Das Buch vom Bambus. Vladislav Bajac

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Das Buch vom Bambus - Vladislav Bajac editionBalkan

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      Der alte Osson kam sich vor wie eine vertrocknete Frucht, verdorrt vor Erwartung. Er dachte, dass das Stehen auf der Terrasse seine Aufregung verringern könnte, aber das führte nur zu einem Chaos im Organismus, in welchem in schwindelerregendem Tempo die Jahreszeiten einander ablösten.

      Wenige Zimmer weiter brachte seine Frau, Prinzessin Konosakya, ihm ein viertes Kind zur Welt. Er wartete auf einen Erben. Den Zenit seiner Manneskraft hatte er bereits überschritten. Er musste einen Sohn bekommen. Seinen Töchtern hatte er die künftigen Ehemänner bereits zugeteilt; diese waren schon jetzt verpflichtet, mit ihren einflussreichen Positionen im Staat seinen noch größeren Einfluss auf den Shogun zu garantieren. Auch der Shogun selbst wusste, wie groß die Angst dieser wie auch aller anderen Edelleute vor Osson war. Ossons Gesetz war das Böse.

      Sein persönlicher Diener Meno, der Inbegriff von Treue gegenüber allen Wünschen seines Herrn, näherte sich ihm von hinten und sagte mit verschwörerisch verzerrtem Gesicht: »Herr, der Arzt hat einen weiblichen Bambus genommen.« So lautlos, wie er gekommen war, verschwand er auch wieder.

      Osson machte vor Freude einen Luftsprung: Ein Messer aus weiblichem Bambus benutzte man zum Abtrennen der Nabelschnur bei einem männlichen Kind! Endlich war die Zeit gekommen, da sich so viele seiner Pläne verwirklichen würden. Die Freude an der Zukunft hob er sich für später auf und kehrte schnell in sein Regentenzimmer zurück. Niemand durfte erfahren, dass er bereits über das Geschlecht des Bambus informiert war.

      Bald darauf brachte ihm die Dienerschaft der Prinzessin das Kind. Osson musste nicht so tun, als wäre er glücklich. Der Arzt teilte ihm mit, dass Kind und Herrin wohlauf sind. Als alle gegangen waren, gingen Osson und der Arzt in den Garten, um, wie es Brauch war, das Bambusmesser einzupflanzen. Der Arzt ließ es los, damit es ungehindert aus seiner Hand gleiten und sich in die Erde rammen konnte. Doch das Messer drehte sich im Fallen und bohrte sich mit dem Griff in den Boden. Der Arzt erbleichte, Osson wurde rot vor Wut. Für das Neugeborene wie für die ganze Familie war das ein schlechtes Omen. Osson reagierte blitzartig: Er führte den Arzt in einen anderen Hof, rief die Wache und befahl ihn unverzüglich zu köpfen. Schwerter blitzten auf. Das Leben des Arztes verlor sich in der Finsternis.

      Meno zäunte auf Befehl den gepflanzten Bambus ein, damit ihn niemand mehr sehen konnte. Auf keinen Fall durfte er zeigen, dass er wusste, worum es ging, geschweige denn, dass er der einzige Zeuge des verhängnisvollen Fehlers des Arztes war. Das wären der Gründe genug, vom Leben Abschied zu nehmen. Er kannte seinen Herrn nur zu gut.

      Obwohl er die Spur des schlechten Vorzeichens verschleiert hatte, blieb Osson nicht ruhig. Zu lange hatte er auf einen männlichen Nachkommen gewartet, um jetzt emotionslos ein Omen zu akzeptieren, dass ihm nicht passte. Er wünschte sich, dass sein Sohn den familiären Ruhm der starken Herrscher fortsetzen möge, und insgeheim stellte er sich jemanden aus der Familie des Großen Generals vor. Über den Sohn wollte er die Gunst des Shoguns nutzen. Der Herrscher saß gerade dank Ossons Clan recht sicher auf seinem Thron. Das Volk aus der Provinz Kagoshima beschwerte sich nämlich schon seit Jahren über die grausame Herrschaft Ossons und seiner Statthalter: über die zu hohen Steuern, die harten Geldstrafen, das Foltern von Gefangenen, das Morden wegen eines Vergehens. Kurzum, über die unaufhaltsame Willkür. Der Shogun indes konnte und wollte nichts gegen Osson unternehmen. Osson war für den Shogun, der befürchtete, dass andere Daimyōs ihn vom Thron stürzen könnten, eine Stütze, jemand, auf den er jederzeit rechnen konnte. Das wussten auch die anderen. Osson wiederum war dem Shogun nicht aus irgendwelchen romantischen Gründen treu, sondern wegen seiner strengen militärischen Erziehung, die ihn gelehrt hatte, sein ganzes Leben lang widerspruchslos dem Shogun zu dienen. Er behielt für sich die althergebrachte Eigenart des Hagakure-Kodex bei, der für ihn – wie veraltet er auch erscheinen mochte – eigentlich zahlreiche Zugeständnisse und Privilegien bereithielt. Osson war der einzige Daimyō, der sich noch derart streng an einige der uralten Samurai-Regeln hielt. Und das hieß, dass er in einigen Situationen auch der einzige Privilegierte war. Das grobe Verhalten wurde vom Shogun stillschweigend gebilligt. Solange Osson dessen Zuneigung genoss, schaltete und waltete er nach Gutdünken und hielt damit die anderen Daimyōs von Versuchen ab, den Palast anzugreifen. Mit eiserner Disziplin hatte er die stärkste Armee im Staat geschaffen und hielt mit ihr die anderen in Schach. Ein jeder hing vom anderen ab. Damit schien der Kreis unveränderbaren Geschehens ständig geschlossen.

