Kein Himmel über Berlin?. Thomas Brose

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Kein Himmel über Berlin? - Thomas Brose

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      „Solange eine S-Bahn-Fahrkarte genügte, um ins westliche Deutschland zu gelangen, schien für viele Deutsche im Osten die deutsche Frage noch offen zu sein; es schien nicht alles entschieden und noch Hilfe aus dem Westen möglich. Der Mauerbau zerstörte die Einheitshoffnungen in der DDR, nicht mit einem Mal, aber allmählich. […] Das ,Schaufenster des Westens‘ war vernagelt, die ,Speerspitze der Freiheit‘ stumpf, die ,Brücke‘ zwischen den Deutschen abgebrochen, das ,Symbol der Einheit‘ zum Monument der Trennung geworden.“16 Spätestens mit dem Mauerbau 1961 wurde das Brandenburger Tor zum symbolisch nicht zu überbietenden Gedächtnisort globaler Teilung: Berlin, die einzig geteilte Stadt der Erde mit einer später bis zu 4,10 m hohen und 16 cm starken, L-förmigen Betonplattenwand. Die mehrmals erneuerte Berliner Mauer hatte schließlich eine Gesamtlänge von 166 km, wobei 45,9 km auf den innerstädtischen Bereich entfielen, 120 km auf die Grenze zwischen dem Westteil der Stadt und der DDR. Die einstige Weltmetropole vereinigte damit in sich die beiden Halbstädte (West) mit 2,2 Mio. und (Ost) mit 1,2 Mio. Menschen.

      „Berlin hat bis heute keinen Frieden gefunden. Es ist nie zur Normalität zurückgekehrt. Es führt seit fast fünfzig Jahren ein Inseldasein zwischen den Fronten des alten Krieges, ein Niemands-Land, das noch dazu seit bald 30 Jahren durch eine Mauer geteilt ist: ein geteiltes Bruchstück. Welche Stadt kann das aushalten? […] Aus der extrovertierten Weltmetropole wurde die introvertierte Insel, in der die Spannungselemente wie unter Laborbedingungen aufeinanderprallen. Linke und Rechte, Alternative und Konservative, Ausländerproblem und Studentenprotest – alles tritt in Berlin unverhüllter und schärfer zutage. Die deutschen Verhältnisse finden in Berlin ihren deutlichsten Ausdruck, einschließlich des Besatzungsregimes, unter dem die Stadt fast ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende immer noch lebt“, schreibt Heinrich Jaenecke im Sommer 1989 vor allem mit Blick auf den Westteil der Stadt.17 Dass Berlin tatsächlich neuralgischer Punkt globaler Konflikte und intellektuelles Zentrum der Ost-West-Konfrontation war, bringt Boris Groys zum Ausdruck: Viele Intellektuelle, so der Philosoph, „waren stark elektrisiert, waren enerviert, involviert, alle hatten das Empfinden, Medium der Weltpolitik zu sein, an einem Ort zu leben, der mit der ganzen Welt nicht nur äußerlich, sondern innerlich verbunden ist. Durch ihre Körper und ihr Nervensystem waren sie in Netze eingebunden; sie empfanden körperlich nach, wie die Welt sich fühlte – das hat mir gefallen.“18

      An keinem anderen Ort auf dem Globus waren daher Glücksmomente und Freudentränen beim Fall des Eisernen Vorhangs heftiger als hier. „Die Bilder von den jubelnden, Sekt versprühenden, ohnmächtigen Wasserwerfern standhaltenden Menschen auf der Mauer sind zum Zeichen für das Ende einer leidvollen Epoche, ja einer ganzen Jahrhundertgeschichte geworden. Diese ökumenische Bedeutung wird das Brandenburger Tor behalten; in der Nacht vom 9./10. November 1989 wurde es umgetauft.“19

      Dass sich Geschichte nicht nur in der Zeit, sondern auch im Raum ereignet, darauf hat Karl Schlögel aufmerksam gemacht. Immer wieder kommt der Historiker auf die Friedliche Revolution zu sprechen; sie markiert für ihn einen welthistorischen Einschnitt: „Nicht nur ein Imperium hatte sich aufgelöst, sondern auch der Raum, der Ostblock hieß. Nicht nur eine politische Revolution hatte sich ereignet, sondern eine ,Raumrevolution‘, die keinen Aspekt des Lebens unberührt gelassen hatte. 1989 war das Datum, das das Ende der Nachkriegszeit bezeichnete, die Berliner Mauer war der Ort, an dem sie zu Ende gegangen war. Unter den Augen der bald hoffnungsfrohen, bald verängstigten Zeitgenossen lief ein Lehrstück ab, um das andere Generationen sie beneidet haben würden. Sie wurden Augenzeugen, wie die Welt aus dem einen in einen anderen Zustand, aus dem Davor in ein Danach überging.“20 Tatsächlich ist Berlin seit 1991 wieder Regierungssitz. Angesichts der dramatischen Raum-Revolution wird aber zugleich klar: Die Metropole an der Spree ist mehr als eine große Stadt. Sie ist gesellschaftspolitischer Brennpunkt für ein ganzes Land und mehr: kulturelles Zentrum mitten in Europa. „Was die Stadt Berlin interessant macht“, erklärt der Religionsphilosoph Hans-Joachim Höhn, sei „ihre selbstauferlegte Nötigung, mit dem Sitz von Regierung und Parlament, nicht nur die ,Kapitale‘ des vereinten Deutschland zu sein, sondern ebenso als kulturelle Metropole möglichst rasch wieder jenen Weltruf zu erlangen, den sie einst in den Zwischenkriegsjahren des 20. Jahrhunderts besaß.“21

