Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv. Wiglaf Droste

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Die Würde des Menschen ist ein Konjunktiv - Wiglaf Droste

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style="font-size:15px;">      Beim »Grooming« treffen die inzwischen ziemlich »fitten« Autos, Teppiche und Häuser auch auf ihre Besitzer: Fußballspieler, die wissen, dass »fit« sein überhaupt nicht reicht, wenn man doch »topfit« zu sein hat, weil »top« sein einfach alles ist, gerade als Mensch: »Er ist nicht nur ein Top-Spieler, sondern auch ein Top-Mensch«, sagte der Fußballprofessionelle Mario Gomez in Bild über seinen Kollegen Lukas Podolski und strich sich anschließend eine gegroomte Haarsträhne glatt, ein für »Top-Menschen« unverzichtbares Accessoire.

      Was aber ist und wie wird man »ein Top-Mensch«? Ist »Top-Mensch« der letzte Schrei der Menschheit, oder schwebte schon Nietzsche der »Top-Mensch« vor? Modellierte Arno Breker den »Top-Menschen«? Handelt es sich um das revolutionäre Ideal des »neuen Menschen«?

      Kann sich zum »Top-Menschen« nur emanzipieren, erheben und aufschwingen, wer nicht damit zufrieden ist, bloß »ans Limit zu gehen« und »seine Leistung abzurufen«, sondern sich permanent »weiter optimiert«, weil er ja immer »noch Luft nach oben hat«? Und gehört es auch zu den Aufgaben der Sprache, Lebenswirklichkeit wiederzugeben, oder ist sowieso alles Reklame, Werbung, Marketing und Propaganda?

      Die alte Darwin’sche Maxime vom »survival of the fittest«, dem Überleben des am besten Angepassten, wurde einigermaßen relativiert, als »fit« der Name eines Geschirrspülmittels wurde. Das geschah im Jahr 1954, im damaligen Karl-Marx-Stadt; besonders erstaunlich ist, dass diese Form von »fit« bis heute überlebt hat, obwohl der Name nicht zu »topfit« quasi »top-optimiert« wurde und sein Bekanntheitsgrad unter »Top-Menschen« eher gering ist.

      Ob man mit »fit« aber sein Haus, sein Auto und seinen Teppich »fit für den Winter« machen kann, das weiß allein der Nesquik.

      Winterzeit, Sommerzeit, zuviel Zeit

      Eine Irritation

      Ich lag in meinem Bett, das auf kabbeliger See in den Wellen trieb. Die Wasser fluteten über das floßgroße Bett, ich hatte nur ein einziges Paddel zur Verfügung, um mein Gefährt auf Kurs zu halten. Eine große, schnittige Segelyacht zischte heran, sie hieß »Redaktion«. Von der Reling winkte mir ein gutes Dutzend weißgekleideter Menschen zu. Eine schnatzige Blondine griff zu einer Flüstertüte und rief launig: »Nicht nachlassen. Immer schön liefern...!«

      Die Yacht machte gute Fahrt, während mein Bettfloß von den Wellen hin und her getost wurde. Von Ferne hörte ich die Schiffsglocke läuten; seltsamerweise wurde sie immer lauter, je weiter sich die Yacht entfernte. Das Geläut dröhnte mir in den Ohren, als ich erwachte. Es war Sonntagvormittag, die Kirchenglocken hämmerten.

      Ich sah auf die Uhr. Die Christen bimmelten später als gewöhnlich. Hatten sie endlich ein bisschen Einsehen? Nein, das verspätete Läuten verdankte sich einzig dem Umstand der Umstellung öffentlicher Uhren auf die Win­terzeit. Die Christen missverstanden Religionsfreiheit weiterhin als Einladung zur Belästigung anderer; das ist ja auch die tragende Säule ihres Glaubens seit dessen Anbeginn.

      Ich aber hatte eine Stunde Zeit gewonnen, die ich nicht erbeten hatte. Es gibt kein größeres Übel als ein Übermaß von Zeit zur persönlichen Verfügung; dabei ist noch niemals etwas Gutes herausgekommen. »Ich hatte leider Zeit«, heißt es bei Joachim Ringelnatz. Mir wurde unwohl; eine Stunde Zeit pro Tag extra, was war das denn wieder für ein Unfug?

      Wenn ich diese Zeit, spann ich den Faden weiter, ein Jahr lang ansparte, ergäben sich daraus bei 365 Tagen mehr als 15 Tage. Das warf bedrückende Fragen auf: Was würde ich mit dieser Zeit anfangen müssen? Und vor allem: Wie war das Wort »ansparen« in meinen Kopf gekommen?

