Nebra. Thomas Thiemeyer

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Nebra - Thomas Thiemeyer Hannah Peters

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      »Sehr gut. Und die Fotografien?«

      John überprüfte den Sitz der Mikrokamera an seinem Kragenknopf. Der Auslöser war mit seiner Armbanduhr gekoppelt. »Ich habe getan, was Sie mir gesagt haben. Das Relief, die Fotografie und natürlich Hannah selbst. Alles drauf, vorausgesetzt, Ihre Technik hat funktioniert.«

      »Seien Sie unbesorgt.« Der Mann gab ein Lachen von sich, das wie ein Räuspern klang. »Die Geräte haben noch nie versagt.«

      Eine Pause entstand, und dann sagte John: »Wenn Sie mich fragen, ich glaube, Hannah ist da auf eine hochinteressante Sache gestoßen.«

      »Die Verteilung der Sterne?«

      »Allerdings«, sagte John. »Hannah hat recht. Ich glaube auch nicht, dass das Zufall ist. Wenn ich zurück bin, würde ich die Sache gern überprüfen.«

      »Tun Sie das. Nehmen Sie sich ein ganzes Team, wenn es nötig ist. Und wenn Sie recht haben, zögern Sie nicht, Frau Peters die Informationen zuzuspielen. Vermutlich genügt ein kleiner Hinweis, um die Sache ins Rollen zu bringen.«

      John nickte. »Ich hoffe nur, dass wir sie damit nicht in Gefahr bringen. Ehrlich gesagt, mir ist nicht ganz wohl dabei. Wenn es stimmt, was Sie mir an Informationen gegeben haben, ist an der Scheibe mehr dran, als wir ahnen.«

      »Lassen Sie das meine Sorge sein. Wenn ich recht habe – und ich irre mich selten –, dann könnte das einer der bedeutendsten Funde werden, an dem Sie und ich, und vor allem Frau Peters, jemals beteiligt waren. Und ich glaube, sie kann einen Erfolg in der jetzigen Situation gut brauchen.«

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      4

      Donnerstag, 17. April

      Die Frau schritt in Begleitung einer kräftig gebauten Beamtin durch den mit grünem PVC ausgelegten Gang der Landesvollzugsanstalt Halle an der Saale. Sie trug keine Handschellen oder vergleichbare Fesseln. Auch ihre Kleidung ließ nicht darauf schließen, dass sie bereits viele Jahre hinter Gittern verbracht hatte. In Trainingshose und Sweatshirt gekleidet, die Füße in abgewetzten Sportschuhen steckend, hätte man sie nie für eine Mörderin gehalten. Doch genau das war sie. Eine Killerin. Sie hatte jemanden umgebracht. Kalt, geplant und mit tiefer innerer Überzeugung.

      Ihr Stiefvater war ein Schwein gewesen. Ein Säufer und Choleriker, wie er im Buche stand, mit einem Hang, sich vorzugsweise an Wehrlosen zu vergreifen. In diesem Fall an einer Mutter und ihren beiden Töchtern. Cynthia war zum Zeitpunkt der Tat gerade vierundzwanzig geworden und somit dem vollen Strafmaß ausgesetzt gewesen. Fünfzehn Jahre, so hatte das Urteil gelautet. Es hätte genauso gut siebenhundert Jahre lauten können, ihr wäre es egal gewesen. Damals hätte sie den Schlüssel am liebsten für immer fortgeworfen, hätte sich am liebsten für immer hinter Beton, Glas und Stahl versteckt. Nie wieder wollte sie in die normale Welt zurückkehren, das hatte sie sich geschworen.

      Die Frau, die an diesem Donnerstagmorgen durch den Gang schritt, hatte mit der Cynthia von einst nichts mehr gemeinsam. Die ersten Jahre im geschlossenen, später im offenen Vollzug hatten aus ihr einen neuen Menschen gemacht. Nicht unbedingt einen besseren, nur einen anderen. Schritt für Schritt war sie wieder ins Leben zurückgekehrt, hatte Personen getroffen, die sie mochte und denen sie etwas bedeutete, hatte eine Ausbildung zur Pflegerin gemacht und seit kurzem damit begonnen, schwerstbehinderte Kinder zu betreuen – eine Aufgabe, die sie mit tiefer innerer Zufriedenheit erfüllte. Zwischen acht und achtzehn Uhr leitete sie eine Gruppe, die sie liebevoll »Downies« nannte, Kinder, die unter Trisomie-21 litten. Sie spielte mit ihnen, bastelte, machte Ausflüge, ging mit ihnen zum Essen, brachte sie auf die Toilette – kurzum, sie war wie eine Mutter zu ihnen. Dass man ihr eine solch verantwortungsvolle Stelle angeboten hatte, zeigte, für wie vertrauenswürdig man sie hielt. Die Tatsache, dass sie über Nacht wieder zurück in den Bau musste, änderte nichts daran. Cynthia hatte sich in all den Jahren nicht das Geringste zuschulden kommen lassen, galt als intelligent, aufmerksam und zurückhaltend. Dass sie nebenher ihren ersten Dan im Taekwondo abgelegt hatte, bereitete niemandem Kopfzerbrechen. Es unterstrich ihren Ehrgeiz, ins normale Leben zurückkehren zu wollen. Noch drei Jahre, dann hatte sie es geschafft, dann war sie wieder ein freier Mensch.