      Was Räume und Orte angeht, die für den „christlichen Glauben“ besondere Relevanz besitzen, haben die beiden Kirchenhistoriker Christoph Markschies und Hubert Wolf eine Pionierleistung vollbracht. Das von ihnen herausgegebene Lese- und Studienwerk trägt den Titel Erinnerungsorte des Christentums22. Damit nehmen die bekannten Wissenschaftler den ganzen Orbis christianus in den Blick. Einleitend zu ihrem Sammelband bemerken die Forscher: Die Identitätsstiftung des Glaubens beruht ganz wesentlich auf „memoria“. Sie greifen damit das Konzept der „Erinnerungsorte“ und geistigen Kristallisationspunkte des französischen Historikers Pierre Nora auf, geben dem Ganzen aber eine spezifische Begründung. „Erinnerung ist nicht irgendeine periphere theologische Kategorie des Christentums. Im Gegenteil. Gedächtnis ist ein theologischer Zentralbegriff, denn als Offenbarungsreligion ist das Christentum eine Erinnerungsreligion.“23

      Die beiden Theologen bieten eine beeindruckende Topografie des Glaubens. Dazu schicken sie vierzig Autoren ins Treffen, um das Terrain des Christentums sorgfältig zu vermessen. Bei dieser Kartierung entsteht das Panorama einer Erinnerungsreligion mit buchstäblichen und metaphorischen „Orten“. Keine Frage: Vor allem die sieben „Zentralorte“ mit Rom (Walter Kasper), Konstantinopel (Martin Tamcke), dem calvinistischen Genf (Jan Rohls) und lutherischen Wittenberg (Wolfgang Huber) vermitteln eine lebhafte Vorstellung davon, was es überhaupt heißt, Christ zu sein und eine konfessionelle Identität zu besitzen.

      Aber anders, als die ambitionierte Einleitung in Aussicht stellt: nämlich – um es mit Friedrich Schleiermacher zu sagen – gerade den „Gebildeten unter den Verächtern der Religion“ eine Vorstellung davon zu vermitteln, was Glauben in der Gegenwart heißt, steht dieser „nachbarschaftliche“ Aspekt nicht im Vordergrund. Es scheint vielmehr, als würde zum Verstehen des Bandes bereits eine allgemeine „Christlichkeit“ als etwas „Normales“ vorausgesetzt. Davon ist aber immer weniger auszugehen. Ostdeutschland bietet dafür Anschauungsunterricht – fast 75 Prozent der dort lebenden Menschen gehören keiner Religion an. Wo jedoch – wie auch in Berlin – bald drei Viertel der Bevölkerung nicht mehr getauft sind, ist Christsein etwas Erklärungsbedürftiges und Besonderes. Ein genaueres Hinsehen, das die Existenz von Nichtglaubenden und anderen Religionen ins christliche Sprechen und Argumentieren einbezieht, erscheint daher unbedingt notwendig.

      Wenn selbst Erinnerungsorte in Dresden und Leipzig in dem Sammelband als Chiffren für Kunst bzw. Kirchenmusik behandelt werden – warum ist dann die geistige, politische und theologisch-kirchliche Topografie von Berlin für Christsein in Deutschland ein Totalausfall? Dieser Band unternimmt den Versuch, diese Leerstelle zu füllen.

      „Dieses Kreuz passte wirklich nur für Berlin“, erklärt mir Wolfgang Weider, als ich ihn auf sein erstes Brustkreuz anspreche. Er trug es ab 1982 als Berliner Weihbischof und wurde damit im gesamten Bistum bekannt. Weider: „Mir kam der Gedanke, etwas von der zerrissenen Situation unserer Stadt auf meinem Bischofskreuz darzustellen.“ Wer heute die Unterkirche von St. Hedwig besucht, findet dieses sprechende Erinnerungsstück, das von dem Künstler Hubert Kleemann aus Neu-Zittau gestaltet wurde, in der kleinen Domschatzkammer. Wie eine Dornenkorne sind da die Konturen der Stadt im Schnittpunkt des Kreuzes abgebildet – für mich ist das die kürzeste Predigt über eine ganze Epoche. „Dieses Kreuz mit dem Hinweis auf die Mauer und West-Berlin war in der damaligen politischen Situation für die ,roten Machthaber‘ natürlich eine Provokation. Ich wurde zwar nie darauf angesprochen, weiß aber heute, dass die Staatssicherheit dieses Symbol sehr wohl verstanden hat“, meint der Weihbischof emeritus nachdenklich.

      Tatsächlich spiegelt das Schicksal der katholischen Kirche in der Hauptstadt gemeinsam-geteilte

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