Das Buch vom Bambus. Vladislav Bajac

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Das Buch vom Bambus - Vladislav Bajac editionBalkan

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Kelle, mit dem Waschen des Gesichts und der Morgenrezitation von Sutras. Wer wollte, konnte danach ein Zwiegespräch mit dem Meister führen. Alle anderen übten in der Zwischenzeit bis zum Frühstück Zazen. Anschließend war es wieder Zeit für Zazen sowie für die tägliche Reinigung der Räume, der Kleidung und der Sachen. An festgelegten Tagen hielt der Rōshi stattdessen ab sieben Uhr Vorträge für alle Schüler. Diese Unterrichtsstunden gab es nur einige Monate im Jahr. An den Tagen, die für den Almosengang vorgesehen waren (jeder dritte Tag ab dem zweiten Tag eines Monats), ging man vom Kloster in die umliegenden Dörfer. Mittagessen gab es an den Unterrichtstagen um zehn, wenn man Almosen sammeln ging, um elf Uhr. Nach dem Mittagessen konnten die Priester Zazen üben. Um ein Uhr nachmittags begann die körperliche Arbeit. Vor dem Abendessen um halb vier oder vier wurden die Abend-Sutras rezitiert. Nach Einbruch der Dämmerung war es wieder Zeit für Zazen. Danach stand der Rōshi all jenen zur Verfügung, die ihn in seinem Zimmer aufsuchen wollten. Offizielles Tagesende war im Winter um acht und im Sommer um neun Uhr. Die Nacht war zum Schlafen vorgesehen, der Schüler konnte jedoch auch jetzt Zazen üben, dann allerdings außerhalb der Räume auf der Veranda.

      Von all dem konnte ich aber nur wenig gemeinsam mit den anderen, erfahreneren Schülern tun. Ich stattete dem Rōshi keine Besuche ab, sammelte keine Almosen und übte Zazen mehr schlecht als recht. Der Rōshi hielt noch immer keine Vorträge, sodass ich nicht einmal wusste, wie diese abliefen. Die gesamte Zeit, die für die Verrichtung dieser Übungen vorgesehen war, füllte ich mit Arbeit in Küche und Garten, Putzen der Räume aus, kurzum: mit Aushilfstätigkeiten, die im Grunde nichts mit dem zu tun hatten, was ich mir vorgenommen hatte. Jedenfalls dachte ich das. Den anderen gleichgestellt war ich an jenen Tagen im Monat mit den Ziffern vier und neun, an denen wir badeten und uns den Kopf rasierten.

      Besonders schwere Übungen hatten die Schüler sommers wie winters während des Ango vom ersten bis siebten, elften bis siebzehnten und einundzwanzigsten bis siebenundzwanzigsten Tag eines Monats auszuführen. Ähnliche, aber noch schwierigere Übungen gab es vom ersten bis zum Morgen des achten Dezember, wenn die Erleuchtung des Shākyamuni begangen wurde. Diese Tage waren ausschließlich mit dem Üben von Zazen und Gesprächen mit dem Rōshi ausgefüllt, was sich über Tag und Nacht hinzog. Schon die Bezeichnung der Übungen, Rohatsu Dai Sesshin, deutete auf die intensive Anspannung des Geistes hin.

      Auch nach einigen Monaten Aufenthalt in Dabuji waren diese Übungen für mich noch immer nicht fassbar. Ich erfüllte meine Pflichten, aber es gab keine Freude in meinem Herzen. Getrennt von den anderen, litt ich und versank langsam in Lustlosigkeit. Der einzige Lichtblick in der Monotonie der Tage war Daishi Tetsujiro, dessen zerbrechliche Erscheinung sich oft in meiner Nähe befand, so als würde er zuweilen die Arbeiten mit mir zusammen oder an meiner Stelle verrichten. Seine Aufgabe war es zu kontrollieren, wie jeder seine Pflichten erfüllte, er schien aber nicht nur deshalb in meiner Nähe zu sein. Ich war nicht imstande, die versteckten Gründe dafür zu finden, wenn es sie denn überhaupt gab.

      Anfangs kamen mir das Gelübde des fast völligen Schweigens zwischen den Schülern und der sehr dichte Tagesablauf, der häufigere Gespräche unter uns unmöglich machte, sehr entgegen. Alles war neu und unbekannt, erst recht, da ich so verwirrt war und mit mir selbst nicht zurecht kam, sodass ich in meiner persönlichen Unruhe, die noch keinen Bezug zum Wesen des Ortes hatte, an dem ich mich aufhielt, die Ursache für den allzu häufigen Wechsel von Unbehagen und Zufriedenheit mit meiner Situation ausmachte. Die wenigen freien Momente verbrachte ich allein auf den Pfaden des Klostergartens, dessen Pflanzenwelt Vertrauen einflößte und die Seele beruhigte. Doch je mehr Zeit verging, in der ich auch weiterhin von geringem Nutzen für mich selbst war, fand ich immer weniger Trost in diesen Spaziergängen. Der Garten war wundervoll hergerichtet, doch allein der Gedanke daran, dass es mir nicht erlaubt war, ihn selbstständig zu pflegen, machte meine letzten Hoffnungen zunichte. Ironischerweise dachte ich, dass jeder, der mich meine Pfade eintreten sah, denken müsse, ich hätte Höhen vollkommener Ruhe und Harmonie erklommen. Doch ich wandelte aus reiner Gewohnheit umher, aus einer mit der Zeit gefestigten Abhängigkeit heraus.

