Das Buch vom Bambus. Vladislav Bajac

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Das Buch vom Bambus - Vladislav Bajac editionBalkan

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sah ihn mit weit geöffneten Augen an.

      »Auch ich habe im Nachbarland gelebt. Als mein Vater starb, kam ich hierher. Nichts davon ist interessant und deshalb möchte ich auch nicht darüber sprechen. Übrigens, warum auch, wenn du mich bald fortschickst? Mein Herr, besser ist, wenn wir uns nicht kennen.«

      »Chio, als erstes wirst du mich von nun an nicht Herr nennen, und zweitens, von Entlassung habe ich zu deinem Wohl gesprochen. Welches Recht hätte ich, dich bei mir zu behalten, damit du unentgeltlich für mich arbeitest? Noch ist Zeit. Wenn ich eine neue Tätigkeit aufnehme, werde ich vermutlich Geld haben und wir werden darüber gar nicht sprechen müssen.«

      »Aber du verstehst nicht! Ich will hier bleiben, auch wenn du kein Geld hast, mich zu bezahlen. Ich würde nämlich unentgeltlich arbeiten.«

      »Wie das nun? Kung hat mir gesagt, dass du so häufig die Haushalte gewechselt hast, obwohl dir niemand etwas angetan hat, und jetzt würdest du auch ohne Bezahlung hier bleiben?«

      »Nun, sagen wir mal, ich habe die Freiheit der Wahl. Immer hat der Wille in meinem Leben bestimmt, was ich mache. So auch jetzt. Freilich, stärker als mein Wille kann dein Wunsch sein, mich loszuwerden. In dem Fall kann ich mich nicht widersetzen.«

      »Du weißt, dass das nicht der Grund für dein Fortgehen sein könnte.«

      »Na gut. Dann bleibe ich. Wenn du entschieden hast, was du tun willst, hoffe ich, dass du auch mich davon in Kenntnis setzt. Vielleicht werde ich dir auch dabei helfen können.«

      Sung kehrte ins Haus zurück, verdutzt von dem, was er von dem Mädchen gehört hatte. War es möglich, dass Chio ihm gefiel und dass er sie überhaupt nicht verstand? Immer mehr kam es ihm so vor, als trüge auch sie irgendein Geheimnis in sich. Er hätte es gern, dass dieses Geheimnis sie selbst ist, und nicht etwas außerhalb von ihr.

      XII

      Das, was Meno über sich nicht wusste, erwies sich als verhängnisvoll für ihn. Sein ganzes Leben hatte er als Diener verbracht und er wusste nicht, dass kein Reichtum dieser Welt die Seligkeit selbständiger Entscheidungen wettmachen kann. Die Täuschung, deren Opfer er geworden war, ohne dies erkannt zu haben, machte ihn erneut zu einem Diener – weniger zu einem Diener neuer Herren, als vielmehr zu einem Diener neuer Ereignisse. Ereignisse, die er abermals nicht beeinflussen konnte. Er nahm an, dass wenigstens der Schatz, den er sich gesichert hatte, ihm die Stärke zu entscheiden bieten würde, und damit auch die höchste Stärke – Macht.

      Die Ereignisse im Land entwickelten sich in einem schwindelerregenden Tempo. Nach einjähriger erfolgloser Brautwerbung war Osson der Jüngere, nunmehr ohne Unterstützung des Vaters, gezwungen, die Hauptstadt mit der Waffe vor den erneut unzufriedenen Daimyōs zu verteidigen. Unterhalb der Stadtmauern befanden sich die Armeen aller Provinzen. Osson begriff, leider zu spät, dass seine Abwesenheit aus dem Palast auch jemand, der ihm nahe stand, gut genutzt hatte, denn selbst die Einheiten, die ihm bis vor kurzer Zeit besonders treu ergeben waren, begannen sich von ihm abzuwenden. Der Aufstand innerhalb der Mauern war sehr heimtückisch geplant; gegen Osson erhoben sich nicht die Heerführer, wie das ansonsten üblich war, sondern auch die Soldaten. Das hieß, dass jemand, der sehr raffiniert war, um sie geworben hatte, jemand, der ein guter Kenner von Motiven einfacher Soldaten war.

      Nur von den Gardeeinheiten umgeben, die aus den besten Samurai bestanden, und von seinen Offizieren, gab Osson einen letzten Befehl. Alle hatten ohne Widerrede durch geheime unterirdische Gänge den Palast zu verlassen. Nachdem er seinen Heerführern versprochen hatte, dass auch er ihnen unmittelbar folgen werde, entband er die Samurai von ihrem Eid des Dienens bis in den Tod. Sehr bald blieb er allein in der Halle zurück.

