Kein Himmel über Berlin?. Thomas Brose

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Kein Himmel über Berlin? - Thomas Brose

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Sprache spricht die Hauptstadt in der Gegenwart? Gibt es so etwas wie eine Botschaft, die heute von Berlin ausgeht – 25 Jahre nach dem Mauerfall? Ich glaube: Jedes Jahr kommen Millionen von Besuchern auch deshalb hierher, weil sie spüren: An diesem besonderen Erinnerungsort10, der seit hundert Jahren ständig im Fokus der Weltöffentlichkeit stand, lassen sich vitale Erfahrungen machen.

      Und weil Berlin anders als Rom oder Paris keineswegs zu den bevorzugten Orten der Weltkirche gehört, ist es an der Zeit, den Himmel über der Hauptstadt neu zu entdecken und zu beschreiben.

      Am Anfang stand ein simpler Verwaltungsakt. Das „Gesetz über die Bildung einer neuen Stadtgemeinde Berlin“ wurde am 27. April 1920 von SPD und USPD ins Preußische Parlament eingebracht und konnte – dank Enthaltung der katholischen Zentrumspartei – am 1. Oktober des gleichen Jahres in Kraft treten. Dadurch entstand das politisch-soziale Ballungszentrum Groß-Berlin mit 3,8 Millionen Einwohnern: gebildet aus Alt-Berlin (1,9 Millionen), sieben angrenzenden Städten (1,2 Millionen) sowie 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirken (0,7 Millionen), die von jetzt ab einer gemeinsamen urbanen Region angehörten. Damit wurde die zu damaliger Zeit drittgrößte Metropole der Welt aus der Taufe gehoben. In ihr lebten 1930 bereits 4,3 Millionen Einwohner, darunter 440.000 Katholiken.

      Tatsächlich hat die Millionen-, Kaiser- und Weltstadt seit dem Ende des Ersten Weltkriegs wüste Kapriolen hinter sich gebracht. In den Goldenen Zwanzigerjahren galt Berlin als europäische Hauptstadt des Amüsements und Nachtlebens. Dadaisten und Surrealisten eroberten die Bühnen. In Bars wurde Jazz gespielt, und die Berliner tanzten dazu. Aber nach dem Zwischenspiel der Jahre 1924 bis 1929, die so golden nicht waren, wirbelten Willkür und Wahn, Terror und Teilung bald alles durcheinander. Vielfalt und Intellektualität der Metropole wurden systematisch zerstört. Wie viele Reiche zerbrachen in den letzten hundert Jahren? Wie viel Vernichtung und Tod? Wie viele größenwahnsinnige und verbrecherische Pläne, geschmiedet in Berlin, endeten auf dem Trümmerhaufen der Geschichte?

      Karl Jaspers, der in den 1920er-Jahren von der Medizin zur Geisteswissenschaft gewechselt war, verfügte über eine umfassende Kenntnis psychiatrischer Krankheitssymptome. Der Philosoph erwies sich daher als besonders geeignet, heraufziehende Krisen und Verwerfungen zu beschreiben. In seiner 1931 publizierten Analyse Zur geistigen Situation der Zeit hat er festgehalten: „Dem Glauben an den Anbruch einer großartigen Zukunft steht das Grauen vor dem Abgrund, aus dem keine Rettung mehr ist, entgegen. Es ist wohl ein Bewusstsein verbreitet: Alles versagt; es gibt nichts, das nicht fragwürdig wäre; nichts Eigentliches bewährt sich; es ist ein endloser Wirbel, der in gegenseitigem Betrügen durch Ideologien seinen Bestand hat. Das Bewusstsein des Zeitalters löst sich von jedem Sein und beschäftigt sich mit sich selbst. Wer so denkt, fühlt sich zugleich selbst als nichts. Sein Bewusstsein des Endes ist zugleich Nichtigkeitsbewusstsein seines eigenen Wesens.“11

