Rubine im Zwielicht. Dieter Jandt

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Rubine im Zwielicht - Dieter Jandt Mord und Nachschlag

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Schritte hallten durch die Grünsiegelpassage, die nicht mehr war als ein abgewracktes Verkaufsareal, ein aussterbendes Projekt. Seit Jahren schon gab es hier mehr Ladenleerstand als geöffnete Geschäfte. Zwei Einkaufscenter in der Nähe des Rathauses hatten die Aufmerksamkeit potentieller Kunden abgezogen. Viele Schaufenster waren mit braunem Papier abgeklebt.

      Am Ende der Passage leuchteten die gelben Schilder eines China-Restaurants. Daneben befand sich ein kleiner Laden. Blaue Rolläden waren heruntergezogen, ebenso an der Glastür. Derintop versuchte, an deren Rändern vorbei ins Innere zu schauen, konnte aber nichts erkennen. Er trat einen Schritt zurück und las das Messingschild, das neben der Tür am Schaufenster befestigt war: MEKONG – IMPORTWAREN AUS INDOCHINA. Keine Telefonnummer, nichts.

      Derintop ging hinüber zum China-Restaurant und trat ein. Bei den Chinesen sieht es immer gleich aus, dachte er abfällig. Rote Tapeten, am Eingang ein kleiner Springbrunnen, ein großes Meerwasseraquarium, von den Decken baumelten Papierballons und über allem rieselten chinesische Harmoniegesänge aus versteckten Lautsprechern. Zwei Tische an den Fenstern waren besetzt. Am Ende des langen Raumes stand ein kleines Männlein in schwarzer Kellnerkleidung hinter der Theke und kam nun hervor, um den neuen Gast zu begrüßen.

      »Was ist mit dem Laden nebenan«, fragte Derintop unfreundlich und reckte seinen Stiernacken vor. Das Männlein neigte den Kopf ein wenig zur Seite und schaute zu Derintop auf.

      »Oh, ist geschlossen. Ja, hihi.« Die Augenschlitze des Männleins wurden zu schmalen Strichen.

      »Ja und? Wann macht er wieder auf?«

      »Oh, weiß nich. Hat die Frau vorige Woche ssugemacht. Diese Thailänderin. Tja, so geht das, ne? Hihi.«

      »Was ist denn das überhaupt für ein Laden.«

      »War, wie gesagt. Hihi. Ich glaube, der macht nich mehr auf.«

      Derintop hatte das Gefühl, als ob dieser Wicht ihn veralbern wollte. »Und was war das für ein Laden? Wem gehörte er?«

      »Oooh ja, sie hat alles Mögliche verkauft hier, ne. Import, ne. Ssehen Ssie mal hier an der Decke, ne, da hat sie alles besorgt. Auch hier Glücksbringer un so, ne.« Das Männlein zeigte belustigt auf einen Jadering, der an langen roten Fäden von der Decke hing.

      »Ja, und jetzt?«

      »Jetz is ssu. Weiß nich, is pleite oder was, hihi. Wieso, wollen Ssie kaufen Glücksbringer, ich kann Ihnen Telefonnummer geben.«

      Derintop nickte. Wenigstens etwas. Das Männlein kritzelte ein paar Zahlen auf einen Notizblock, riss das Blatt ab und reichte es Derintop. »Hier, da is meine Freund, bestellen Ssie einen schönen Gruß, is auch Vietnamese wie ich, handelt auch mit sowas, is zwar bisschen teurer, aber …«

      »Moment mal. Das ist nicht die Nummer von dieser Thailänderin? Ich will die Nummer von dieser Frau! Was geht mich dieser Vietnamese an, und wieso Vietnamese, das ist doch ein China-Restaurant hier?«

      »Ja, heißt immer so. Ssind eigentlich alles fast immer Vietnamesen, ja. Aber wenn es Vietnamesen-Restaurant heißt, kommt keiner, hihi. Und chinesische Küche un vietnamesische Küche – wie sagt man: is alles ein Brei? Nee, wie sagt man?«

      Derintop war nahe daran, sich auf das Männlein zu werfen und ihm ein paar Ringergriffe zu zeigen. »Und die Frau hier nebenan? War die eigentlich auch Vietnamesin?«

      »Nein, is Thailänderin. Nette Frau. Aber wenn Ssie wollen, meine Frau kann Ihnen mehr erzählen.« Das Männlein trat hinter den Tresen und steckte seinen Kopf durch einen schweren, roten Vorhang, der zur Küche führte. Kurz darauf kam eine dürre Frau mit dunklen Rändern unter den Augen hervor. Offensichtlich magenkrank. Und offensichtlich hatte sie das Gespräch bereits mitverfolgt.