      Ossons Gemächer standen in Flammen. Meno, der herbeigeeilt war, um ihn vom Einfall der aufrührerischen Truppen in die Festungsanlagen zu unterrichten, konnte lediglich die Silhouette seines Herrn ausmachen, der auf der anderen Seite der Feuerbarriere gegen die brennenden Balken kämpfte. Den Schrei, den er dann vernahm, konnte er nicht zweifelsfrei seinem Herrn zuordnen, denn er vermochte ihn nicht von zahlreichen weiteren zu unterscheiden, die durch den Palast drangen. Er rannte ins Freie, sah gerade noch, wie die Privatgemächer ein Opfer der Flammen wurden. Neben ihm stand der Daimyō Bonzon, einer der ältesten noch lebenden Herrscher aus der Ära von Osson dem Älteren, der von Osson dem Jüngeren im vorangegangenen Gemetzel nicht liquidiert worden war. Bonzon war jetzt einer der Anführer der Aufständischen. Sein Heer wurde vom Samurai Ishi geführt, dem einstigen Militäraufseher der Bambushaine.

      Der Aufstand war gut organisiert. Noch am selben Tag setzten die Statthalter und Familienmitglieder der in Ossons Gemetzel ermordeten Daimyōs dessen Heerführer in ihren Provinzen ab und rückten an der Spitze der Heere bis zu den Mauern der Residenzstadt vor. Meno fragte sich, wie es sein konnte, dass Aufstände schneller Erfolg hatten als friedliches Regieren. Weil sie kürzer dauern oder weil sie ein Ausdruck angestauter Energie sind? Wie konnte es sein, dass in einem Aufstand die Interessenunterschiede und überhaupt alle Unterschiede aufgehoben werden? Ist es nicht das Böse, das einend wirkt, selbst wenn es nur für kurze Zeit ist? Er wusste, dass kluge und sehr durchtriebene, üble Herrscher auch die Vereinigung mit anderen nutzen, um ihre Ziele zu erreichen, sich jedoch schnell wieder auf ihr einsames Böses zurückziehen. Fühlt der Mensch sich größer, wenn er Böses allein anrichtet, ohne jegliche Hilfe? Meno war dabei, vermittels der eigenen Taten auf diese Fragen eine Antwort zu finden.

      Am Tag darauf, als der Siegestaumel abgeklungen war, wählte der Rat der Shogune den Daimyō Bonzon zum neuen Shogun. Kommandeur seiner Garde wurde der Samurai Ishi, zum persönlichen Berater wurde Meno ernannt.

      In seiner Seele noch immer ein Diener, war sich Meno seines schnellen Aufstiegs wohl bewusst, allerdings war er nicht über alle Maßen beglückt über die erlangte Position. Ihn interessierten weitaus praktischere Dinge als Titel: Nunmehr eröffnete sich ihm ein neuer Kanal für den ständigen Handel mit assamesischem Bambus, der Käufern als Horn von Nashörnern angeboten wird. Obwohl sich das Geschehen so entwickelte, wie es ihm genehm war, sorgten ihn viele Fragen, von denen er selbst nicht wusste, warum sie sich ihm aufdrängten. Doch er wehrte sie mit einer sehr rationalen Erklärung ab: Noch hatte er sich nicht genügend Zeit nehmen können, die er gebraucht hätte, um sich redlich in der neu entstandenen Situation zurechtzufinden.

      XIII

      Das tägliche Verrichten der rituellen Handlungen, angefangen vom morgendlichen Schlagen auf die Holzplatte, das Zeichen zum Aufstehen, bis hin zum abendlichen Niederlegen auf den harten Boden des gemeinsamen Schlafraums, hatte meine Bewegungen auf die wesentlichen beschränkt. Ihre Wiederholung schuf in mir ein mechanisches und zugleich enges Verhältnis zu den Dingen, die ich im Blickfeld hatte oder in den Händen hielt. Ich hatte den Eindruck, dass ich auch mitten in der Nacht, falls ich aufwachte, wüsste, was war und mit welchem Gegenstand sich welche Gefühle verbanden. Jede Sache barg neben ihrem Gebrauchswert nämlich auch ein gewisses Maß an Gedanken, das sich im Kontakt mit ihr zeigte. Jede Zeremonie für sich hatte zum Zweck, den Geist auf eine bestimmte Denkweise auszurichten. Hatte man sich an diese gewöhnt, konnte man einfach an nichts anderes mehr denken als an eine bestimmte Art von Dingen. Niemand schrieb vor, worüber man zu welcher Tageszeit und bei welcher Arbeit nachzudenken hatte, aber um sich leichter konzentrieren zu können, fand jeder für sich heraus, welche Gedanken ihn am einfachsten und schnellsten in den gewünschten Zustand versetzten.

      Selbst unsere Mahlzeiten waren immer gleich, um auch in unserem Organismus Disziplin walten zu lassen. Zum Frühstück hatten wir drei Schüsseln vor uns: In der ersten war Reisbrei, in der zweiten Takuan, sauer eingelegter Rettich, und in der dritten Wasser, mit dem wir unsere Hände und die benutzten Schüsseln wuschen. Das Mittagessen bestand hauptsächlich aus mit Reis vermengtem Weizen, Gemüsesuppe und Takuan. Zum Abendessen gab es außerdem noch gekochtes Gemüse. Was die Mahlzeiten, von außen sichtbar, begleitete,

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