      Um diesem tief im Untergrund wirksamen Bewusstsein eigener Nichtigkeit etwas entgegenzusetzen, sollte auf dem Boden der deutschen Hauptstadt Germania die bombastische Kapitale eines „Tausendjährigen Reiches“, imposanter als Paris und Rom, entstehen. „Nicht ,Werke für die Ewigkeit‘ vermochte Hitler im Vorkriegs-Berlin zu erkennen, sondern lediglich Bauwerke ,für den augenblicklichen Bedarf‘. Hier ist der Urantrieb seiner Bausucht zu begreifen, die später in Albert Speer ihr williges und ehrgeiziges Werkzeug findet: die Fixierung in Stein als sinnfälliger Ausdruck eines ,Tausendjährigen Reiches‘ von eschatologischer Kraft.“12 Der verhinderte Architekt Hitler entwarf dazu mit Speer, seinem Rüstungsminister und Generalbauinspektor für die Reichshauptstadt, gigantomanische Zukunftspläne mit dem größten Versammlungsort auf dem Globus. „Die größte bis dahin erdachte Versammlungshalle der Welt“, beschreibt Speer Hitlers Pläne für die „Große Halle des Volkes“, „bestand aus einem Raum, der 150.000 bis 180.000 stehende Zuhörer fassen konnte. Im Grunde handelte es sich […] um einen Kultraum, der im Lauf der Jahrhunderte durch Tradition und Ehrwürdigkeit eine ähnliche Bedeutung gewinnen sollte wie St. Peter in Rom für die katholische Christenheit. Ohne einen solchen kultischen Hintergrund wäre der Aufwand für Hitlers Zentralbau sinnlos und unverständlich gewesen.“13 Die „Große Halle“ sowie ein sieben Kilometer langer und 120 Meter breiter Boulevard mit einem gewaltigen Triumphbogen von 170 Metern Breite und 117 Metern Höhe sollten – da, wo sich in mittelalterlichen Städten die Kathedralen befanden – zum neuen Zentrum von „Germania“ werden: das „image des civilisations totalitaires“. Im Mai 1945 wurde der zukünftige Bauplatz der „Welthauptstadt“ von der Roten Armee erobert und von den Alliierten, die zu vier Besatzungsmächten wurden, in Sektoren aufgeteilt.

      Aber schon bald fand das Welttheater des Kalten Krieges in Berlin seine beste Bühne. Die deutsche Metropole wurde gleich auf doppelte Weise neu erfunden: als sozialistische Musterstadt und als Schaufenster der freien Welt. „Ihr Völker der Welt, ihr Völker in Amerika, in England, in Frankreich, in Italien! Schaut auf diese Stadt und erkennt, dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft und nicht preisgeben könnt!“, rief der Regierende Bürgermeister von Berlin am 9. September 1948 Hunderttausenden in der blockierten Halbstadt zu. „Es gibt nur eine Möglichkeit für uns alle: gemeinsam so lange zusammenzustehen, bis dieser Kampf gewonnen ist, bis dieser Kampf endlich durch den Sieg über die Feinde, durch den Sieg über die Macht der Finsternis besiegelt ist.“14 Ernst Reuters religiös konnotierte Botschaft an die Welt macht deutlich: Die geteilte Hauptstadt bleibt eine himmelschreiende Wunde, ein städtischer Raum, aufgeladen mit symbolischer Bedeutung. Nur hier konnte sich darum ein so elektrisierender Augenblick ereignen, wie ihn die weltberühmte Freiheitsrede markiert. Die unübersehbare Menschenmenge vor der Rednertribüne bei der Ruine des Reichstagsgebäudes ist daher zu einer Ikone kollektiver Erinnerung geworden. Ein unvergesslicher Erinnerungsort aus der Frühgeschichte des Kalten Krieges: Als Reuter auf dem Höhepunkt der sowjetischen Blockade der Westsektoren ans Mikrofon trat, schauten tatsächlich die Völker der Erde auf diese Stadt; der Funke sprang über; seine Worte erzeugten ein Echo, das weltweit Widerhall fand; die sowjetische Blockade wurde schließlich aufgehoben, und die Halbstadt West-Berlin begann zu florieren.

      Dem Lebenskünstler, Lyriker und Maler Günter Bruno Fuchs (1928 – 1977) gelingt in seinem Gedicht Berlin15 aus dem Jahr 1957 eine beeindruckend-bedrohliche Momentaufnahme der Atmosphäre im Nachkriegsberlin. Die Viersektorenstadt gilt ihm als „Würfelbrett und Jagdrevier“ der Besatzungsmächte. „Der Bär ist noch das Wappentier“, aber die Zukunft erscheint ungewiss, wobei Leben und Sterben („Webers Trauermagazin“) weiter ihren Gang gehen – und die Spree beide Halbstädte heilsam-„bettelnd“ verbindet.

       Berlin

      Drei Strophen Sonntagssouvenir:

      Der Himmel färbt die Dächer leise.

      Die Stadt, ein Würfelbrett und Jagdrevier,

      summt ihre viergeteilte Weise.

      Der Bär ist noch das Wappentier.

      Der Hund des Kohlenhändlers bellt.

      Nachmittagsstunde. Straßenstille.

      Im Rinnstein singt der Zeichner Werner Heldt

      den Nekrolog von Peter Hille

      auf eine unerlöste Welt.

      Vom höchsten Charité-Kamin

      fällt eine Zeile Rauch herab

      auf die Fassade: Webers Trauermagazin –

      (Tritt

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