      Mir fiel wieder ein, wie ich tags zuvor einen Freund gefragt hatte: »Wenn morgen die Uhren auf Winterzeit umgeschaltet werden, dreht man die Zeiger dann eine Stunde vor oder eine zurück?« Er hatte mich angesehen, als sei ich ein Dreikäsehoch: »Natürlich stellt man sie vor! Es muss ja morgens früher hell sein. Also ist im Winter acht, was im Sommer sieben ist.«

      Ich hing, nach guter Auskunft dürstend, an seinen Lippen, doch wurde ich gewahr, wie sein Geist ins Schlingern und Taumeln geriet auf strunkeligem Terrain. »Nein, Quatsch«, korrigierte er sich, »es ist ja ganz anders. Also man stellt die Uhr nicht vor, sondern zurück, damit es abends länger dunkel ist. Damit sieben quasi acht ist oder vier fünf...« Er brach den Satz ab und begann, mit Daumen und Zeigefinger seiner linken Hand die Finger seiner rechten abzuzählen, während ich ihm zusah und stumm mitzählte. Ich war sehr froh, dass seine beiden Kinder uns nicht so sehen konnten.

      Auch am folgenden Tag stellte die Umstellung der Uhren mein Leben auf eine harte Probe. Es war eine Probe mit der Band, angesetzt für 9 Uhr 30 am Montagmorgen. Hätte sie in der Sommerzeit erst ab 10 Uhr 30 stattgefunden oder schon ab 8 Uhr 30? Wieso wollte ich das wissen? Und warum probten Musiker überhaupt am Morgen? Wurde man nicht Musiker, um ein Leben im Lotterbett und in Saus und Braus zu führen? Oder war das eine geradezu verspießert antiquierte Vorstellung?

      Ich schaltete das Radio ein; das Kulturradio gibt Antworten auf Fragen, die ausschließlich sogenannte und selbstempfindende »Kulturmenschen« plagen. Ein Sprecher sagte, die Umstellung der Uhrzeit würde durch eine »Atomuhr« gesteuert; er sagte tatsächlich »Atomuhr«. Was ist eine »Atomuhr«? So etwas wie ein »Atombusen«, nur eben als Uhr? Eine Uhr mit Leuchtzifferblatt? Eine radioaktive Armbanduhr? Meine Armbanduhr leuch­tet nicht, sie hat nur einen Minuten- und einen Stundenzeiger und kann sonst nichts, kein Datum anzeigen oder die Wassertiefe messen oder was die dicken Zwiebeln sonst noch so auf der Pfanne haben.

      Meine Armbanduhr ist analog und flach und unauffällig; sie hat ein Lederarmband, das manchmal, vor allem im Sommer, wenn man etwas mehr schwitzt, ziemlich stinkt. Wenn man mit der Uhrhand in Nasennähe kommt, riecht das etwas eklig, aber man schnuffelt trotzdem am Armband herum, um den Uhrarmbandgeruch einzusaugen und abzuspeichern. Der Uhrarmbandgeruch ist bei jedem Menschen anders, er ist quasi sein ihm wesenseigener olfaktorischer Fußabdruck; manche sagen auch, er mache einsam. Wenn man starken Uhrarmbandgeruch hat, weiß man, dass die Uhren auf Sommerzeit gestellt sind, bei schwachem oder ganz verschwundenem Uhrarmbandgeruch herrscht Winterzeit; dies nur zur groben Orientierung.

      Erhellende Kulturradioantworten hin oder her: Ich würde nie eine Atomuhr tragen, das käme mir affig vor und protzig. Es gibt aber Staatenlenker, Wirtschaftskapitäne, Fußballvereinsvorstandsvorsitzende Klammer auf Rummenigge Klammer zu und Dickdenker, die eine möglichst teure Atomuhr am linken Handgelenk tragen, mit einem Armband aus Platin oder Titan, damit es nicht stinkt und sie keinen Uhrarmbandgeruch haben, denn dann wäre es schnell Essig und aus und vorbei mit dem Top- und Spitzenleben als Staatenlenker, Wirtschaftskapitän, Fußballvereinsvorstandsvorsitzender Klammer auf Rummenigge Klammer zu oder Dickdenker. Bei schlicht strukturierten Konkurrenten löst die Atomuhr am Handgelenk Neid aus und lautstark vierjähriges »Haben will, auch haben will!« Der Präsident des Iran, ein Simpel vor dem Herrn wie zuletzt vor ihm nur George Bush, möchte auch eine Atomuhr spazieren tragen wie die anderen wichtigen Kinder, die ihn aber nicht dabeihaben wollen. Der iranische Präsident darf nicht mitspielen, nicht mal als Torwart, und von sowas hat man am Ende noch einen Weltkrieg an der Backe.

      Wenn diese Fittis eine einfache Uhr ohne Atom, aber dafür mit Uhrarmbandgeruch trügen, an der sie versonnen herumzuschnobern wüssten, dann sähe diese Welt anders aus. Aber sowas von.

      Der Teufel steckt im Paket

      Wer Deutschen etwas unterjubeln will, der verkauft es ihnen »im Paket«. Paket, das klingt doch wie Weihnachten, nach einem Geschenk oder zumindest nach einer schon sehnlich erwarteten Sendung.

      Auch von der Bank und der Versicherung bekommt der Deutsche alles »im Paket«, denn »im Paket« ist »kompakt«, was immer mit »kompakt« gemeint sei; doch nicht etwa der Kompakt mit dem Teufel? Aber nein, »kompakt« hört sich »griffig«

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