      »Ja, hatte eigentlich gute Geschäft gehabt, aber wissen Ssie, immer Problem mit Ehemann, deutsche Ehemann, ja. Wie heißt de noch? Messersmitt.« Sie rückte um den Tresen herum immer näher an Derintop heran und hielt eine Hand vor den Mund. »Da war immer Problem, ach, und hat viel getrunken, die Mann. Kann sein, dass vielleicht deswegen ssie hat zugemacht, weiß nich.«

      »Und wo ist sie jetzt?«

      »Weiß auch nich, vielleicht wieder zurück nach Thailand. Oder …«, jetzt flüsterte sie. »Vielleicht durchgebrannt. Hihihi.« Warum kniffen diese Asiaten immer die Augen zusammen, wenn sie lachten, dachte Derintop. Da ließ sich nie etwas erkennen.

      »Und wohin durchgebrannt?« Derintop hatte Lust, ihr Lachen nachzuäffen.

      »Ja, mit de Schmuckhändler da. Wie heißt de noch? Hatte ssie Verhältnis gehabt, wissen Ssie. Un de Mann immer nachspioniert. Immer hinterher, hinter die beiden. Waren oft Kunden hier. Netter Mann, de Schmuckhändler.« Sie nickte belustigt.

      »Ich weiß.«

      »Genau«, mischte sich das Männlein ein. »Fragen Ssie doch den. Der hat die Telefonnummer, bestimmt, hihi.«

      Derintop musste einsehen, dass hier nichts zu holen war. Er ließ die beiden stehen und verließ unter den harmonischen Gesängen aus den Deckenlautsprechern das Restaurant. Er ging hinüber zum Islandufer. Dort hatte er seinen BMW neben dem Brückengeländer geparkt. Er stieg ein und schaute auf das schmutzigbraune Wasser der Wupper. Warum hatte man bei Asiaten immer das Gefühl, dass sie weit mehr wussten? Aber was hätte er tun sollen? Diesen Wicht packen und durchschütteln? Solange, bis die richtigen Informationen herauskamen? Diese Asiaten hielten doch alle zusammen. Thailänder, Chinesen, Vietnamesen, allesamt undurchschaubar. Derintop liebte einfache, klare Verhältnisse. Asiatische Mentalitäten waren für ihn undurchdringliche Dschungel, in denen man selbst mit einer Machete nicht weiterkam. Er startete den Wagen. Oder war er dabei, sich zu verrennen? Vielleicht musste er in seinem eigenen Umfeld suchen?

      11.

      Wagner warf das Stück Schweineleber auf ein Kunststoffbrett. Er setzte sich an den Küchentisch und begann es mit einem Messer in Streifen zu schneiden. Zwiebeln lagen bereits in Ringen auf einem zweiten Brett. Wagner blinzelte. Eine Träne lief aus dem geschwollenen Auge, er wischte vorsichtig mit dem Handrücken darüber. Auf dem Elektroherd köchelte Reis vor sich hin.

      Es schellte. Wagner zögerte einen Moment und schaute durch das Fenster. Es dämmerte bereits und Wagner musste unwillkürlich an den Schläger denken. Wieder schellte es, zweimal kurz hintereinander. Wagner hatte Bärhalter vor Augen. Er schaute schnell auf den Küchenboden, wo er unter einer Diele des Schiffsparketts die Edelsteine versteckt hatte, die er mittlerweile verfluchte, und ging hinüber zur Wohnungstür.

      Es war Nok. Sie wich einen Schritt zurück, als sie Wagner in der Tür stehen sah, mit seinem geschwollenen Auge, das Küchenmesser in der Hand. Wagner schaute an sich herunter, bemerkte das Messer und versuchte ein Lächeln, was dem lädierten Gesicht eine komische Note verlieh.

      »Was haben Sie denn gemacht? Haben Sie sich geschlagen?«

      »Man mich, nicht ich mich. Kommen Sie doch rein.« Die beiden gingen in die Küche. Nok trug ein knielanges Blümchenkleid mit großen roten Blüten, was am Körper einer abendländischen Frau sogleich kitschig ausgesehen hätte, stellte Wagner bewundernd fest. Nok setzte sich umstandslos auf einen der Stühle, wickelte einen hauchdünnen, blutroten Schal vom Hals und legte ihn über die Stuhllehne. Wagner bestaunte eine doppelt gelegte Perlenkette. War diese Geste Absicht? Sollte das irgendein Zeichen sein? Wohingegen sie doch vorgestern erst behauptet hatte, sich keinen Schmuck leisten zu können? Hatte sie das nicht so gesagt?

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