Nebra. Thomas Thiemeyer

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Nebra - Thomas Thiemeyer Hannah Peters

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heraus, schloss das Handschuhfach und riss die Verpackung auf. Der erste Bissen schmeckte wunderbar. Mit geschlossenen Augen wartete sie eine Weile, bis die Schokolade ihre Wirkung zu entfalten begann. Lautstarkes Gezanke weckte sie aus ihrem Tagtraum. Vor ihr stritten sich zwei Autofahrer um einen Parkplatz. Hannah startete den Motor, schaltete den Scheibenwischer an und fuhr los.

      Die Büros des Landesmuseums für Vorgeschichte lagen im Innenstadtbereich, etwa zwei Kilometer vom eigentlichen Hauptgebäude entfernt. Gemessen an Afrika oder den USA, waren die Entfernungen hier in Deutschland geradezu lachhaft. Alles wirkte so klein, so gedrängt, fast wie in einem Land, das von lauter Wichteln bevölkert wurde. Hannah hatte einige Zeit gebraucht, um sich an die Enge zu gewöhnen. Immer wieder gab es Momente, in denen sie von der Endlosigkeit der afrikanischen Wüste träumte, von den Felsen, den Oasen und der Weite des Himmels.

      Sie schaltete den Blinker ein und bog in Richtung Marktplatz ab. Ihr war klar, dass John sich nicht abhalten lassen würde, weiter um sie zu kämpfen. Er war einer der stursten Menschen, denen sie je begegnet war. Er würde auch diesmal keine Ruhe geben. Das spürte sie, als sie ins Parkhaus fuhr und ihren Wagen in einer der für Mitarbeiter reservierten Haltebuchten abstellte. Sie spürte es, als sie, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppen in den ersten Stock hinaufstürmte und die Tür mittels Magnetkarte öffnete, und sie spürte es immer noch, als sie in ihrem Büro ankam, ihre Unterlagen auf den Tisch fallen ließ und den Computer hochfuhr. Tatsächlich: Kaum hatte sie ihre E-Mails geöffnet und einen ersten Wust an Spam-Mails gelöscht, entdeckte sie seine Nachricht.

      »Hallo, Hannah,

      hoffentlich bist du wohlbehalten zu Hause angekommen. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr es mich gefreut hat, dich endlich einmal wiederzusehen, und ich möchte mich noch mal herzlich für deinen Besuch bedanken. Fast kam es mir vor, als hätten wir tatsächlich für einen Augenblick die Zeit zurückgedreht – als wäre zwischen uns alles wieder wie früher …«

      Sie schüttelte den Kopf und überflog den Rest des Textes, der mehr oder weniger in demselben Stil geschrieben war. Sie war geradezu erleichtert, als er am Ende der Mail doch noch auf die Himmelsscheibe zu sprechen kam.

      »Ich habe noch eine Weile über das scheinbar zufällige Sternenmuster nachgedacht und bin auf eine Idee gekommen«, schrieb er. »Bitte schick mir doch eine hochauflösende Bilddatei von der Scheibe, damit ich meine Theorie überprüfen kann.

      Alles Liebe, John.«

      Seufzend klickte Hannah auf die Antworttaste und fügte ein Bild aus ihrer Datenbank hinzu. Mit einem kurzen Kommentar schickte sie die Mail an den Absender zurück. Sollte er wirklich auf etwas gestoßen sein? Unwahrscheinlich. Vermutlich suchte er nur nach einem Vorwand, um sie wieder kontaktieren zu können. Andererseits … John war immer für eine Überraschung gut.

      Die restlichen Mails waren eher uninteressant. Sie schloss das Programm und wendete sich dem beeindruckend hohen Poststapel zu. Briefe aus aller Welt, Ausstellungsanfragen, Anfragen über Abdruckrechte, spezielle Informationen über die Himmelsscheibe, sogar die Anfrage eines Romanautors bezüglich Recherchearbeiten befanden sich darunter. Es schien, als gäbe es in der Welt der Archäologie kein anderes Thema mehr als diese Scheibe. Was war mit all den anderen interessanten Funden, die es in diesem Museum zu bewundern galt? Dem Menhir von Langeneichstädt, dem Reiterstein von Hornhausen, dem Grab von Unseburg und den Münzen aus Dorndorf. War das etwa nichts? Und warum landeten die ganzen Anfragen immer auf ihrem Tisch? Sie bündelte die Post, sortierte sie und teilte sie in kleine Stapel, die sie geordnet nach Themen in den nächsten Tagen abarbeiten würde. Dabei fiel ihr ein Brief in die Hände, auf dem kein Absender vermerkt war. Fast war sie geneigt, ihn auf den Abfallstapel zu legen, als ihr Auge über das Adressfeld glitt. Die Anschrift mit ihrem Namen war minutiös mit Füllfederhalter geschrieben worden. Keine weibliche Schrift, dafür war sie zu kantig. Die Buchstaben lehnten ausgewogen nebeneinander, Ober- und Unterkante exakt einhaltend. Eine Schrift mit Charakter und Ausdrucksstärke.

