Das Buch vom Bambus. Vladislav Bajac
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Nachdem ich, von den unermüdlichen Wächtern noch unbeobachtet, das Bambusspalier zur Veranda des Zendō durchschritten hatte, erblickte ich vor dem Haupteingang zur Zazen-Halle die Statue des königlichen Hüters des Tempels, in der Pose von erwarteter Gefahr, mit furchteinflößendem halb geöffneten Mund und auf den Eindringling gerichteten Augen. Das Fenster des Zendō gleich neben ihm hatte einen hölzernen Rahmen in Form einer Flammenspitze. Sollte all das unerwünschte Besucher abschrecken und die Unsicheren davon abhalten, hier länger zu verweilen?
Auf der Veranda nahe der Stelle, an der ich mein Gepäck abgesetzt hatte, hinter einer großen Glocke, die zusammen mit einem hölzernen Schlägel an einem Gestell hing, stand eine Leinwand mit großen, wohlgeschwungenen, aber mir unbekannten kalligraphischen Zeichen. In diesem Moment war mir durch den Kopf gegangen, dass mir eigentlich alles Unbekannte Angst einjagt. Ich hatte recht. Unwissenheit gebiert Angst.
Diese Erkenntnis half mir, mein unbeholfenes Zazen ruhiger und zuversichtlicher fortzusetzen. Ich hörte auf mich zu fragen, was ich hier eigentlich mache, was ich will und dergleichen mehr.
Gegen Ende des vierten Tages ließ man mich wissen, dass ich mich den anderen Unsui des Klosters Dabu-ji anschließen könne.
Weisungsgemäß fand ich mich wieder unterhalb der Veranda ein. Einer der Schüler brachte mir einen Kübel Wasser. Ich zog meine Strohsandalen und die Tabi aus. Ich musste mir gründlich die Füße waschen, um nicht versehentlich die Tatamis in einem der Räume schmutzig zu machen. Als ich mir die Füße begoss, erhielt ich einen kräftigen Schlag auf den Rücken. Über mir stand einer der Aufseher mit einem Stock in der Hand.
»Vergeude keinen Tropfen Wasser!«
Schweigend band ich Strümpfe und Sandalen aneinander und schlüpfte in die Holzsandalen, die ich bekommen hatte, um sie außerhalb der Räume zu tragen. Ich richtete mich auf und sah mich um. Alles um mich herum strahlte Ruhe aus. Ich fragte mich, ob ich sie auch in mir finden würde.
VI
Senzaki war seit seinem Todesurteil von der Arbeit im Steinbruch befreit. Man war um seine Behaglichkeit bemüht. Zur Verschärfung der Strafe wurde er aus einer Gemeinschafts- in eine Einzelzelle verlegt. Obwohl das schwer für ihn war, nahm er an, dass er, umgeben von Kriminellen, Untätigkeit noch schwerer aushalten könnte. Noch während des Wartens auf seinen Prozess hatte er von ihnen solche Geschichten über Menschen gehört, die ihm so vorkamen, als wären sie gerade Büchern über unglaubliche Erscheinungen entstiegen. Am schlimmsten war, dass all diese Mörder und Räuber ihn als einen der ihren aufnahmen. Unter ihnen war er gleichberechtigt, genoss sogar die Position eines geachteten und ausgesprochen mutigen Mannes, hatte er sich doch erdreistet, die Hand gegen den Shogun zu erheben. Da halfen keinerlei Versuche, sie davon zu überzeugen, dass er unschuldig war. Für sie war er ein recht bescheidener, aber bewunderungswürdiger Gefangener. Damals verstand er, dass es zwei Wahrheiten geben kann, die einander nicht ausschließen, im Gegenteil. Als hielte er sein Leben in der Hand, die dabei war, sich zu schließen. Im besseren Fall würde er weggepustet wie ein gutmütiges Insekt, das, betäubt von der Hitze, auf dem Rastplatz eines Ungeheuers landet, welches momentan gut gelaunt ist.
Senzaki hatte in früheren Zeiten die Befehle seines Herrn ausgeführt, und zwar nicht deshalb, weil der Shogun ein untadelig gerechter Mann war, sondern weil er sich nie die Frage gestellt hatte, ob ein solcher Befehl der einzig richtige war. Jetzt fragte er sich, ob er nicht eigentlich der Vollstrecker Hunderter solcher Aufträge war. Insofern begriff er, dass Fehler möglich waren.
Er verlangte von der Wache, den Gefängniskommandanten Ishimatsu von seinem Wunsch nach einem Gespräch unter vier Augen in Kenntnis zu setzen. Dieser empfing ihn erstaunlicherweise sofort. Senzaki fürchtete sich ein wenig vor Ishimatsus Reaktion auf das, was er ihm mitteilen wollte, denn er kannte ihn persönlich. Die letzte Begegnung war nicht sehr günstig für den Gefängniskommandanten ausgefallen. Senzaki hatte im Auftrag des Shoguns in diesem Gefängnis die Umsetzung der staatlichen Gesetzgebung kontrolliert. Wie Senzaki erfuhr, sollten jenem Besuch Ishimatsus Verhaftung wegen Veruntreuung von Geld sowie eine Anzeige wegen unmenschlichen Verhaltens gegenüber den Gefangenen folgen. Die zweite Anschuldigung war denn auch gar nicht so wesentlich: Ein solches Vorgehen war eine gängige Erscheinung in Staatsgefängnissen. Der Shogun aber wollte sich mit dem Opfern von Ishimatsu neue Sympathien im Volk und unter einzelnen Daimyōs verschaffen.
»Du siehst, Senzaki, wie wandelbar Glück ist. Hättest du mir keinen Gefallen getan, säße ich jetzt so vor dir oder irgendjemandem und sänne darüber nach, wie ich meine Schuld möglichst gering halten kann. Da unser gewissenhafter Herrscher aber tot ist, bleibe ich dein Schuldner. Ich kann wenig für dich tun: Immerhin liegt dein Leben außerhalb meines Einflussbereiches, aber ich kann dir Gehör schenken, falls du, wie jetzt, mir etwas zu sagen hast.«
Senzaki versuchte mit aller Kraft, auf solch einen zynischen Empfang hin keine Reaktionen zu zeigen. Er musste sein Temperament zügeln und seinen Plan friedlich auf den Weg bringen, als hätte er die geschmacklosen Vergleiche überhört. Diesmal würden nicht einmal Schwerter den Hass besänftigen, der sich zwischen ihnen auftat, tief wie ein Ozean.
»Ishimatsu, ich bin nicht gekommen, dich um irgendetwas zu bitten. Gekommen bin ich mit einem Vorschlag.«
»Oho, da ist noch Stolz in dir. Ich befürchte, dass es nicht an dir ist, Bedingungen zu stellen.«
»Genau. Daher werde ich nur erzählen, und du sei geduldig und hör mir zu. Natürlich nur, wenn du willst.« Ishimatsu erwiderte nichts und Senzaki sprach in einem Atemzug aus, was er zu sagen hatte.
»Du weißt vom Handel mit dem Horn des Rhinozeros. Falls du dich ohne große Anstrengung bereichern