möglicherweise um die Sonne handelte.

      Zwei deutlich abgesetzte Begrenzungsstreifen auf der rechten und linken Hälfte der Scheibe legten die Vermutung nahe, dass dieses Instrument seinerzeit zu Himmelsbeobachtungen benutzt wurde. Am richtigen Standort eingesetzt, markierten sie den Sonnenaufgang beziehungsweise -untergang während der Sonnenwende. Es konnte sich also durchaus um eine Art Kalender handeln, der es ermöglichte, die exakten Jahreszeiten und somit die günstigsten Termine für Aussaat und Ernte festzulegen. Er markierte den Wechsel der Jahreszeiten, der Monate, des Vergangenen und des Künftigen. Ein unermesslicher Schatz für ein Volk, das ohne Uhren und Kalender lebte. Dass es dabei nicht um eine primitive Art von Bauernkalender ging, ließ sich daran ermessen, dass jegliche Form von Kultivierung und Bepflanzung in der frühmenschlichen Mythologie eine tiefe religiöse Bedeutung hatte. Befruchtung, Wachstum, Tod. Der ewige Kreislauf des Lebens. Es war diese Verbindung zwischen Mensch und Kosmos, die in der Himmelsscheibe ihre bildliche Darstellung fand. Und somit stand sie, wie auch derjenige, der sie zu lesen vermochte, in direktem Kontakt mit den Göttern.

      »Was ist das?« John deutete auf ein längliches, gebogenes Symbol, das mit den Symbolen für Sonne und Mond ein gleichschenkliges Dreieck bildete. Das Blattgold wurde an dieser Stelle durch parallele Linien strukturiert.

      »Das ist einer der Gründe, warum ich hier bin.« Hannah strich sich eine Locke aus dem Gesicht. »Dieses Zeichen hat mich überhaupt auf die Ägypter gebracht. Siehst du, wie dieses gekrümmte Ding zwischen der Sonne und dem Mond hin- und herzufahren scheint?«

      John nahm ihr die Fotografie aus der Hand und betrachtete sie aufmerksam. »Könnte eine Sonnenbarke sein. Ein Schiff, das vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang über den Himmel kreuzt«, flüsterte er.

      »Genau mein Gedanke«, sagte Hannah. »Sieh mal: Die angedeutete Maserung auf der Seite. Sie unterstreicht den Eindruck von Holz in der Schiffsbeplankung.«

      Seine Augen wanderten über jeden Zentimeter der Abbildung. »Hol mich der Teufel«, murmelte er. »Du könntest tatsächlich recht haben. Die Sonnenbarke ist eines der wichtigsten Symbole in der altägyptischen Mythologie. Sollte es wirklich eine Verbindung zwischen den Ägyptern und den Schöpfern der Himmelsscheibe gegeben haben? Aber dazwischen liegen dreitausend Kilometer. Luftlinie, wohlgemerkt.«

      »Unvorstellbar, ich weiß.« Hannah lächelte. »Trotzdem. Es müssen irgendwelche Handelsbeziehungen bestanden haben. Eine Theorie, über die schon seit Jahren spekuliert wird. Mit dem Symbol der Sonnenbarke hätten wir den ersten wirklich schlagenden Beweis.«

      In Johns Augen begann es zu leuchten. »Deshalb der Tempel der Hatschepsut. Jetzt beginne ich zu verstehen.« Er packte Hannahs Hand und zog sie mit sich fort. »Das, wonach du suchst, ist gleich hier drüben«, sagte er. »Komm.«

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      3

      Ein sanfter Wind strich um die steinernen Pfeiler des alten Tempels. Die Sonne zauberte markante

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