      »Wie ich sehe, verspürst du den starken Wunsch, Kinhin zu üben, aber du hast zu früh damit begonnen!«

      Die Stimme war tief und mir unbekannt. Ich drehte mich um und erstarrte. An der Kleidung, die er trug, erkannte ich den Meister. Ich war außerstande, irgendetwas zu sagen, er dafür aber sehr wohl. Ich hatte es noch nicht einmal geschafft, ihn mir genau anzusehen, als er schon weiterredete.

      »Zazen im Gehen üben erfahrene Schüler. Aber wenn du es nun schon mal probierst, dann mach es richtig. Du verbindest zwei Arten von Kinhin, man muss sich aber an eine halten. Du gehst leise wie ein Sōtō-Mönch, aber schnell, wie es dich unsere Rinzai-Schule lehren würde. Wenn du auf diese Art und Weise erreichst, was du willst, soll es mir gleich sein. Ich würde dich sogar fliegen lassen. Wenn du entschieden hast, was besser ist, komm zu mir. Am besten morgen früh.«

      Mit diesen Worten drehte er sich um und ging schnellen Schrittes davon. Mir entwich nur noch ein Seufzer: »Der Rōshi!«

      VIII

      Bei Senzakis Mord an dem Gefängniswärter war jemand zugegen. Als Wache verkleidet, hatte er auf das Vorgehen Senzakis gewartet. Niemand vermochte die unverhoffte Freilassung des Samurai Ishi, Aufseher in den Bambushainen des Daimyō Bonzon, mit Menos Zeugenschaft in diesem Mord zu verbinden. Meno würde für eine derartige Information mehr als ein einfaches klägliches Leben geben.

      Ishimatsus Gefolge begleitete er bis zum Schiff und wartete auf deren Rückkehr an dieselbe Stelle, von der aus er sie verabschiedet hatte, aber diesmal umgeben von einhundert Soldaten. Sobald das Schiff geankert hatte, betraten sie es. Nach Besichtigung der Ladung befahl Meno, lediglich die Köpfe der Diebe für den Shogun aufzubewahren. Nach Senzaki fragte Meno Ishimatsu gar nicht erst. Da er nicht mehr unter ihnen war, wusste er, was der Kommandant getan hatte. Er rief ihm lediglich zu: »Jetzt wirst du ihm Gesellschaft leisten!« Das waren die letzten Worte, die Ishimatsu vernahm. Danach entließ Meno das Gefolge, beließ es bei nur wenigen ihm persönlich zugetanen Männern, mit denen er das Schiff in eine ihnen bekannte Richtung manövrierte.

      Meno erstattete vor dem Shogun und den Heerführern Bericht über seine geheime Mission. Zur Ansicht hatte er die Überreste der Verräter mitgebracht, zuzüglich der Information über die Ermordung Senzakis durch den Gefängniskommandanten. Über die Ladung wurde kein einziges Wort verloren. Er tat kund, dass das Schiff gesunken sei.

      »Du hast deine Aufgabe gut erledigt. Morgen wirst du verkünden, dass der Peiniger des Shoguns hingerichtet worden ist. Du wirst belohnt werden.«

      Meno hatte sich selbst schon mehr als üppig mit der reichen Fracht belohnt. Auf eine solche Gelegenheit hatte er so viele Jahre gewartet; er war sich sicher, dass sich ihm irgendwann eine Chance bieten würde. Sein ganzes Leben hatte er im Schatten von Osson dem Älteren verbracht, hatte blinden Gehorsam geübt, den er aus lauter Gewohnheit nie in Frage stellte. Die einzige Art und Weise, sein Leben völlig einem anderen zu schenken, besteht in einem kleinen, doch tief verborgenen Geheimnis, das vielleicht unwesentlich erscheint, das sich aber niemandem und niemals erschließt. Es ist der Strohhalm für das ganze Bangen, für die Erniedrigungen, für den Schmerz, die Entbehrungen und die Ungerechtigkeit, die man durchmacht. Es ist auch der Retter und der Geliebte in der Einsamkeit, im Traum, dann, wenn man in den Abgrund scheinbaren Stillstands sinkt, wenn man die Verbindung zu sich selbst und erst recht zu anderen verliert. Man küsst es wie niemanden sonst, denn es gehört zu unserer, einzig zu unserer Körperlichkeit. Es ist nicht nur in der Seele; wenn das so wäre, verflöge es unter der Großhirnrinde wie die abendliche Schale Sake. Es ist die Königin, die exakt für so viele Jahre eingesetzt wird, wie uns noch bleiben.

      Meno litt, denn er wusste, dass er niemals, auch wenn er selbst auf die Suche ginge, einen besseren Lehrmeister für das Hüten eines Geheimnisses, seine Verwirklichung, für Rücksichtslosigkeit und Erfolg fände als den Herrscher Osson. Sobald er spürte, was sein Gebieter vorhatte,

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