      Aber nun wurde Ossons Zufriedenheit von einem »entstellten« Bambus mit seinem Unheil verheißenden Omen gestört. Es beschlich ihn die Angst, seinen Traum nicht verwirklichen zu können: seinen Sohn zu einem noch grausameren Herrscher ausbilden zu können, als er selbst einer war, und damit zu einem noch gefährlicheren und dem Shogun noch näher stehenden.

      Unruhe schlich sich mit Macht in Ossons Tage, und besonders in die Nächte. Wenn sich alle friedlich ihren Träumen überlassen hatten, schlich er zu seinem Jungen, begutachtete ihn von allen Seiten, um eventuell irgendeine Veränderung zu erkennen. Aus Argwohn wechselte er in weniger als einem Monat mehrere Ärzte. Jeder versicherte ihm, dass das Kind völlig gesund sei, was er auch selbst genau sehen konnte. Doch das alles war ihm nicht genug. Er beschloss, mit dem Schicksal zu paktieren. Er wusste, dass er damit eine Strafe des Geheimwissens riskierte, jenes, das die menschliche Kraft auf die Probe stellt und künftige Ereignisse stört. Die Ungewissheit war stärker als die Angst. Als sie ganz von ihm Besitz ergriff, machte er sich zu den Bergen von Kanaka auf, angezogen wie ein Diener, begleitet lediglich von Meno.

      Die Wahrsagerin fanden sie im dichtesten Nebel, am dritten Tag des Umherirrens durch die fast undurchdringlichen Wälder Kanakas. Sie saß in der Vertiefung eines großen Stammes, eingehüllt in spinnwebenartige Schleier, und beständig lachte sie über etwas, das ihnen weder bekannt noch lächerlich war. Osson fühlte sich zum ersten Mal verlassen. So als wäre er ganz nackt, ohne sein ansonsten stets vorhandenes Selbstbewusstsein.

      Als sie sprach, war das so, als würde die Alte nur die Hälfte der ausgesprochenen Worte aus dem Hohlraum lassen, der sich Mund nannte, in dem es keine Zähne gab. Ihr Reden ähnelte eher einem Zischen.

      »Sicher fragst du dich, warum ich lache? Na, auch du würdest das tun, könntest du dich sehen, wie ich dich sehe. Warum ist nicht jener berühmte Osson gekommen, der Herrscher, sondern hat dich geschickt?«

      Osson verstand den Vorwurf, doch wie er sich auch mühte, es gelang ihm nicht, die verlorene Selbstsicherheit wiederzuerlangen.

      »Er ist nicht da, alte Frau. Ein schlechtes Omen quält ihn.«

      »Herr, du bist lächerlich. Aber ich bin an solche gewöhnt. Und ich bekomme auch keinerlei andere Gestalten zu Gesicht. Zu mir ist noch niemand gekommen, der glücklich und besonnen ist. Niemand, der eine schlechte Nachricht hören will. Alle kommen aus Angst oder voller Angst und alle möchten hören, dass sich ihre schönen Träume bewahrheiten. Doch das gibt es nicht.«

      »Gibt es etwa keine Ausnahmen?«

      »Nein. Vielleicht wirst du die erste!«

      Wollte sie ihm helfen oder spielte sie nur? Oder genoss sie seine Ohnmacht?

      »Osson, du bist ein starker Herrscher, aber ein übler Mensch. Dein Sohn wird eines von beiden sein. Was du mehr fürchtest, das unterstütze. Dein Sohn wird dem Shogun nahe sein. Er wird sogar seinen Sturz verursachen. Nun geh!«

      Meno, der ein bisschen weiter im Gestrüpp hockte, zitterte vor Angst; auf diese Worte hin stürmte er mit den Pferden zu seinem Herrn und trieb ihn mit übermäßiger Dienstbeflissenheit zum Verlassen des Ortes an. Osson schwang sich auf sein Pferd und dachte dabei über die Worte der Alten nach. Er sah in ihnen nichts Schlechtes, und so fühlte er sich, je weiter sie ritten, immer besser. Der Diener betrachtete ihn aus dem Augenwinkel, versuchte dabei

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