      »Cynthia Rode?« Der Wachhabende, der vor dem Besucherraum stand, war neu hier. Ein junger, gutaussehender Bursche von vielleicht fünfundzwanzig Jahren und, wie es schien, noch grün hinter den Ohren.

      »So ist es.«

      Der Mann nickte und zeichnete auf seinem Klemmbrett etwas ab. »Sie dürfen eintreten. Man erwartet Sie bereits.«

      Sie verabschiedete sich von der Beamtin, die sie begleitet hatte, und betrat den Besucherraum. Es war ein spartanisch eingerichtetes Zimmer, das jedoch geradezu anheimelnd wirkte, verglichen mit den Besucherzellen im geschlossenen Vollzug. Hier standen ein Tisch mit vier Stühlen, ein paar Bücherregale sowie eine modern wirkende Ledercouch, die das Zimmer von der rechten Seite aus dominierte. Ein Mann saß darauf. Knappe vierzig, hochgewachsen, das dunkle Haar ordentlich gescheitelt. Er trug eine teuer aussehende Brille mit dunklem Rand und musterte sie eingehend. Sein markantes Gesicht wurde von einer Narbe dominiert, die sich von seiner Oberlippe bis kurz unter das rechte Auge zog. Er erhob sich, als die Frau das Zimmer betrat.

      »Cyn.« Er ging auf sie zu, die Hand zum Gruß ausgestreckt. »Es tut mir leid, dass ich einfach so hier hereinplatze, aber ich muss für ein paar Tage verreisen und wollte dir vorher die frohe Botschaft unbedingt persönlich mitteilen.«

      Die Hand ignorierend, schlang die Frau ihre Arme um ihn und drückte sich an ihn. Der Mann, irritiert über so viel stürmische Wiedersehensfreude, zögerte kurz, erwiderte dann aber die Umarmung.

      Als er Tränen an seinem Hals spürte, löste er sich wieder von ihr. »Was ist denn los?«, fragte er. »Warum so emotional heute?«

      Sie wischte sich über die Augen. »Ach nichts. Irgendetwas liegt in der Luft. Ist vielleicht der Mond. Ich heule heute wegen jeder Kleinigkeit. Und dich wiederzusehen … es ist so unerwartet.«

      »Ja, ich weiß, ich hätte mich viel früher blicken lassen sollen, aber der Job frisst mich momentan auf. Das vergangene Jahr war die Hölle. Ein Termin jagte den anderen. Ständig musste ich zwischen den USA und Deutschland hin- und herreisen. Aber was erzähle ich? Bitte entschuldige, du bist hier drin und ich draußen. Jammern auf hohem Niveau nennt man das, glaube ich. Das war wirklich blöd von mir.« Er bemühte sich um ein aufmunterndes Lächeln.

      Cynthia kramte in ihrer Trainingshose und förderte ein benutztes Taschentuch zutage. Nachdem sie sich ausgiebig die Nase geputzt hatte, sagte sie: »Sie behandeln mich gut hier, wirklich. Essen ist okay, ich habe eine Arbeit, und an den Resozialisierungsseminaren nehme ich mittlerweile mit viel Humor teil. Also alles im grünen Bereich.«

      Der Mann setzte sich wieder und klopfte neben sich auf das Polster. »Die Arbeit mit den Kindern gefällt dir, oder?«

      »Oh ja. Es gibt nichts, was ich lieber täte.« Cynthia wischte sich die letzte Träne aus dem Augenwinkel und setzte sich neben ihn. »Es ist wirklich ein ganz besonderer Job. Sie sind so … so ehrlich, verstehst du? Ich habe noch nie so aufrichtige und herzliche Menschen kennengelernt. Keine Falschheit, keine Lügen, keine niederen Absichten. Nur offene Gesichter. Wenn sie Angst haben, suchen sie Schutz, und wenn sie jemanden nicht mögen, dann sagen und zeigen sie das sofort. Klar muss man aufpassen, manchmal gibt es Streit, und wenn sie in die Pubertät kommen, kann es schon mal schwieriger werden. Manche von ihnen haben dann nur

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