      Neugierig öffnete Hannah den gefütterten Umschlag und entnahm ihm ein einzelnes Blatt Büttenpapier mit Prägedruck. Wieder kein Absender. Nur ein einziger Satz, geschrieben in derselben markanten Handschrift.

      »Sehr geehrte Frau Dr.Peters, haben Sie sich einmal die Frage gestellt, ob es vielleicht mehr als nur eine Scheibe gegeben hat? Hochachtungsvoll, ein Freund.«

      Hannah runzelte die Stirn. Ein Freund? Warum stand da kein Name drunter? Sie drehte das Blatt um und schaute noch einmal in den Umschlag, doch da war nichts. Nur dieser eine Satz.

      Die Scheibe, damit konnte nur die Himmelsscheibe gemeint sein. 1999, das war das Jahr gewesen, in dem zwei Raubgräber nur etwa achtzig Kilometer entfernt, auf dem Mittelberg nahe der Ortschaft Wangen bei Nebra, auf etwas gestoßen waren. Ein Depot, in dem sich neben der Scheibe zwei Schwerter, ein Beil, Meißel und Armspiralen befunden hatten. Kein menschliches Grab, wohlgemerkt, sondern ein Ort, an dem besagte Gegenstände versteckt worden waren. Die Scheibe hielten die Raubgräber ursprünglich für einen Eimerdeckel und beschädigten sie durch ihre unsachgemäße Bergungsaktion schwer. Erst später wurden sie sich des Wertes bewusst. Drei Jahre lang versuchten die Hintermänner, das wertvolle Kunstobjekt auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Der Preis stieg dabei auf immer höhere Summen. Erst durch den beherzten Einsatz eines Archäologen konnte die Scheibe bei einer fingierten Übergabeaktion mit Hilfe der Schweizer Polizei sichergestellt werden.

      Nach heutigem Kenntnisstand musste man davon ausgehen, dass die Himmelsscheibe als tragbares Observatorium zur genauen Bestimmung der Sonnenwenden verwendet wurde. Mangelnde Zweitfunde ließen aber den Verdacht entstehen, dass es sich um ein Einzelstück handelte. Man vermutete, dass die Scheibe genau dort zum Einsatz gekommen war, wo man sie auch gefunden hatte, am Mittelberg.

      Spekulierte der Schreiber dieser Zeilen etwa mit dem Gedanken, dass es an anderen Orten noch andere Scheiben gab? Versteckt, in Depots, so wie diese hier? Aber wo? Und warum gab er sich nicht zu erkennen? Fragen über Fragen.

      Hannah entschied, dass es sich um einen Scherz handeln musste. Vielleicht sogar von ihrem Chef selbst, um ihr auf die Sprünge zu helfen. Obwohl das eigentlich gar nicht zu seinem Charakter passte. Dr.Feldmann war ein gebranntes Kind. Lange Zeit hatte man ihm vorgeworfen, mit der Scheibe eine Fälschung in seinem Museum zu beherbergen oder diese vielleicht sogar persönlich in Auftrag gegeben zu haben. Zu unglaublich erschien vielen Kollegen der Fund. So hatte zum Beispiel ein Bronzezeitspezialist der Universität Regensburg behauptet, die Scheibe sei ein Produkt zweifelhaftester Herkunft – verziert mit Sternen wie Schrotschüsse und einem Sonnenschiff, das wie ein Pantoffeltierchen aussehe. Er hatte ferner behauptet, die Scheibe sei das Werk neuzeitlicher Fälscher, die das Objekt innerhalb von drei Wochen aus mehr als hundert Jahre altem Metall mit Hilfe von Säure, Zangen und Fräsen auf alt getrimmt hätten. Eine Behauptung, der schwer beizukommen war. Das Alter eines archäologischen Fundes galt erst dann als hundertprozentig gesichert, wenn sich an ihm organische Reste befanden, die sich mittels C-14-Radiokarbonmethode datieren ließen. Die Scheibe hingegen bestand durchweg aus Metall. Zudem ließ sie sich nicht in eine Reihe gleichartiger Werke einordnen. Erst ausgiebige Analysen am Oxidationsgrad der Bronze sowie die zeitliche Zuordnung der Beifunde hatten zu Klarheit geführt und die meisten Zweifler verstummen lassen. Heute gab es kaum noch jemanden, der die Scheibe nicht für echt hielt. Irgendetwas riet Hannah, den Brief noch eine Weile aufzubewahren. Sie konnte es selbst nicht recht erklären, aber sie spürte, dass vielleicht doch mehr an der Sache dran war, als sie zunächst dachte.

      Sie legte ihn in ihr Fach mit den privaten Mitteilungen. Dann stand sie auf und beschloss, ihrem Chef einen Besuch abzustatten.

      Es war Zeit, den Stier bei den Hörnern zu packen.

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